Wie sich Deutschland anfühlt
Ihr seid jetzt die besseren Niederländer

PRESSESCHAU Schwarz-Gelb regiert jetzt ein Jahr lang. Was hat sich verändert? Was war in diesem Jahr wichtig? Von „ilmanifesto“ bis „Jyllands-Posten“, von „Al-Ahram“ bis „Economist“: Elf Beiträge von Deutschland-Korrespondenten ausländischer Medien

27. September 2009: Die Unionsparteien (33,8 Prozent) und die FDP (14,6 Prozent) erreichen die notwendige Mehrheit für eine schwarz-gelbe Koalition.

28. Oktober 2009: Angela Merkel wird erneut zur Bundeskanzlerin gewählt.

9. November 2009: Die Regierung beschließt Steuerentlastungen für Eltern, Unternehmen, Erben und die Hotelbranche um jährlich bis zu 8,5 Milliarden Euro. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Hotels wird heftig kritisiert.

16. Dezember 2009: Das Kabinett verabschiedet den Haushaltsentwurf für 2010, der Ausgaben von 325,4 Milliarden Euro vorsieht. Die Neuverschuldung steigt auf 85,8 Milliarden Euro.

17. Januar 2010: Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Chef Guido Westerwelle einigen sich darauf, die Steuerreform wie vereinbart umzusetzen. Start und Umfang sind noch unklar.

23. Februar 2010: Die Koalition verständigt sich darauf, die Förderung neuer Solaranlagen auf Dächern zu kürzen – um 11 bis 16 Prozent.

24. März 2010: Union, FDP und SPD einigen sich auf die Änderung des Grundgesetzes zum Erhalt der Jobcenter. Nach einem Urteil des Verfassungsgerichts muss die Hartz-IV-Verwaltung neu geregelt werden.

10. Mai 2010: Nach der Wahlniederlage der CDU/FDP-Regierung in Nordrhein-Westfalen und dem Verlust der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat schließt Merkel Steuerentlastungen für 2011 und 2012 aus.

19. Mai 2010: Der Wehr- und Zivildienst wird von neun auf sechs Monate verkürzt.

31. Mai 2010: Bundespräsident Horst Köhler erklärt seinen sofortigen Rücktritt. Er begründet ihn mit der Kritik an seinen Äußerungen zum Einsatz in Afghanistan.

7. Juni 2010: Die Regierung beschließt, dass bis 2014 rund 80 Milliarden Euro gespart werden sollen. Die größten Einschnitte gibt es bei Sozialleistungen.

30. Juni 2010: Christian Wulff (CDU) wird im dritten Wahlgang zum neuen Bundespräsidenten gewählt.

6. Juli 2010: Die Koalition einigt sich auf eine Gesundheitsreform. Die Versicherten werden über Zusatzbeiträge zur Kasse gebeten. Kurzfristig sind auch Arbeitgeber, Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie gefordert, um das Loch von 11 Milliarden Euro zu stopfen.

23. August 2010: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) stellt seinen Reformvorschlag für die Bundeswehr vor. Die Wehrpflicht soll ausgesetzt und die Armee um ein Drittel verkleinert werden.

5. September 2010: Union und FDP einigen sich auf ein Energiekonzept mit längeren Laufzeiten für die Atomkraftwerke von im Schnitt zwölf Jahren. (dpa)

VON ROB SAVELBERG

Spätestens seit der WM in Südafrika war klar: Die Deutschen sind die besseren Niederländer. Sie spielten das schönere, schnellere Spiel. Froh und munter sah ich die Jungs von Jogi Löw große Gegner wie England und Argentinien an die Wand spielen. So wie „Oranje“ es immer vorgemacht hat: Live fast, die young. Toll spielen und vor dem Finale ausscheiden. Mein Jugendtrauma.

Dagegen spielte Hollands „Elftal“ so wie einst die deutsche Nationalauswahl mit einer Taktik des teutonischen Panzers. Es ging den Niederländern nicht um Ästhetik und das öffentliche Vorführen des Feindes. Nein, sie wollten gewinnen. Mit Disziplin. Kampfkraft. Siegeswillen. So wie die Deutschen es immer gezeigt haben. Es hat nicht geklappt.

Nach diesem Sommer war mir klar, dass ein deutsches Team voller Immigranten mehr Potenzial hat. Jetzt spielen dort Männer wie Özil und Khedira, Podolski und Klose, Cacau und Gomez, Marin und Boateng. Wir hatten schon seit Jahrzehnten Talente, die aus der ehemaligen Kolonie Surinam stammen: Gullit und Rijkaard, Winter und Kluivert, Seedorf und Davids.

