Ausgezeichnete Außenseiterin

Die einzige Chance ist, sich hochzuarbeiten, und das, glaub mir, gelingt dir nicht, wenn du dich nicht taub und stumm stellst“ – so einer der wichtigsten Sätze in Melinda Nadj Abonjis zweitem Roman „Tauben fliegen auf“. Dafür hat die Autorin den Deutschen Buchpreis 2010 gewonnen. Um ein Leben dazwischen geht es, ein „halbiertes Leben“. Erzählt wird es aus der Perspektive Ildikos, die ihren Eltern als Kleinkind aus der serbischen Vojvodina in Schweiz folgt. Hier will die Familie neu anfangen und Vergangenes vergessen, aber das geht nicht so leicht wie erhofft. Und dann kommt auch noch der Balkankonflikt dazwischen.

Der Roman hat viele Schnittpunkte mit der Biografie seiner Autorin. Wie ihre Heldin Ildiko stammt auch Melinda Nadj Abonji aus der Vojvodina und gehört einer ungarischen Minderheit an. Das ließ sicher auch sie den Krieg Anfang der Neunziger noch schwerer ertragen. Noch sinnloser schien er, der vom Zuhause abschnitt – der Krieg der anderen. Aber es ist nicht nur die Glaubwürdigkeit der Geschichte, für die Melinda Nadj Abonji diesen mit 25.000 Euro dotierten Preis verdient hat. Es ist auch die Art, wie sie erzählt. Da geht es so selten gradlinig zu wie beim Erinnern. In jeder Zeile hört man, dass die Autorin auch gern auf der Bühne steht, so musikalisch ist der Text. Man merkt im Grunde gar nicht, wie montiert er ist, wie waghalsig er von Ebene zu Ebene springt.

„Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich so was mal bekomme“, sagte Melinda Nadj Abonji am Abend der Preisverleihung, und sicher war sie mit ihrer Verblüffung nicht allein. Bislang galt sie als Außenseiterin, ihr Buch ist bei Jung und Jung, einem Kleinverlag aus Österreich, erschienen. Andererseits wurden die letzten Male mit Arno Geigers „Es geht uns gut“ und Tellkamps „Turm“ auch sehr deutsche Bücher ausgezeichnet. Eine frische Brise wie diese war also geradezu überfällig. Und was wird Melinda Nadj Abonji mit dem Geld anfangen, wurde sie kürzlich in einem Interview gefragt. Ihre Antwort war sympathisch: „Geld nach Hause schicken.“ Und dann? „Meine Tochter braucht ein neues, größeres Bett, ja und außerdem wären mal wieder ein paar neue Kleider nett.“ Susanne Messmer