die taz vor fünf jahren über den schock im angesicht des anschlags vom 11. september 2001
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Wie nennt man das? Pearl Harbour II? Oder schlimmer? Das Pentagon brennt, ebenso das State Department. Der sicherste Ort in den USA ist an diesem Tag wohl die Sendezentrale von CNN.

Denn wer für diesen Angriff verantwortlich ist, will, dass die ganze Welt diese Bilder sieht – immer und immer wieder: Wie ein Flugzeug den zweiten Turm des World Trade Centers rammt, wie blutverschmierte Offiziere aus dem Washingtoner Verteidigungsministerium kriechen, wie die einzige Supermacht in ihrer ganzen Hilflosigkeit vorgeführt wird. Denn kein Sicherheitsplan und keine Elitetruppen können verhindern, dass Selbstmordkommandos Flugzeuge entführen und sich mit ihnen in die Machtzentren der USA stürzen.

Dies ist jedenfalls der Tag, an dem das Gefühl der Sicherheit, der Unangreifbarkeit verloren gegangen ist. Pearl Harbour war ein Angriff auf die amerikanischen Soldaten an der Peripherie des Landes. Dies aber ist der erste Angriff gegen die USA in den USA. Zivilisten sind die Opfer, es gibt keine offzielle Kriegserklärung, bislang keinen identifizierbaren Feind, gegen den man zurückschlagen kann, nur Spekulationen und einen Hauptverdächtigen: Ussama Bin Laden.

Es gibt, bis vier Stunden nach dem Angriff, nur eine kurze Erklärung des Präsidenten, der wie immer die falschen Worte findet: „We will hunt down those folks.“ – „Diese Burschen schnappen wir uns.“ Währenddessen lässt New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani Lower Manhattan evakuieren, und die afghanischen Taliban, seit langem Gastgeber von Ussama Bin Laden, lassen in einer Presseerklärung ihr „Mitgefühl mit dem Leiden der amerikanischen Kinder“ verlauten. Was wohl heißen soll: bitte keine Bombenangriffe auf Kabul, wir haben damit nichts zu tun.

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten US-Kampfflugzeuge zur „Strafaktion“ losgeschickt werden. Bloß gegen wen, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Andrea Böhm in der taz vom 12. 9. 2001