Je länger ich in der Bundesrepublik lebe, desto mehr denke ich, dass es hier manchmal toleranter und liberaler zugeht als in meiner holländischen Heimat. In Amsterdam werden seit Kurzem im Rotlichtviertel De Wallen Stundenzimmer gegen Galerien eingetauscht. Auch zahlreiche Coffeeshops werden von der Obrigkeit zugemacht. Die starke Repression gegen Soft Drugs unter dem konservativen Premier Jan Peter Balkenende hat viele kriminelle Haschischhändler inzwischen nach Deutschland verjagt.

Und wie ist die Situation hier an der Spree? Viele Holländer sehen Berlin als die Partyhauptstadt Europas. Was die Deutschen über die Holländer sagen, sie seien so locker und cool, so tolerant und nett, das sagen die Bürger von Königin Beatrix mittlerweile auch über Berlin und seine umtriebigen Bewohner. So sympathisch und ungetrübt war das Verhältnis aber nicht immer. Die Sicht der Niederländer auf den großen Nachbarn im Osten war jahrzehntelang etwas zu negativ. Dagegen war das Bild, das viele Deutsche von dem kleinen Königreich an der Nordsee hatten, übertrieben positiv.

Zwischen Maastricht und Groningen hat sich in den letzten Jahren Grundlegendes verändert. Die Menschen dort sind seit zwei politischen Morden – an den Islamkritikern Pim Fortuyn und Theo van Gogh – nicht mehr so fröhlich-anarchistisch, wie die Deutschen denken, und die Haager Politik ist seit dem kometenhaften Aufstieg des Volkstribunen Geert Wilders schon längst nicht mehr liberal.

In Deutschland regieren seit einem Jahr eine nonkonformistische ostdeutsche Bundeskanzlerin und ein schwuler Außenminister. Und auf den Feldern der Bundesliga dominieren die holländischen Weltstars: Arjen Robben im Süden, Ruud van Nistelrooy im Norden und Klaas-Jan Huntelaar im Westen. Wer hätte das vor einigen Jahren gedacht?

Rob Savelberg ist Deutschlandkorrespondent für De Telegraaf, die größte Zeitung der Niederlande. Er lebt seit 1998 in Berlin.

Die Leistung der Tigerente ist der Widerstand

VON BIRGIT BAUMANN

Ja, man muss es unumwunden zugeben: Aus journalistischer Sicht war die Bundestagswahl 2009 ein echter Glücksfall. Nicht, dass man sich die schwarz-gelbe Regierung privat gewünscht hätte. Aber als Korrespondentin aus Österreich, wo es seit 1945 insgesamt 45 Jahre lang eine große Koalition gab, hatte man von diesem schwarz-roten zwangsverehelichten, mühsam den Konsens suchenden Gemeinschaft in Deutschland echt genug.

Zwar brüllte am 27. September 2009 niemand im schwarz-gelben Chor siegestrunken „Jetzt geht’s lo-os!“, aber dennoch lag Aufbruchstimmung in der Luft. Endlich sollte es in eine Richtung gehen. Nicht mehr mühsam gestrickter Minimalkonsens einer großen Koalition, sondern die großen Würfe des wiedervereinten bürgerlichen Lagers harrten der Umsetzung. So zumindest wurde es dem Volk vermittelt – zumal auch die agierenden Granden sich von ihrer besten Seite zeigten. Horst und Guido kamen sich bei den Koalitionsverhandlungen so nahe, dass sie sich seither duzen.

Und dann kam alles anders. Oder, um es mit Joachim Gauck zu formulieren: „Sie träumten vom Paradies und erwachten mit der Hotelsteuer.“

Doch diese unverhohlene Bevorzugung der eigenen Klientel war nur der Vorgeschmack. Streit üßer Steuern, Streit über Gesundheit, Streit über Familien. Die vor der Wahl von manchen herbeigeschriebene schwarz-gelbe Tigerente erwies sich bald als äußerst flügellahm. Schön ist das nicht für Deutschland, auch nicht für ausländische Korrespondenten.

Denn wenn es nicht einmal die Partner schaffen, die sich tagein, tagaus als Wunschpartner anschmachteten, wer dann? Jahrelang trug die Union die Aussage: „Mit der FDP könnten wir viel besser regieren“ wie eine Monstranz vor sich her. Und dann kam die Realität in Form von Enttäuschung. Was sollte da noch schiefgehen?

Kein Wunder, dass die Frustration im Volk immer größer wird. Immerhin bildet sich jetzt ziviler Widerstand („Stuttgart 21“, Atomkraft) heraus. Grotesk, aber das ist die große Leistung der schwarz-gelben Koalition. Denn sie selbst hat ja kein Projekt von gesellschaftlicher Relevanz. Rot-Grün kämpfte für die Homoehe und gegen den Atomausstieg. Angela Merkel und Guido Westerwelle streiten über Steuersenkungen, an die ohnehin keiner glaubt. Manchmal wünscht man sich sogar als Österreicherin wieder die große Koalition herbei.

Birgit Baumann lebt seit 1999 in Berlin. Seit 2005 berichtet sie für den Standard, Österreichs auflagenstärkste Qualitätszeitung.

