Kleiderbügel verboten

Erstmals dürfen extrem dünne Models bei der Madrider Modewoche nicht auf den Laufsteg. Örtliche Behörden hatten das Verbot als Sponsor erwirkt. Staatliche Zensur oder legitime Maßnahme?

VON MARTIN REICHERT

Ein Model ist ein Vorbild, das der Nachahmung dient: Aus genau diesem Grund hatte die Bezirksregierung von Madrid darauf gedrängt, dass im Rahmen der diesjährigen „Pasarela Cibles“, die noch bis Freitag stattfinden, nur Models über den Laufsteg dürfen, die den Körpermasseindex von 18, Körpergewicht dividiert durch die Größe im Quadrat, nicht unterschreiten – darunter liegende Werte lassen auf Magersucht oder Bulimie schließen. Dabei handelt es sich um lebensbedrohliche Erkrankungen, die ursächlich auch auf das derzeit vorherrschende, soziokulturell bedingte Schlankheitsideal zurückgeführt werden – und die Einstellung, dass das Aussehen des eigenen Körpers eine fundamentale Bedeutung für den eigenen Selbstwert, Erfolg und soziale Beziehungen hat.

Die Veranstalter haben nun ein Problem: Der Modeschöpfer Antonio Pernas zum Beispiel musste gleich alle 18 gebuchten Models austauschen – sie waren bei dem von staatlichen spanischen Ernährungsexperten vorgenommenen offiziellen Wiegen durchgefallen. Während die Leiterin der Madrider Modenschau, Leonor Pérez Pita, die Flucht nach vorne antritt („Ich will keine Skelette auf dem Laufsteg“), zeigt sich die Modewelt in New York und Paris entsetzt: „Man kann Geschmäcker und Farben nicht diktieren“ protestierte der Präsident des französischen Verbandes der Modeindustrie Didier Grumbach.

Staatliche Zensur im Namen der Gesundheit? Nein, denn die Behörden nutzten in diesem Fall einfach nur den Spielraum, den die freie Marktwirtschaft zulässt: Die Stadt Madrid ist einer der Hauptsponsoren des Mode-Events und kann somit, wie jedes andere Unternehmen, Bedingungen stellen – schließlich waren diesbezüglich vom spanischen Parlament bereits 1999 ausgesprochene Empfehlungen auf taube Ohren gestoßen – Ähnliches dürfte dem Appell der britischen Kulturministerin Tessa Jowell widerfahren, die kurz vor Auftakt der Londoner Fashion Week die Organisatoren dazu aufforderte, dem spanischen Modell zu folgen.

Das Modeland Spanien geht nun allerdings noch einen Schritt weiter: Nachdem gemäß Schätzungen des spanischen Gesundheitsministeriums bereits über eine Million Spanierinnen mager- und brechsüchtig seien, entschloss man sich, zusammen mit der Modebrache einen Richtlinienkodex für die „Anpassung der Konfektionsgrößen an die Realität“ auszuarbeiten, der demnächst auch gesetzlich verankert werden soll. Branchenriesen wie „Zara“ und „Mango“ ziehen nach langem Widerstand bereits mit. Sie wollen die Größen ihrer Schaufensterpuppen von Größe 36 auf 38 aufstocken – die durchschnittliche Konfektionsgröße der Spanierinnen liegt zwischen 40 und 42.

Derweil geht die Entwicklung in den Vereinigten Staaten längst in Richtung Selbstauflösung: Prominente Schauspielerinnen und Models tragen dort Kleidergröße Null – übersetzbar mit Größe 32 beziehungsweise minus 32. Die Liste der prominenten Hungerkünstlerinnen ist lang und wird immer länger: Paris Hilton, Nicole Kidman, Julia Robert oder auch Victoria Beckham – sie alle zeigen auf aktuellen Fotos viel Knochen unter nackter Haut. Zum Abendessen ein paar in „Zero“-Cola, die neue Bezeichnung für Diet Coke, getauchte Wattebällchen und dazu eine Marlboro Light, um den Hunger zu betäuben. Die Models sind längst zum geflügelten Witz geworden („Ich muss noch duschen und kotzen“).

Der Mager-Trend hält sich – trotz gelegentlicher Gegen-Ikonen à la Heidi Klum – seit Jahren hartnäckig. Aber die spanische Modeszene gilt in der Branche immerhin als zukunftsweisend.