Der Wahnsinn in der Flasche

„Wir hatten mit derBionade immer das Ziel,groß zu werden“

AUS OSTHEIM MARCO LAUER
UND VERENA MÜLLER (FOTOS)

Der Erfolg schlich sich langsam an. Und leise. Er ließ sich Zeit, als habe er auf dem Weg ins unterfränkische Ostheim die wunderbare Gegend genießen wollen, die dieses schläfrige 4.000-Einwohner-Städtchen umgibt. Dann aber hatte er wohl genug von der unberührten Idylle des Biosphärenreservates Rhön. Es kam zur Explosion. Und ähnlich wie in einem Trickfilm, in dem sich der Held in Rauch auflöst und Sekunden später runderneuert wieder auftaucht, erging es auch den Machern der Bionade: Der Rauch ist verflogen und aus der maroden Dorfbrauerei Peter, die außer im Umkreis von zwanzig Kilometern kein Mensch kannte, ist ein Unternehmen mit hundert Mitarbeitern geworden. Noch dazu eines, dass deutschlandweit für Aufsehen sorgt.

Von außen sieht man der Peter-Brauerei die Verwandlung nicht an. Als weißgrauer Zweckbau steht sie am Ortsausgang von Ostheim vor der Rhön. Bröckelnder Putz, zertrümmerte Glasbausteine. Ein Fabrikgebäude, ähnlich jenen aus dem nahen Thüringen zur Endzeit der DDR. Die Büroräume verströmen den Charme von Amtsstuben aus den Achtzigern, auf den Fenstersimsen Immergrünes – die perfekte Tarnung.

Bionade. Ihre Geschichte beginnt, als alles schon fast vorbei ist. Als 1995 die Dorfbrauerei Peter mit ihrem Rhön-Pils kurz vor der Pleite steht, ist der Chef endlich am Ziel. Acht lange Jahre hatte er in seiner Hexenküche geforscht, die er sich im Badezimmer eingerichtet hatte. Wonach? „Nach einer Fannda ohne Chemie“, sagt er in seinem fränkischen Dialekt. Ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk sollte es werden, auf rein biologischer Basis – das war der Traum des Braumeisters. Er wurde wahr.

Zeitsprung. August 2006. Peter Kowalsky sitzt an einem ovalen Konferenztisch. Der 38-Jährige ist der Stiefsohn von Dieter Leipold und Chef der Bionade GmbH. 1,90 Meter groß ist er, unter blonden Kräusellocken ein braungebranntes Gesicht. Der Raum ist der einzig renovierte des Gebäudes, Laminatfußboden, neue Stühle. Auf dem Tisch sind Dutzende Flaschen arrangiert, blau-weiß-rote Bionade-Banderolen um Hals und Bauch geklebt wie eine Auszeichnung. Prämiert für das derzeit begehrteste Getränk Deutschlands.

„Allein im letzten Monat wurde doppelt so viel Bionade getrunken wie im ganzen Jahr 2003. Über sechs Millionen Flaschen“, sagt Kowalsky, greift sich selbst eine und schnippt mit dem Feuerzeug den Kronkorken weg. Dann sagt er, frei von Ergriffenheit über den eigenen Erfolg: „Jeden Tag wird es ein bisschen bekloppter.“ Dem Satz schickt er sein volles Lachen hinterher, man merkt: Es kann ihm gar nicht bekloppt genug zugehen.

Ein Beispiel: Die großen Einzelhändler – Rewe, Tengelmann, Edeka – verlangen in der Regel Geld, viel Geld, einige Millionen Euro, damit ein Getränkehersteller seine Flaschen in ihre Regale stellen darf. Listungsgebühren heißt das im Fachjargon. Bei denen von der Bionade lief es anders. Sie wollten und konnten die Mittel dafür nicht aufbringen. Zeit ist Geld, sagt man so. Geld ist Zeit, dachte man sich in Ostheim. Und wer sich Zeit nimmt, kann daran verdienen. Zwei Jahre später, die Bionade hatte ihre Bekanntheit auch durch erste Berichte in Wirtschaftszeitschriften gesteigert, gaben sich die großen Handelsketten plötzlich die Blöße: Sie riefen selbst an in Ostheim und baten darum, die Bio-Brause in ihre Regale stellen zu dürfen. Ohne Listungsgebühren.

Was also ist dran an diesem Zeug, das in so vieler Munde ist? Oder besser: Was ist drin? Dieter Leipold weiß die Antwort. Der Mann, der die Bionade erfunden hat, ist groß und redet wenig. Von der Nasenwurzel ziehen drei tiefe Falten sich hinauf zur Stirn – Dieter Leipold muss viel nachgedacht haben in seinem Leben. Er trägt das weiße Hemd unter einem grünen Pulli, der den Kragen schluckt. Schweigsam, schlichtes Äußeres: kein Verkäufertyp, ein Tüftler eher, einer, der im stillen Kämmerlein zur Höchstform aufläuft. „Einen genialen Mann“ nennt ihn Stiefsohn Peter Kowalsky.