Die Angst vor den Muslimen in Deutschland

VON MAZEN HASSAN

Nach einem Jahr schwarz-gelbe Koalition stelle ich fest: Es ist nicht leichter geworden, aus Deutschland für Millionen von ägyptischen und arabischen Lesern zu berichten. Wobei es sich bei den Schwierigkeiten nicht um Themen wie Koalitionsstreit, die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Eurozone oder die wachsende Unzufriedenheit der Deutschen mit den Volksparteien handelt. Über diese Themen weiß der Korrespondent mit Ruhe und Erfahrung zu berichten.

Es handelt sich eher um ein sensibles Thema, das zunehmend in Deutschland diskutiert wird und die Gesellschaft spaltet: die Integration der Muslime. Das Thema beschäftigt die Politik und die Deutschen schon länger. Doch seit dem Mord eines Russlanddeutschen an der ägyptischen Muslimin Marwa El-Sherbini in einem Dresdner Gerichtssaal im Juli 2009 ist ein Schatten über die Integrationsdebatte entstanden. Muslimische Verbände betrachten die Tat als bisherigen Höhepunkt eines täglichen, zum Teil versteckten Rassismus gegenüber Muslimen. Sie kritisieren zunehmende islamophobe Tendenzen in Deutschland. Für viele Deutsche aber war es nur eine Einzeltat. Man forderte die Muslime sogar auf, sich endlich von Konspirationstheorien zu verabschieden und sich mehr anzustrengen, Teil der Gesellschaft zu werden.

Das Thema Islamophobie wird von der Politik ignoriert, auch bei der neuen Runde der Islam-Konferenz spielt es keine Rolle. Man hat den Eindruck, dass beide Seiten aneinander vorbeireden. Der Forderung an die muslimischen Mitbürger, die deutsche Sprache zu lernen, ihre Kinder zu fördern, keine Islamisten zu unterstützen und sich an die Gesetze zu halten, kann keiner widersprechen. Es entbrannten aber Diskussionen über Kopftücher, Moscheebauten und andere Aspekte des täglichen Lebens der Muslime, die per Gesetz verfassungsgemäß geregelt werden können. Muslimische Bürger klagen, dass man dauernd Forderungen an sie stellt, ohne ihre Sorgen und Ängste wahrzunehmen. Menschen, die hier geboren oder seit Jahrzehnten leben, sehen sich mit einer Kampagne konfrontiert, die an rassistische Stereotypen des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Muslimische Migranten werden so dargestellt, als wären sie nach Deutschland eingewandert, um Sozialleistungen zu beziehen.

Das schürt Ängste auf beiden Seiten. Integration ist keine Einbahnstraße, heißt es so schön. Dass die neue Diskussion in Deutschland aber das Gegenteil beweist, macht die Berichterstattung für ägyptische und arabische Leser, die seit dem Mord von Marwa El-Sherbini die Integrations-Islamophobie-Debatte aufmerksam verfolgen, nicht leicht.

Mazen Hassan ist seit 1994 Korrespondent von Al-Ahram in Berlin, der bekanntesten Tageszeitung im arabischen Raum.

Eine Dirigentin macht noch keine Musik

VON DEREK SCALLY

In der Wahlnacht des vergangenen Jahres bediente sich Angela Merkel einer musikalischen Metapher, als sie applaudierenden Anhängern für die zweite Amtszeit eine souveräne Dirigentin und „nicht etwas ähnlich Geartetes mit einem Dirigierstab in der Hand“ versprach. Ein Jahr später kämpft sie damit, die überagierenden Streicher der FDP mit den schmetternden Bläsern der bayerischen CSU in Gleichklang zu bringen. Die CDU geht in dem Klangwirrwarr unter.

Zunächst die positiven Punkte. Als Außenstehender glaube ich nicht, dass die deutsche Presse hinreichend gewürdigt hat, dass Frau Merkel in der Finanzkrise Ruhe bewahrt hat. Ihre aktuelle Regierung hat die Nerven behalten, auch noch, als die gleichen Finanzexperten, denen es nicht gelungen war, die Krise vorherzusagen, lautstark verlangten, dass die Regierungen mit Milliardenkrediten den wirtschaftlichen Einbruch abwenden sollten.

Berlin weigerte sich, dem Druck nachzugeben, und ist aus der Krise mit weniger neuen Schulden herausgegangen als seine EU-Nachbarn. Man muss anerkennen, dass es ein Verdienst von Angela Merkels politischer Philosophie ist, auf Sicht zu fahren.

Aber ihr politischer Pragmatismus sorgt zunehmend für Kummer in Europa. Der Rettungsplan für Griechenland und die Krise der Eurozone markieren im Nachhinein einen Wendepunkt in der Beziehung Deutschlands zu seinen EU-Partnern. Sie haben Deutschland erstmals als Land wahrgenommen, das seine eigenen Interessen den europäischen Interessen gleichstellt oder sogar überordnet.

