„Was ist es denn geworden?“

GESCHLECHT Die Grünen unterstützen Intersexuelle, die auf vielfältige Art benachteiligt sind. Das beginnt schon mit dem Zeitdruck auf dem Standesamt

Mit Genitaloperationen wird versucht, Kindern ein „eindeutiges“ Geschlecht zuzuweisen

Die schlichte Frage: „Was ist es denn geworden?“ kann für frische gebackene Eltern komplizierter sein, als traditionell angenommen wird. Erst seit den Diskussionen um die das Geschlecht der südafrikanischen Sprinterin Caster Semanya, die vergangenes Jahr in Berlin Weltmeisterin über 800 Meter wurde, ist die Existenz von Intersexualität ein wenig bekannter. Nach diversen Geschlechtstests darf Semanya, wie der internationale Leichtathletikverband kürzlich entschied, wieder offiziell als Frau starten – in Bremen wollen die Grünen nun dafür kämpfen, dass Menschen nicht vom Männlich/Weiblich-Schema überrumpelt werden.

Genaue Zahlen, wie viele Intersexuelle in Bremen leben, gibt es nicht. Betroffen ist jedenfalls eine relativ kleine Gruppe, die nicht mit den in Bremen gut organisierten Transsexuellen verwechselt werden soll: Transsexuelle haben zwar ein eindeutiges biologisches Geschlecht, empfinden sich aber einem anderen Geschlecht zugehörig. Intersexuelle hingegen sind genetisch, also aufgrund ihrer Geschlechtschromosomen, wie auch hormonell und anatomisch uneindeutig, bezogen auf die duale Geschlechternorm.

„Minderheiten muss man helfen, auch wenn nicht Hunderte betroffen sind“, begründet Björn Fecker, der innenpolitische Sprecher der Grünen, sein Engagement. Zudem sei die Dunkelziffer sehr hoch: „Viele Menschen wissen ja gar nicht, wie sie auf die Welt gekommen sind.“ Mit Genitaloperationen im ersten Lebensjahr wird versucht, Kindern ein „eindeutiges“ Geschlecht zuzuweisen. Solcherart normiert leiden sie häufig unter schweren Depressionen, ohne dass ihnen die Ursache bekannt ist.

Die parlamentarische Initiative der Grünen soll im November in der Bürgerschaft beraten werden, derzeit prüft die SPD, ob sie sich die Initiative ebenfalls zu eigen macht. Die Grünen setzen zunächst darauf, betroffene Eltern vom Zeitdruck zu befreien. Der Senat soll daher prüfen, ob eine verbindliche Frist besteht, innerhalb derer auf dem Standesamt das Geschlecht des Neugeborenen definiert wird. Bislang ist es üblich, dass bei der Meldung eines Kindes, die innerhalb weniger Tage nach der Geburt erfolgen muss, auch gleich das Kreuz bei „männlich“ oder „weiblich“ gemacht wird – anderes ist ohnehin nicht vorgesehen. „Es ist sehr wichtig, den betroffenen Eltern erstmal Zeit zu geben, sich von Fachleuten beraten zu lassen“, sagt Fecker.

Das setzt freilich voraus, dass Eltern von Hebammen oder Kinderärzten kompetent auf eine eventuelle Intersexualität ihres Kindes hingewiesen werden. Die Grünen fordern daher, das Thema in Weiterbildungen für Ärzte, Hebammen und Therapeuten zu behandeln. Auch im allgemeinen Schulunterricht soll Bewusstseinsbildung betrieben werden. In Hamburg wurde eine entsprechende Initiative der Grünen vor kurzem von allen Fraktionen unterstützt. HB