Da spricht wer aus dem Äther

SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Die aktuelle Ausgabe von „Kultur & Gespenster“ widmet sich den gespenstischen Schatten neuer Medientechnologien

Die Entmaterialisierung von Stimmen durch die Drahtlosübertragung des Radios beflügelt die Fantasien eines mythischen Äthers als Sendestation

Dass die westliche moderne Welt durch ihre technische Rationalität eine Entzauberung erfuhr, gehört wohl zu ihren hartnäckigsten Mythen. Ganze Forschungszweige tragen mittlerweile die Arbeit an ihrer Wiederverzauberung. Und nirgends drängt sich die Frage, ob es sich bei der von dem Soziologen Max Weber 1919 festgestellten „Entzauberung der Welt“ nicht um eine Wahrnehmungstäuschung handelt, stärker auf als bei einer Betrachtung technischer Medien aus der Frühphase der Massenkommunikation.

Man muss bloß die Etappen der westlichen Modernisierungsgeschichte entlang ihrer Kommunikationsmedien abschreiten, um zu erkennen: Je mehr technische Geräte unseren Alltag begleiten, desto unheimlicher erscheint er. Das ist jedenfalls die These des Medienwissenschaftlers Jeffrey Sconce. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Kultur & Gespenster, die dem Thema Radio gewidmet ist, ist erstmals ein Kapitel seines Buches „Haunted Media“ (2000) ins Deutsche übersetzt. Sconce schreibt darin, dass die Innovationen der elektrifizierten Massenkommunikation wie Funk, Rundfunk und Fernsehen stets einen gespenstischen Schatten werfen, der die eigentliche Nachricht medientechnischer Erneuerungen darstellt.

Es sei die Entmaterialisierung von Stimmen durch Drahtlosübertragung, die die Fantasien eines mythischen Äthers als Sendestation beflügelt. Neue Kommunikationstechnologien dienten schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Projektionsfläche für Ängste und Stimulanz für Visionen von quasimenschlichen Wesen wie Cyborgs, schreibt Sconce. Bis heute lasse sich das geisterhafte Narrativ im Gespräch über neue Medienentwicklungen wiedererkennen.

Selbst die paradoxe Erfahrung von gleichzeitiger Isolation und Verbundenheit, das den Menschen des Internetzeitalters prägt, ist offenbar in der Erfahrung der Radioübertragung angelegt. In einer sehr existenziellen Variante wird sie im Langgedicht „On Air“ des Künstler Brandon LaBelle in der Nummer thematisiert. Während eines Tornados, der die Protagonisten von der Außenwelt isoliert und sie in ihren eigenen vier Wänden gefangen hält, stellt allein das Radio die Verbindung nach draußen her.

In weiteren Beiträgen, die unter anderem aus Veranstaltungen im Rahmen des Hamburger Freien Sender Kombinats hervorgingen, dreht es sich allerdings vor allem um die irrationalen Momente des Radios. Eine Art Radiotheorie aus dem Geiste der Psychose meint Ole Frahm in seinem Beitrag zu den berühmten „Aufzeichnungen eines Nervenkranken“ (1903) des sächsischen Gerichtspräsidenten Daniel Paul Schreber zu erkennen. Für ihn ist es kein Zufall, dass diese Aufzeichnungen just in jenem Jahr erscheinen, in dem es zur offiziell ersten transatlantischen Drahtlosübertragung von Musik und Worten kommt. Schrebers Wahnberichte liefern eine Blaupause für eine Theorie des Radios, die sich in der Unsichtbarkeit der Strahlen, der Vervielfältigung der Stimme und wunderhaften Erscheinungen äußert, schreibt Frahm. Dass Schreber sich als Empfänger unheimlicher Nachrichten imaginiert, ist lediglich eine Variation zeitgenössischer Berichte über unbelebte Dinge, die anfingen zu sprechen, singende Kohleschaufeln und sprechende Spiegel, die als Empfänger der Sendungen aus dem unheimlichen Äther plötzlich geisterhaft in Erscheinung traten.

Flankiert werden die Beiträge von der Bildserie „Radiotürme“ der Künstlerin Michaela Melián. Sie versieht Fotografien von Sendemasten mit eingenähten Fäden, die Spekulationen über Funkstrahlennetze materialisieren. Zu sehen ist immer mehr, als offen zu Tage liegt, sagt diese Nummer der Zeitschrift Kultur & Gespenster. Sie macht ihrem Namen als Ghostbuster unserer Zeitschriftenwelt mit der neuen Ausgabe alle Ehre. PHILIPP GOLL

Kultur & Gespenster Nr. 14, 354 Seiten, 16 Euro