MICHAEL STRECK über TRANSIT
: Das einzige Nashorn von Südafrika

Wer verreist, will unverwechselbare Dinge erleben. Aber was passiert, wenn es die nicht gibt?

Vor wenigen Tagen saß ich in einem Restaurant in Afrika. Ich hatte einen langen Flug hinter mir, war froh, angekommen zu sein, und freute mich auf einheimische Speisen. Ich suchte das Menü nach Fischgerichten ab und wurde fündig. Seehecht. Dazu ein Glas Weißwein aus der Gegend – eine Gaumenfreunde.

Später, Fisch und Wein vermengten sich gerade wohlig ein meinem Magen, lobte ich dem Kellner gegenüber den Geschmack des Meerestieres und murmelte irgendetwas in Richtung leckerer Fang des Tages. Der Kellner, ein freundlicher Inder, lächelte schlitzohrig und sagte: „Lecker Hecht aus Holland.“

Meinem Urlaub sollten fortan die reinen Momente nicht mehr gelingen.

Mit den nervensägenden Fröschen fing es an. Im Innenhof des Hotels quackten diese tropischen Viecher nach Sonnenuntergang so laut, dass man eine mutierte Froscharmee aus einem Science-Fiction-Streifen vor dem Hotel vermutete. Der Lärm war vom Personal beim Einquartieren als unvermeidbares regionales Froschverhalten angekündigt – damit man die Herbergsleitung nicht später falscher Ruheversprechen bezichtigen konnte.

Irgendwann ging ich an dem Wasserbecken vorbei, aus dem die Frösche angeblich in rhythmischen Abständen quackten. Sie fingen wieder an. Doch wo ich auch suchte, ich fand keine passenden Tiere zu dem Geräusch. Nur zwei schwarze Plasteboxen hinter Steinen versteckt. „Made in China“.

Den nächsten Tag kehrte ich in ein anderes Hotel ein. An der Rezeption das übliche Fragen nach Pass, Kreditkarte usw. Nachdem ich den Zimmerschlüssel erhalten hatte, führte mich die Frau des Hauses in den Garten, zeigte mit dem Finger in Richtung des an das Grundstück angrenzenden Sees und warnte vor Nilpferden. Punkt sechs Uhr kommen die grauglänzenden Kolosse aus dem Wasser gestiegen, stampfen die Böschung hinauf und werden bei falschen menschlichen Bewegungen sehr ungemütlich. Sie wollte mich nur gewarnt haben.

Um sechs stand ich in sicherer Entfernung auf der Hotelveranda. Auf dicken Holzpfählen, vier Meter hoch. Kein Nilpferd nirgends. Auch nicht um sieben.

Am nächsten Tag die gleiche Enttäuschung. Natürlich, dachte ich, gibt es hier keine Nilpferde mehr, auch wenn jedes Hotel im Dorf damit wirbt und den armen Reisenden nur die Taler aus der Tasche zieht mit der Verheißung. Ich wurde auch nicht gläubiger, als ich das Foto (mit Datum) neben der Bar hängen sah. Ein Nilpferd, das den Swimming-Pool leer trinkt. Wahrscheinlich mit Photoshop zurechtgefälscht.

Das Gleiche galt für Wale, Delfine und Schildkröten. Es gibt sie nicht. Nur Illusionsmarketing.

Alles erschien als ein großer Betrug. Das Gekreische exotischer Vögel. Wahrscheinlich aus Lautsprecherboxen. Die Rieseninsekten. Vermutlich ferngesteuert. Und Zebras. Umgestrichene Pferde.

Und dann auf einmal das dickhäutige Rhinozeros. Einsam stand es weit entfernt, aber deutlich zu erkennen unter einem Baum. War es echt oder eine Täuschung? Nashörner treffen, so hatten es Reiseführer und sonstige Kenner der afrikanischen Wildbahn gesagt, ist so unwahrscheinlich, wie dass Energie Cottbus deutscher Fußballmeister wird.

War es also ein Pappkamerad, ein Scherz der Naturpark-Verwaltung, ein Deal mit Kodak, damit wir unsere ganze Verwandtschaft mit Fotokopien versorgen, oder die Idee eines weisen Menschen, der nicht will, dass die Geschichten für unsere Kinder weniger fantastisch werden?

Eigentlich ist es egal. Das Unverwechselbare schwindet. Wir brauchen gute Illusionen. Der Umgang damit ist überdies ein hervorragendes Training für die Zukunft. Wenn alles noch ein bisschen gleicher sein wird.

Also habe ich Seehecht aus dem Indischen Ozean genossen (vielleicht war es auch nur ein Spaß), die lautesten Frösche der Welt gehört (vielleicht waren die Plasteboxen für die Belüftung), mich vor Nilpferden in Acht genommen und das einzige Nashorn Südafrikas gesehen.

Fotohinweis: MICHAEL STRECK TRANSIT Fragen zur Illusion? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE