Ausdruck bis zur Erschöpfung

OPER ANDERS Die Novoflot-Kompagnie zeigt in den Sophiensälen mit „Was wir fühlen“ eine Kritik an der Darstellung von Emotionen in der Oper

Die SängerInnen sind besser als gut, sie können singen, schauspielern, sich verrenken

Zwei Jahre lang hat sich die Berliner Opernkompanie Novoflot nicht in den Sophiensälen blicken lassen. Man hatte sie schon schmerzlich vermisst, war es doch vorher immer schön im Einjahresrhythmus zu Novoflot-Happenings gekommen. Die dreiteilige Weltraum-Saga „Kommander Kobayashi“ hatte 2005 und 2007 mit ihrer existenzialistisch verstrahlten, verspielt großartigen Form moderner Oper die Novoflot-Sucht ausgelöst, und im September 2008 startete im Anschluss die neue Serie „Was wir fühlen“ mit einem assoziativen Irrwitz zum Thema „Angst“ zwischen Autowracks und Zombies.

Der zweite Teil versammelt die weltraumgreifenden Alles-und-Nichts-Fluchtlinien in einem konkreten Punkt, lässt bei der Befragung der Affekte in der Oper das „Wir“ im „Was wir fühlen“ zusammenschnurren auf die Sänger selbst. In knapp zwei Stunden geht es diesmal um die erstarrten Affektdarstellungsautomatismen in der Institution Oper, die die in ihr arbeitenden SängerInnen zu einem verzehrenden Ausdruckstheater zwingen. Was, so die Novoflot-These, sowohl ihnen als auch dem Publikum letzten Endes nur eines einbringt: brutale Erschöpfung.

In einer Art beweisführender Versuchsanordnung zeigen die vier SängerInnen auf der Bühne, was in expressiver Hinsicht von ihnen verlangt wird und was das jeweils mit ihnen macht. Der Tenor James Clark benennt die scheußliche Schwierigkeit des großen Gefühls, das ein Opernsolist jederzeit abrufbar haben muss: „The audience wants you to rip your throat out, throw it on the stage and stamp on it. Das kann ich nicht. Das will ich nicht.“ Die Mezzosopranistin Sabine Neumann agiert die verstörende Empfindung der Leere bei Arien aus, die „mit sehr viel Leidenschaft“ gesungen gehören. Die tolle Sonia Theodoridou setzt sich nach allen habituellen Regeln der Kunst als dramatischer Sopran in Szene, führt das gesammelte Ausdrucksrepertoire vor, breitet Arme aus, stürzt auf die Knie, tremoliert – und lässt sich nach vollendetem Gefühlsexzess stoisch und mit triefendem Zynismus im Gesicht die Wasserflasche reichen.

Ganz groß dann der Altus Arnon Zlotnik, der den expressiven Anforderungen durch den Habitus der selbstverliebten Diva gerecht zu werden versucht. Hält man sich konsequent an dieses Verhaltenskorsett, so die Lehre aus Zltoniks überwältigend charismatischer Depeche-Mode-plus-Händel-Darbietung, wird man Publikum und Affektkanon durchaus zufrieden stellen – dabei aber zum Arschloch.

Am Schluss all dieser Tiefenschürfungen zur Frage „Wie kompromisslos wird die Subjektivität von Opernsängern zugerichtet und ausgebeutet?“ steht – bei Novoflot altbewährt – die zeitgenössische Komponistin Aleksandra Gryka. Sie treibt die Performer von Finale zu Finale, von sedierter Ruhe zu umstürzlerischer Wut zu kollabierender Entkräftung. Fast in Trance gerät man beim Zusehen und -hören und will irgendwann nur noch ganz erschöpft, dass dieses in Endlosschleifen gelegte Aufwallen überdicker Emotion aufhört.

In Sachen Qualität ist hier wieder alles erste Sahne. Die SängerInnen sind besser als gut, sie können singen, schauspielern, sich verrenken, Seilspringen und Klaviere umwerfen. Auch dass man Pop, Barock, Romantik und zeitgenössische Musik wundervoll zusammenbinden kann, beweist diese Inszenierung erneut mit viel Verve. Dass sie bei der Selbstbespiegelung des Sänger-Daseins verharrt, enttäuscht vielleicht ein bisschen – das Thema „Erschöpfung“ hätte man, sozialpsychologisch und im Novoflot-Kontinuum gesehen, auch noch weiter fassen können. Andererseits: Eine gewitzte, treffsichere Kritik an seinen so steinhart geronnenen Standards kann das System Oper gut gebrauchen. KIRSTEN RIESSELMANN

■ Weitere Vorstellungen: 1., 2. und 3. Oktober, jeweils 20.30 Uhr