Dieter Leipold hat letztes Jahr eine kleine Fibel geschrieben unter dem Titel „Bionade – ein Beitrag zur gesunden Ernährung“. Sein Alterswerk sozusagen, er ist jetzt 68 Jahre alt, aus dem Tagesgeschäft hat er sich zurückgezogen. „Ich habe für den Rest meines Lebens ausgesorgt“, sagt er. Das Vorwort zur Fibel verrät, dass er sich seiner Leistung bewusst ist: „Schon 3.000 Jahre vor Christus verstanden es die Sumerer, aus Gerste und Emmer ein alkoholisches Getränk herzustellen: Das Bier“, steht da. „5.000 Jahre später – im Jahre 1995 – ist es der Privatbrauerei Peter, Ostheim/Rhön, erstmals gelungen, aus Getreide ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk herzustellen: Bionade.“ Genau genommen ist es nicht der Privatbrauerei Peter gelungen, sondern ihm, den sie früher an den Stammtischen der 24 Ostheimer Kneipen auch gerne mal einen Spinner nannten. Den mit den wirren Ideen im Kopf.

Die Grundlagen – Leipold: „Grrundlaachen“ – für diesen flüssigen Meilenstein sind dieselben wie fürs Bier: Hopfen, Malz und Gerste – aus denen dann die so genannte Würze gewonnen wird. Erst danach läuft es anders. Beim Bier kommt Hefe dazu, die zu Alkohol vergärt. Nicht so bei der Bionade: Hier werden der Würze Mikroorganismen – Bakterien – beigefügt. Hört sich für den Laien nicht sonderlich vertrauenswürdig an, ist aber genau das, was die Bionade ausmacht. Denn dadurch entsteht Gluconsäure, die auch im Honig vorkommt und – der Clou: keinen Alkohol enthält. „Die Fermentation“, erklärt Leipold. Welche Mikroorganismen dabei beteiligt sind, bleibt das Geheimnis des Meisters, wenngleich auch er nicht jeden der kleinen Schwerstarbeiter persönlich kennen wird.

Peter Kowalsky erinnert sich daran, wie er durch die Lande fuhr und die Lizenz für die Bionade Brauereien anbot wie Sauerbier. Keiner wollte sie. Gewachsen sind zu dieser Zeit nur Frust und Kilometerstand von Kowalskys Firmenwagen. Am Ende der Tingeltour durch die Republik stand fest: „Wir machen es selbst.“

„Ich habe für denRest meines Lebensausgesorgt“

Kurkliniken waren die ersten Abnehmer, auch Fitnessclubs. Ein Nischenprodukt drohte die Bionade zu werden. Und das war nicht die Absicht. Denn Kowalsky sagt heute: „Wir hatten mit der Bionade immer das Ziel, groß zu werden.“ Und tatsächlich, bald schon kam der Erfolg im Zeitraffer. 1998 nahm Hamburgs größter Getränkehändler Göttsche das Provinzprodukt ins Sortiment. Von dort eroberte Bionade Deutschland. Der Schlüssel zum Erfolg: Man ist nicht nur gesund, sondern auch cool. Bionade, ein Getränk für die Sneakers- wie die Birkenstockträger. Und auch für die dazwischen. Eltern greifen immer öfter zur Flasche – der Gesundheit der Kinder wegen und weil die Bionade dem Gaumen schmeichelt statt ihn zu verkleben.

Der Soundtrack zu diesem Erfolg wird hier produziert: in der Abfüllanlage. Ohrenbetäubend ist er. Ein stetiges Klirren, dass sich nach einer Weile zu einem Rauschen in hoher Tonlage verdichtet. Stunde um Stunde werden hier 22.000 Flaschen vollgepumpt. Das Fließband hält ganze Garnisonen davon in Bewegung. Sie kommen herauf vom unteren Stockwerk, passieren die überdimensionierte Spülmaschine, wandern zu den Abfüllstutzen. In einer Geschwindigkeit, die an die Tankstopps in der Formel 1 erinnert, werden die Flaschen gefüllt – Kraftstoff für das Wachstum der Peter-Brauerei. Dennoch: „Wir können hier gerade die Hälfte der Nachfrage befriedigen“, brüllt Kowalsky sein Gegenüber an.

Wieder im Büro, sagt er mit vibrierender Stimme: „Es wird immer spannender. Und es sieht so aus, als wird unsere Bionade ein Produkt, dass Coca-Cola einen riesigen Teil ihrer jetzigen Kundschaft abnehmen könnte.“ Die Manager aus Atlanta haben übrigens schon Wind bekommen vom Erfolg des Kleinen. Und boten das, was sie bieten können: Geld. Eine Menge. Peter Kowalsky aber sagt: „Wenn wir denen das Unternehmen verkaufen, dann verkaufen wir auch uns. Unsere Identität. Dann sind wir nur noch ein kleiner Posten in der großen Bilanz von Coca-Cola.“ Geschichten würde man sich dann wahrscheinlich keine mehr erzählen über das Wunder von der Rhön. Aus der Not geschaffen von einer Familie, die den Zwängen der Globalisierung trotzt und sich nicht anschließt an einen großen, potenten Partner. Keine Geschichten von einem Familienunternehmen, dass Dutzende Arbeitsplätze schafft in einer Region, in der die Telefonnummern drei- und die Arbeitslosenzahlen zweistellig sind. Der Umsatz der Peter-Brauerei ist mittlerweile schon achtstellig. Tendenz steigend.

Kowalsky bleibt bescheiden: „Wenn die Leute sich wundern: Ihr seid ja noch, wie ihr mal ward. Dann sage ich: Wie sollen wir denn sonst sein? Außer ein paar Nullen auf dem Konto hat sich ja nix verändert. Das Produkt ist das Gleiche. Wir auch.“ Schließlich weiß Kowalsky, wo unten ist. Das hilft, nicht abzuheben. Und Geld ist nicht alles. Neben dem Zündschloss seines E- Klasse-Mercedes klebt das Bild seiner neunjährigen Tochter Sarah.