Schlammschlacht in Nigerias Elite nach den Anschlägen

NIGERIA Präsident Jonathan nutzt den Terror vom Freitag, um seine Rivalen kaltzustellen

Laut Präsident unterstützen „unpatriotische Elemente“ Nigerias „Terroristen“

NAIROBI taz | Wenige Tage nach den Anschlägen auf Nigerias Fünfzigjahrfeier wachsen die politischen Spannungen. Zwölf Menschen waren am Freitag ums Leben gekommen, als in der Hauptstadt Abuja mehrere Autobomben detonierten. Die Bomben waren in der Sicherheitszone gelegt worden, nur wenige hundert Meter von der Tribüne entfernt, auf der Präsident Goodluck Jonathan und Dutzende Staats- und Regierungschefs eine Militärparade verfolgten.

Rebellen aus dem ölreichen Niger-Flussdelta hatten vor den Anschlägen gewarnt. „Wir geben der Polizei eine halbe Stunde Zeit, den Platz zu räumen“, hieß es in einer E-Mail der militanten Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas (MEND). Der britische Geheimdienst hatte schon Tage vorher vor Anschlägen gewarnt. Doch Nigerias Sicherheitskräfte reagierten nicht.

Inzwischen wurden neun Verdächtige festgenommen. Sie alle sollen in Verbindung zu Henry Okah stehen, einem ehemaligen MEND-Anführer, der mittlerweile in Südafrika lebt. Okah, der am Montag in Johannesburg verhaftet und wegen Terrorismus angeklagt wurde, weist aber jede Verwicklung zurück. Auch in Nigeria hat sich bislang kein MEND-Repräsentant zu den Anschlägen bekannt.

Der 2009 nach dem Tod seines gewählten Vorgängers Musa Umaru Yar’Adua ins Amt gekommene Präsident Goodluck Jonathan, der selbst aus dem Niger-Delta stammt, vertritt inzwischen öffentlich die Meinung, dass die MEND, die im Kern die Beteiligung der Bevölkerung der Ölgebiete an den Öleinnahmen fordert, nicht hinter den Anschlägen steckt. Verantwortlich sei eine „kleine Gruppe von Terroristen, die im Ausland lebt und von unpatriotischen Elementen in Nigeria unterstützt wird“. Kurz nach Jonathans Äußerung nahm der Geheimdienst Raymond Dokpesi in Gewahrsam, Eigentümer des privaten Fernsehsenders Africa Independent Network. Er war erst kürzlich zum Wahlkampfchef des ehemaligen Militärdiktators Ibrahim Babangida ernannt worden. Babangida, ein mächtiger Muslim aus dem Norden Nigerias, will innerhalb der regierenden PDP (Demokratische Volkspartei) Jonathan die Präsidentschaftskandidatur bei den Wahlen 2011 streitig machen.

Handygespräche zwischen Dokpesi und Okah sollen die Verwicklung in die Anschlagspläne beweisen. Dokpesi wurde in der Nacht zum Dienstag freigelassen, doch viele Nigerianer glauben, dass seine Festnahme vor allem politische Gründe hatte.

Jonathans Weg zum Wahlsieg 2011 ist alles andere als sicher. In der PDP, die Nigeria seit der Demokratisierung 1999 regiert, vertreten viele die Ansicht, dass nach dem Südler Jonathan die nächste Wahlperiode einem Muslim aus dem Norden vorbehalten sein sollte. Mit seinem Kurs gegen Nigerias korruptes Politestablishment hat Jonathan sich viele Feinde gemacht. Weil er keine Erfolge etwa im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nachweisen kann, ist er auch bei den Wählern immer unbeliebter. Vielen scheint es, als wolle Jonathan die Anschläge jetzt nutzen, um seine Macht zu festigen. Am Dienstag setzte er Andrew Azazi als neuen Sicherheitsberater ein, der wie der Präsident aus dem Nigerdelta stammt. Der bisherige Sicherheitsberater Aliyu Mohammed Gusau bewirbt sich ebenso wie Babangida für die PDP-Präsidentschaftskandidatur. MARC ENGELHARDT