Die Entwicklung scheint zwangsläufig: Das wiedervereinte Deutschland ist älter, ärmer. Die heutigen Politiker haben nicht mehr den Luxus der Kohl-Ära, für Europa alles tun zu können, egal, was es kosten mag, im Vertrauen darauf, dass die Leute schon einsehen werden, dass es Sinn macht.

Aber diese Realität birgt die Gefahr von Gleichgültigkeit, Feigheit. Jean-Claude Juncker beklagte sich neulich, er kenne niemanden aus Berlins politischer Klasse, der bereit sei, „Europa eine Chance zu geben“. Hat er recht? Guido Westerwelle zieht es vor, auf diese Frage nicht zu antworten. Angela Merkel macht es nicht viel besser. Das Time Magazine brachte sie im Januar als „Frau Europa“ auf den Titel; aber auf die Frage, was sie nun mit der Macht anfängt, die sie in Europa besitzt, wusste sie keine Antwort.

Deutschland durchlebt eine Midlife-Krise in Bezug auf die EU, und seine Regierung ist unfähig oder unwillig, eine Vision für Europa zu entwickeln. Fragt man nach dem Regierungskurs der Deutschen für Europa, verdrehen die Beamten des Außenministeriums die Augen. Die griechische Krise hat allen klar gemacht, was Deutschland nicht länger für Europa zu tun bereit ist. Aber zu was ist Deutschland bereit? Wenn Deutschlands Nationalinteresse wieder Bestandteil der europäischen Politik sein soll, warum gibt es keine vernehmbare Diskussion darüber auf Regierungs- oder gesellschaftlicher Ebene?

Es nähert sich der 20. Jahrestag der Wiedervereinigung. Es hat fast etwas Wehmütiges, sich an Margaret Thatchers Sorge zu erinnern, ein wiedervereintes Deutschland könne Europa dominieren. Heutzutage ist ein Grund zur Sorge nicht ein Zuviel an deutschem Engagement bei europäischen Belangen, sondern das Zuwenig. Was will Deutschland in der EU? Merkels „Fahren auf Sicht“ reicht nicht. Und eine Dirigentin brauchen wir auch nicht. Es wird Zeit für Merkel, den Dirigierstab wegzulegen und endlich selber Musik zu machen.

Übersetzung: Sabine Seifert

  Derek Scally berichtet seit zehn Jahren für die Irish Times aus Berlin. Die Tageszeitung wurde als Sprachrohr der irisch-protestantischen Minderheit gegründet und gilt als führende Zeitung Irlands.

Glück in der Liebe, Pech für Schland

VON ELDAD BECK

Masel tov! Nach einem Jahr politischer Ehe mit der Union hat Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle schließlich seinem Lebenspartner offiziell das Ja-Wort gegeben. Es passiert oft, dass Leute mit Schwierigkeiten im Privatleben, Flucht in der Arbeit suchen. Bei Westerwelle scheint es umgekehrt zu sein: Sein politischer Stern ist vom Himmel gefallen, und er findet sein Glück in der Liebe.

Ein perfektes Timing. Denn die meisten haben inzwischen vergessen, dass Westerwelle eigentlich liberal ist. Vor der Wahl hatte er angekündigt, den Staaten, die die Rechte von Frauen oder Homosexuellen nicht achten, die Entwicklungshilfe zu streichen. Nach der Wahl war das vom Tisch. Westerwelle besuchte Saudi-Arabien und Jemen, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht und Frauen systematisch diskriminiert werden.

Als sich in Berlin vor genau einem Jahr eine liberal-konservative Regierung bildete, machte Deutschland gerade eine bedrohliche Finanzkrise durch. Die Liberalen in Deutschland und auch anderswo erlebten die stärkste politische Wiedergeburt seit Jahrzehnten. Warum eigentlich? Weil die Wähler plötzlich in der Misere die Genialität des wirtschaftlichen Liberalismus erkannten? Eher nicht. Die Wähler votierten für den Liberalismus, weil er auch für was anderes steht: individuelle Freiheit.

Die von Thilo Sarrazin angestoßene Integrationsdebatte hätte die FDP initiieren müssen – gerade weil es in der Partei gute Integrationsbeispiele gibt. Und die FDP hätte sich dafür einsetzen müssen, dass jeder in diesem Land sich kleiden darf, wie er oder sie es will, solange kein Zwang dazu besteht. Die FDP hätte einen Kampf anführen sollen, dass jede Religionsgemeinschaft in diesem Land das Recht hat, Gebetshäuser zu bauen, solange dort die Menschenrechte respektiert werden. Die FDP aber hat leider bei all dem versagt.

