Schwächelnde Enteignung

Boliviens Präsident Morales beugt sich den Brasilianern, und sein Energieminister tritt zurück. Jetzt sollen Öl und Gas über Verhandlungen in staatliche Hand kommen

BERLIN taz ■ Für Boliviens Energieminister Andrés Soliz war die Sache wohl nicht mehr durchsetzbar. Vergangenen Freitag trat er zurück. Präsident Evo Morales verlor damit seinen beliebtesten Kabinettskollegen und Mitstreiter in Sachen Verstaatlichung von Privateigentum. Hintergrund ist der Streit mit Brasilien um die Nationalisierung der Öl- und Erdgasinfrastruktur in Bolivien, mit der Morales seit Anfang Mai weltweit für Aufsehen sorgt. Die Chefs des brasilianischen Staatsbetrieb Petrobras konnten sich als größte Investoren in Bolivien bislang dagegen wehren.

Am Dienstag vergangener Woche hatte der 67-jährige Soliz noch per Dekret versucht, die beiden großen Raffinerien in seinem Land unter die Kontrolle der staatlichen Erdölgesellschaft YPFB (Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos) zu bringen. Die Anlagen gehören seit 1999 der brasilianischen Petrobras und produzieren 90 Prozent des bolivianischen Bedarfs an Benzin, Diesel, Kerosin und Flüssiggas.

Soliz rechnete vor, allein mit dem Verkauf von Nebenprodukten hätten die Brasilianer 320 Millionen Dollar jährlich erwirtschaftet und durch den Export von Erdöl zusätzlich von den hohen Weltmarktpreisen profitiert. In einer Erklärung von Petrobras hieß es, ohne ins Detail zu gehen, der durchschnittliche Jahresgewinn habe nur bei 14 Millionen Dollar gelegen.

Nach heftiger Intervention von Brasiliens Staatschef Lula da Silva setzte Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera das Dekret aus. Auf dem Gipfel der Blockfreien in Havanna besiegelten Präsident Morales und Brasiliens Außenminister Celso Amorim die neuerliche Annäherung – Soliz war desavouiert.

Morales sagte, das Dekret sei ausgesetzt worden, um die Verhandlungen zu erleichtern. Er bekräftigte aber: „Der bolivianische Staat hat das Recht, souverän über seine Ressourcen zu entscheiden. Wir brauchen Partner, keine Herren.“

Der Vorstoß gegen Petrobras geschieht zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für Lula. Der will am 1. Oktober wiedergewählt werden. Seit Monaten wirft ihm die rechte Opposition vor, zu nachgiebig gegenüber Bolivien zu sein. Anders als Argentinien bleibt Brasilien wohl auch deshalb stur gegenüber der bolivianischen Forderung, die Preise für Erdgaslieferungen an das viel höhere Weltmarktniveau anzupassen. Die Entgelte waren weit vor der Explosion der Energiepreise zwischen diesen Ländern vertraglich festgelegt worden.

In einem Fernsehinterview sagte Lula verärgert: „Evo Morales müsste seine Außenpolitik besser abstimmen.“ Doch er setzte hinzu, dass Brasilien als „große Volkswirtschaft den ärmeren Nachbarn helfen“ müsse.

Lulas Außenminister vermutet innenpolitische Gründe hinter dem Versuch der Regierung Morales, die Nationalisierung durchzusetzen: „Bolivien durchlebt eine Zeit großer Gärung, großer Aufgeregtheit, auch wegen der verfassunggebenden Versammlung.“

Die Versammlung tagt seit Anfang August. Sie wird von einem heftigen Streit darüber überschattet, ob das neue Grundgesetz mit absoluter Mehrheit auf den Weg gebracht werden kann, wie Morales es will. Zudem musste im August der YPFB-Chef, ein Vertrauter des Präsidenten, nach Korruptionsvorwürfen den Hut nehmen.

Bolivien verfügt über die zweitgrößten Gasreserven Lateinamerikas nach Venezuela. Die Energieressourcen des ärmsten lateinamerikanischen Landes sind in der Hand von rund 20 ausländischen Unternehmen. Neben Petrobras sind vor allem die spanische Firma Repsol, die französische Firma Total, das US-Unternehmen Exxonmobil sowie British Gas in dem Sektor in Bolivien aktiv.

Am 9. Oktober soll weiterverhandelt werden. Sollte Lula dann in seinem Amt bestätigt sein, könnte er seinem Verständnis für Boliviens Nationalisierungskurs Taten folgen lassen. GERHARD DILGER