Im Stuhlkreis

ORTSTERMIN Schwul und lesbischen Jugend-gruppen aus Baden-Württemberg fehlt es an Raum und Geld, wie ein Vernetzungstreffen zeigt

Die Jugendleiter wissen, dass sie lauter trommeln müssen als andere, um ihre Interessen zu formulieren

Ein Stuhlkreis auf gelbem Linoleumboden, es gibt Kaffee und Hefezopf. So hatte sich Bruno (24) eine schwule Jugendgruppe immer vorgestellt: „Ein bisschen wie bei den Anonymen Alkoholikern. Zusammensitzen und über Probleme reden.“

So ist es nicht. Seit acht Jahren trifft er sich wöchentlich mit der Gruppe „Schwul um Biberach“ zum Filmeabend, Waffelnbacken oder Glühweintrinken auf dem Weihnachtsmarkt.

Weil er die Gruppe inzwischen leitet, sitzt er an einem Samstag in Mannheim nun doch in einem Stuhlkreis und redet über Probleme schwuler und lesbischer Jugendgruppen, die keinen Platz und kein Geld bekommen, und es deshalb schwer haben.

Zwölf Jugendleiter solcher Gruppen sind zum Vernetzungstreffen gekommen, Männer und Frauen aus ganz Baden-Württemberg: Bruno aus Biberach, andere aus Tübingen, Freiburg und Mannheim. Der Landesverband Lambda und das Netzwerk LSBTTIQ haben den Tag organisiert. Die Tagesordnung ist eng gestrickt. Die Kaffeepausen fallen aus.

Es sind die kleinen Geschichten an diesem Tag, die zeigen, was im Argen liegt. Die von einem Mädchen zum Beispiel, das mit dem Zug zweieinhalb Stunden durch den Odenwald gefahren ist, um zu einem Treffen der Jungen Lesben in Mannheim zu kommen, weil es auf dem Land oft keine Gruppen für homosexuelle Jugendliche gibt.

Kleine Gruppen unter 30 Jugendlichen erhielten in Mannheim kein Geld vom Stadtjugendring, erzählt Florian. „Das schaffen wir mit einer Coming-out-Gruppe ja nie.“

Oft fehlt der Raum. In Biberach war die Gruppe SchwuB zeitweise im Hinterzimmer des Jugendparlaments zu Hause. Die Tübinger (Tübian) treffen sich bei der Aidshilfe. Das sei wieder so ein negativer Aspekt, sagt Bruno, das Klischee eben. Schwule und Aids. Städtische Jugendräume nutzt keine der Gruppen. „Wir können uns nirgends ausbreiten“, sagt Dani aus Mannheim. Ohne dass sie es wollte, ist ihr Satz ein Spiegel für die Gesellschaft in Baden-Württemberg.

Die Arbeit der ehrenamtlichen Gruppenleiter hat sich politisiert. Vor allem durch den Bildungsplan, der in Baden-Württemberg Akzeptanz sexueller Vielfalt enthalten soll, aber von manchen Eltern massiv abgelehnt wird. Die Eltern fürchten die „Frühsexualisierung“ ihrer Kinder. Ablehnung und Ängste kennen hier alle, aus eigener Erfahrung oder aus der Arbeit mit den Jugendlichen. Trotzdem schockiert die aktuelle Diskussion in ihrer Vehemenz.

Die Stimmung beim Vernetzungstreffen ist nicht niedergeschlagen, sondern ehrgeizig. Die Jugendleiter wissen, dass sie lauter trommeln müssen als andere, um ihre Interessen zu formulieren. Deshalb bezeichnen viele die politischen Forderungen in der Feedback-Runde als wichtigsten Punkt des Tages.

Das nächste Mal wollen sich die Jugendleiter zur Klausur für ein ganzes Wochenende treffen. Damit neben der politischen Arbeit auch Zeit für Kaffeepausen bleibt. LENA MÜSSIGMANN