Eine Frage stellt sich noch: Trotz des ständigen Regierungsgezänks geht es Deutschland insgesamt gut. Man hat sogar nach fast 20 Jahren den Grand Prix de la Chanson wieder gewonnen – nicht dass die Regierung was damit zu tun hätte. Warum sind dann die Deutschen mit dieser Bundesregierung so unzufrieden?

Vielleicht weil sie Unzufriedenheit gewöhnt sind. Selbst wenn es ihnen gut geht, geht es ihnen schlecht. Wie man es auf Jiddisch formulieren könnte: Schland, Oy vey-Schland.

■  Eldad Beck ist Deutschland- und Europa-Korrespondent der israelischen Zeitung Jedioth Ahronot. In Israel erschien kürzlich sein Buch mit Reportagen aus arabischen und muslimischen Ländern.

Weiter so, strenge Angie, das lässt hoffen!

VON GUIDO AMROSINO

Es ist nur ein kleiner Posten im Sparpaket der Bundesregierung, aber der Wegfall des Elterngeldes für Hartz-IV-Bezieher spricht Bände über die sarrazinische Perfidie der schwarz-gelben Koalition: Keine „falschen Anreize“ für die Vermehrung der (leider) so fruchtbaren „Unterschichten“. Schon die Umstellung 2007, zu Zeiten der großen Koalition, von einer gleichen Pauschale für alle Kinder zu einem gestaffelten Betrag je nach Einkommen der Eltern war ein „Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik“ hin zu einer qualitativen Bevölkerungspolitik. Erklärtes Ziel der Kanzlerin und der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen war eine Steigerung der Kinderzahl von Akademikerinnen. Thilo Sarrazin ist erst drei Jahre später darauf gekommen.

Angela Merkel mag den rassistisch-biologistischen Duktus von Sarrazin nicht, aber ihre Koalition braucht vom Bundesbanker a. D. keinen Nachhilfeunterricht im „Unterschichten“-Bashing. Unvergessen die Tirade von Vizekanzler Westerwelle: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Die Denunziation der Faulheit der Armen hat Tradition in der spätdeutschen Dekadenz des demokratischen Diskurses.

Zu Recht behauptet die Vorsitzende der CDU, „konservativ“ zu sein. Merkel ist sozial-konservativ, weil sie glaubt, dass soziale Unterschiede im Grunde gerecht sind und als solche bewahrt werden müssen: Wohlstand als verdiente Prämie für die Tüchtigen. Das hängt auch mit ihrem Menschenbild zusammen – das mehr bürgerlich-protestantisch als christlich ist, wie sie in der FAZ erklärt hat. Sie scheint wirklich an die Mär zu glauben, dass Deutschland „seit 1949 ein Land der Chancen für jeden einzelnen“ war – und zwar durch Bildung. Das bedeutet im Umkehrschluss, auch wenn sie es nicht sagt, dass diejenigen, die unten bleiben, selber schuld sind, weil sie sich nicht bemüht haben. Deswegen verspricht sie „Strenge“ gegen die ominösen „Integrationsunwilligen“.

Trotz oder wegen dieser konservativen Rhetorik hat Schwarz-Gelb in einem Jahr laut Umfragen die Mehrheit verspielt. Weiter so, Angie, das lässt hoffen.

■  Guido Ambrosino berichtet seit 1985 aus Deutschland für die selbstverwaltete linke italienische Tageszeitung il manifesto.

Russland, die Zitrone und der Stillstand

VON ANNA ROSE

Vor kurzem habe ich einen Leserbrief bekommen: „Schreiben Sie bitte mehr über Angela Merkel. Wir haben uns in sie verliebt. Jedes Mal, wenn Sie im Fernsehen erscheint, füllt sich unsere Seele mit Freude.“

Die Leser meiner Zeitung sind keine CDU-Anhänger. Sie sehen Angela Merkel so, wie sie das russische Fernsehen präsentiert. Als Regierungschefin eines Landes, das Russland mit Investitionen, Innovationen und schönen robusten Autos helfen soll. Dass Deutschland eine Demokratie ist und das System an sich wichtiger als die Person an der Spitze, versteht ein einfacher russischer Bürger nicht. Allerdings sind im letzten Jahr Parallelen sichtbar geworden: Das einzige Programm von Frau Kanzlerin ist der eigene Machterhalt. Mit welchen politischen Inhalten sie es füllt, ist eher nebensächlich.

Das vergangene Jahr hat jedoch gezeigt, dass das nette Dasein an der Spitze der Regierung von Opposition und Volk zu einem mühsamen Unterfangen gemacht werden kann. Das Pech der Kanzlerin ist der selbstbewusste deutsche Wähler, der sich nicht so leicht an der Nase herumführen lässt.

Es ist interessanter geworden, aus Deutschland zu berichten. Vor der ersten Wahl Merkels haben mir russische Kollegen gesagt: Es ist doch egal, wer in Deutschland regiert, viel Veränderung wird es nicht geben. Sie haben sich geirrt.

Es gibt Veränderungen: Im deutsch-russischen Verhältnis ist absoluter Stillstand eingetreten. Ab und an reist Merkel nach Russland und lächelt nett, wenn sie das Thema Menschenrechte streift. Ansonsten sieht sie es als lästige Pflichterfüllung an, wenn sie mit einem Tross von Wirtschaftsvertretern nach Russland fährt. Unter Schröder hatte man in Russland das Gefühl, als Partner ernst genommen zu werden. In der großen Koalition bemühte man sich, die Partnerschaft auf das Beiwort „strategisch“ zu beschränken. Jetzt will Merkel gar nicht mehr auf Augenhöhe mit meinem Land diskutieren.

Bei meinen Fragen zur Russlandpolitik verzieht sie meistens das Gesicht, als ob sie eine Zitrone gegessen hätte. Ihr Außenminister hat bei einem Treffen mit dem Verein der ausländischen Presse das Thema Russland lieber gar nicht erst in den Mund genommen. Auf meine Nachfrage verweigerte er ein Statement und empfahl, seinen Vortrag bei der Münchener Sicherheitskonferenz nachzulesen.

All das versuche ich in den Artikeln für meine Zeitung darzustellen. Der Leserbriefverfasser wird enttäuscht sein.

■  Anna Rose arbeitet seit 2008 als Deutschlandkorrespondentin der russischen Zeitung Rossijskaja gaseta. Die Zeitung gilt als regierungsfreundlich, lässt aber ihren Autoren viel Spielraum, solange sie Wladimir Putin und den Kreml nicht direkt kritisieren.

Hiroshima beobachtet Westerwelle

VON MORIHIKO KOTANI

Viele Japaner erinnerte der diesjährige Sommer an die Hitze im August 1945 während der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Aktuell gibt es einen großen Wandel beim Gedenken an die Atombombenabwürfe – fast ein Jahr nach dem Aufruf des amerikanischen Präsidenten Barack Obama in Prag für eine atomwaffenfreie Welt. Die diplomatischen Vertreter der ehemaligen Siegermächte Amerika, Großbritannien und Frankreich, die niemals zuvor an der Gedenkzeremonie am 6. August teilgenommen haben, waren erstmals dabei. Sie hatten sich bisher geziert, weil der Oberbürgermeister von Hiroshima, Tadatoshi Akiba, stets kritisiert hatte, ihre Länder besäßen noch Atomwaffen. Erst als Akiba vor einem Jahr zur Unterstützung Obamas sagte: „We are the Obamajority“, trat Veränderung ein.

Bisher ist der Wunsch der Atombombenopfer unerfüllt geblieben, dass Obama sich in Hiroshima vor dem Opferdenkmal verneigt. Noch nie hat ein amerikanischer Präsident das Denkmal besucht. Der Grund ist: In Amerika gibt es den Mythos, dass die Atombombe das Ende des Krieges gegen Japan gebracht hat, ohne weitere amerikanische Soldaten zu opfern. Diese Meinung ist seit Trumans Präsidentschaft weit verbreitet, obwohl Historiker dies in Frage stellen.

„Dieser Fehler soll sich nicht wiederholen“ – das sind die berühmten Wörter auf dem Opferdenkmal in Hiroshima. Für mich als japanischer Journalist ist das der Ausgangspunkt meiner Berichterstattung über das Thema Atomabrüstung. Vor einem Jahr zog die Vereinbarung über die Atomabrüstung im Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb mein besonderes Interesse auf sich. Aber jetzt, nach einem Jahr, habe ich den Eindruck, dass die Bundesregierung sich noch nicht entscheiden konnte, wie weit sie sich von den USA in Bezug auf dieses Thema entfernen soll. Offensichtlich wollte Bundeskanzlerin Merkel nicht über dieses Thema sprechen. Zwar spricht Außenminister Westerwelle manchmal darüber, aber es ist schwierig für mich, in seinem Wortlaut ein tieferes persönliches Bestreben zu finden.

Ich habe Westerwelle fast ein Jahr lang um ein Gespräch zu diesem Thema gebeten. Erst im letzten Monat entsprach er diesem Wunsch. Auf meine Frage, ob er Hiroshima einmal besuchen wolle, wich er aus. „Weitere Besuche (in Japan) werden mit Sicherheit folgen.“ Nachfragen waren nicht erlaubt.

Anfang September traf sich Westerwelle mit dem japanischen Außenminister Okada in Berlin und verkündete mit ihm die Gründung der Gruppe der „Nicht Atomwaffen besitzenden Länder“. Aber bei genauer Betrachtung, darauf möchte ich hinweisen, ist Deutschland kein atomwaffenfreies Land. Auf meine Frage erklärte ein Zuständiger der japanischen Delegation: „Wir zielen in eine sehr ähnliche Richtung wie Deutschland.“

Denken die Hiroshima-Opfer auch so? Ob das Engagement in Sachen Atomabrüstung der schwarz-gelben Regierung nur eine verbale Ankündigung bleibt oder ein Motor zur Realisierung der atomwaffenfreien Welt wird – Hiroshima wird die deutsche Außenpolitik genau beobachten.

■  Morihiko Kotani arbeitet seit März 2007 in Deutschland für Mainichi Shimbun. Die älteste japanische Tageszeitung hat eine tägliche Auflage von etwa vier Millionen Exemplaren.

Frau Merkel schätzt man im Rückblick

VON BROOKE UNGER

The Economist sprach sich vor einem Jahr für eine christlich-liberale Koalition aus. Vor den Wahlen baten wir die Deutschen, „Angela Merkel freizugeben“. Wir glaubten, sie müsse sich von der SPD lösen, die nach den Schröder-Jahren Angst vor Reformen hatte, und könne in einer Koalition mit den Liberalen ihre Reformagenda verwirklichen: Gesundheit, Arbeitsmarkt, Steuern. Danke, dass Sie unserer Empfehlung gefolgt sind. Was das Resultat angeht, ist The Economist jedoch bis jetzt auch nicht begeisterter als die meisten deutschen Wähler.

Dennoch möchte ich in einem Punkt widersprechen, bei dem ich glaube, dass Frau Merkel missverstanden wird. Ich meine damit die Annahme, sie habe keine „Vision“. Logisch, dass ihre Gegner das so sehen. Doch selbst ihre Anhänger beklagen fehlende politische Leidenschaft. Da, wo sie mit dem Herzen dabei sein sollte, beeindrucke sie mit einer bewundernswerten Detailkenntnis der Materie, Pragmatismus und Machtinstinkt.

Dem stimme ich so nicht zu. Richtig, Merkel sind Ideologie und Pathos fremd. Trotzdem hat sie eine Leitidee, die es verdient, „Vision“ genannt zu werden. Sie will Deutschland auf die ferne Zukunft vorbereiten – hinsichtlich solcher Herausforderungen wie dem demografischen und klimatischen Wandel, der Integration, dem Aufstieg Asiens. Einige davon spiegeln sich in den Ängsten wider, die Thilo Sarrazin so brisant vermischt hat.

Warum nur wird Angela Merkel des Opportunismus bezichtigt? Vielleicht weil sie es nicht geschafft hat, ihr Anliegen in einer „erzählerischen Verpackung“ zu vermitteln. Für eine politische Führungspersönlichkeit ist nicht allein entscheidend, was sie tut, sondern wie sie erklärt, warum sie es tut. Sie müsste dies mit einer spannenden Geschichte tun, damit ihre Wählerschaft den Sinn ihres Handelns versteht.

Eine derartige Vorgehensweise ist Frau Merkel fremd. Das war während der großen Koalition auch nicht so wichtig – sie war die erste ostdeutsche Kanzlerin. Doch dann kam die Krise, und damit war eher Handeln als Erklären gefragt. Die große Koalition bot damals selbst Stoff für eine Geschichte: Während sich Trojaner und Achaier die Köpfe einschlugen, thronte Frau Merkel auf dem Olymp, bis der Moment der Verkündung von Sieg oder Niederlage kam. Bei Schwarz-Gelb hat sie eine andere Rolle zu spielen, nämlich eher die einer Königin von Kriegern. Noch immer sagt sie nicht, wofür und warum ihr Heer kämpft.

Weil Angela Merkel schwer zu deuten ist, wird sie schnell unterschätzt. Die Leistungen der großen Koalition waren besser als angenommen. Ich sage nicht voraus, dass Frau Merkels Kritiker unrecht haben werden, gibt es doch viele Möglichkeiten zu scheitern. Doch ich habe sie nicht abgeschrieben. Frau Merkel, so ist meine Vermutung, wird man eines Tages wohl eher im Rückblick zu schätzen wissen.

Übersetzung: Sabine Seifert

■  Brooke Unger leitet seit drei Jahren das Berlin-Büro des liberalen britischen Wirtschafts- und Wochenmagazins The Economist.

Versprecher statt Versprechen

VON JØRN UZ RUBY

Normalerweise werden Widersprüche in der Politik als Eigentore eingeschätzt, in der schwarz-gelben Regierung scheinen sie Konzept geworden zu sein. Für den Korrespondenten ist die Berichterstattung des letzten Jahres über die deutsche Regierung deshalb ein gefundenes Fressen gewesen. Für die andere Seite wohl eher ein Annus horribilis.

Von der Euphorie des Wahlsieges ist nicht viel übrig. Zusammen würde das Regierungsbündnis heute magere 37 Prozent der Stimmen zusammenkratzen. Der Löwenanteil der Verluste geht auf das Konto der FDP, die gegenwärtig am Rande der Sperrklausel rangiert. Darf man vermuten, dass es daran liegt, dass die FDP nach elf Jahren in der politischen Diaspora an Wirklichkeitsverlust leidet? Jedenfalls benehmen sich die Liberalen, als hätten sie nicht mitbekommen, wie sich die Welt verändert hat. Eifrig bestrebt, Regierungsfähigkeit zu demonstrieren, hat die liberale Partei so stark auf alte liberale Werte gepocht – nach dem Motto: weniger Staat, mehr Freiheit für die Bürger –, dass sie sich nun selber im Weg steht. Nur wenige Bundesbürger, auch nicht die FDP-Wähler, haben sich nach der wohl größten Wirtschaftskrise seit dem Krieg einen schwächeren Staat gewünscht. Im Gegenteil erwarten die Bürger, dass sie der Staat mit angemessenen Maßnahmen schützt, wenn sie von Terroristen oder internationalen Börsenhaien bedroht werden.

Wenn Liberale das Zeitgefühl verloren haben, was heißt es dann heute, konservativ zu sein? Von den eigenen Parteimitgliedern wird Angela Merkel mangelnder Konservatismus vorgeworfen, von der Opposition Mangel an Führung. Was macht sie?

Die vor der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 hochstilisierte „Klimakanzlerin“ sattelt den alten konservativen Atomklepper und zieht gegen Windmühlen zu Felde. Wie sonst erklärt man einerseits den Kniefall vor der Atomindustrie und andererseits ihr Versprechen, Millionen von Euro für Klimaschutz im Haushalt bereitzuhalten? Vielleicht war das kein Versprechen, sondern ein Versprecher.

■  Jørn Uz Ruby ist seit zwei Jahren Berlin-Korrespondent der dänischen Zeitung Jyllands-Posten.

Die Zwangsehe von Angela und Guido

VON AHMET KÜLAHCI

Als Willy Brandt, das Denkmal der deutschen Sozialdemokratie, 1974 wegen der Guillaume-Affäre seinen Platz im Bundeskanzleramt räumen musste, war ich noch ein Student. Als sein Nachfolger Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982 infolge des Seitenwechsels der FDP abgesetzt wurde, arbeitete ich schon als Journalist bei der Hürriyet. Daran, wie er sich nach dem konstruktiven Misstrauensvotum widerwillig vom Sitz erhob, um dem neuen Bundeskanzler Helmut Kohl zu gratulieren, erinnere ich mich, als sei es gestern erst passiert. Ebenso an den Abgang des „schwarzen Riesen“ Helmut Kohl nach 16 Jahren an der Macht. Und natürlich an die Ankunft von Gerhard Schröder.

Nach der Bundestagswahl im September 2005 wurden wir alle Zeugen, wie die SPD eine große Koalition mit der CDU/CSU einging, obwohl Schröder seiner Rivalin Angela Merkel noch am Wahlabend zugerufen hatte: „Frau Merkel, Sie glauben wohl nicht, dass die Sozialdemokraten Sie unterstützen werden!“

Ob Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl – keiner von ihnen koalierte mit den Liberalen, weil sie diese besonders mochten, sondern weil sie mussten. Keine dieser Partnerschaften war eine „Liebesheirat“, eher schon eine „Zwangsehe“. Das Gleiche gilt für Merkels große Koalition mit der SPD. Und es gilt für die vor einem Jahr gebildete Koalition mit der FDP.

Die FDP führte, ermuntert durch das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte, harte Koalitionsverhandlungen. Doch interne Reibereien, die es bei nahezu jedem Thema gab – ob Sparpaket, Steuersenkungen, Gesundheitsreform oder Abschaffung der Wehrpflicht –, haben dazu geführt, dass die Regierung Merkel/Westerwelle in ihrem ersten Jahr keine erkennbare politische Linie entwickelt hat.

Natürlich wirkt sich dieser Umstand auf das Zeugnis der gesamten Regierung aus. Aber am meisten gereichten diese Reibereien der FDP zum Nachteil. Von den 14,6 Prozent, die die FDP 2009 gewann, hat sie Umfragen zufolge gut die Hälfte eingebüßt. Ihre Widerspenstigkeit, die sich aus ihrer neuen Kraft nährte, hat die FDP schließlich geschwächt.

Und natürlich lässt dies den Stuhl von Westerwelle wackeln. Aber so sehr sich die Partner auch aneinander reiben mögen, sind sie doch entschlossen, diese „Zwangsehe“ bis zum Schluss fortzusetzen. Genauer: Sie sind dazu gezwungen. Denn Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Westerwelle wissen, dass eine vorzeitige Trennung den Regierungsparteien am meisten schaden würde. Sie wissen das sogar sehr gut.

Übersetzung: Deniz Yücel

  Ahmet Külahci lebt seit 1973 in Deutschland und arbeitet seit 1980 für die türkische Boulevardzeitung Hürriyet. Seit 2000 leitet er ihr Berliner Büro.