Jubiläum der Bürgerfunker

Profiradio von Laien: Gemeinsam mit 15 anderen Bürgersendern in Niedersachsen feiert der Lokalsender Flora aus Hannover am kommenden Wochenende sein 10-jähriges Bestehen.

Das Wohlwollen der Politik ist wichtig: davon hängt nicht nur die Verlängerung der Sendelizenz, sondern auch die Finanzierung ab

VON BARBARA MÜRDTER

Anfang September 2006 – Regionsentdeckertag in Hannover. Pünktlich um zehn Uhr stehen die ersten Interessenten vor der Tür von Radio Flora, dem Bürgersender im Stadtteil Linden. Ulrich Zerwinsky wird an diesem Tag zehn Besuchergruppen durch die Räume des Senders führen. Der freundliche Fünfzigjährige ist seit über sechs Jahren der Mann am Empfang und kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit. Wenn er sich am Abend beklagt, dass ihm die Füße weh tun und er sich den Mund fusselig geredet hat, ist er doch stolz auf das große Interesse an „seinem“ Sender.

„Wir sind inzwischen auf Platz zwei oder drei der beliebtesten Bürgersender“, erzählt Sendeleiterin Beate Gonitzy. Die Landesmedienanstalt spricht von 100.000 Flora-Hörern zu den Schwerpunktzeiten. In Niedersachsen gibt es derzeit 15 Bürgersender – Radio und TV. Am diesjährigen Bürgermedientag am kommenden Samstag feiern sie gemeinsam mit den Hörern und Zuschauern zehn Jahre Bürgermedien im Land.

„Anfang der 90er gab es eine Initiative der Grünen im Landtag“, erinnert sich Flora-Vorstandsmitglied Christoph Weymann: „Es ging darum, der zunehmenden Medienkonzentration in Niedersachsen etwas entgegenzusetzen.“ Der Endvierziger gehört zum Urgestein des Senders, hat seit 1993 in allen Sitzungen gesessen, die die Geschicke von Flora lenkten.

Weyman steckte seinen eigentlichen Wunsch, selbst zu senden, für die Organisationsarbeit zurück. Er schrieb unzählige Anträge und Berichte, verhandelte mit Mitarbeitern und Vertretern der Landesmedienanstalt. Das alles in seiner Freizeit. Gerade bereitet er den neuen Lizenzvertrag mit vor.

Nach ersten Erfahrungen im „Veranstaltungsfunk“ bekam Flora im Herbst 1996 die begehrte Sendelizenz für den Regelbetrieb. Nachdem das Funkhaus mit seinen zwei Studios, drei Produktionsplätzen, einem Technikraum und geräumigen Büros fertig eingerichtet war, konnten die Radiofreunde im Juni 1997 auf Sendung gehen.

Heute platzt das Funkhaus trotz seiner Größe aus allen Nähten. Neben den mehr als 400 ehrenamtlichen Mitarbeitern werden jedes Jahr 60 Langzeitpraktikanten mit eingespannt. Knapp 20 bezahlte Teilzeitkräfte sorgen hinter den Kulissen für einen reibungslosen Ablauf, kümmern sich um medienpädagogische Angebote oder die acht Azubis.

Die Bürgermedien sind grundsätzlich zugangsoffen, wie es im Fachjargon heißt. Jeder darf mitmachen, ob auf einem so genannten „offenen Sendeplatz“ oder in einer der 17 Redaktionen. Da es häufiger Beschwerden über schlechte Moderation und mangelnde Technikbeherrschung gab, ist seit kurzem ein „Radioführerschein“ Voraussetzung. Die Radioamateure kommen aus allen Altersgruppen: vom Kindermagazin „Floh“ über die Jugendsendung „Flex“ bis zu den Gewerkschaftssenioren von „SenF“.

„Denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden“ war von Anfang an der Anspruch: Verschiedene medial unterrepräsentierte Gesellschaftsgruppen wie Frauen, Behinderte und Schwule haben ihre Sendeplätze. Zudem kommen ein gutes Dutzend muttersprachliche Sendungen. Neben den Magazinsendungen „Hallo Wach“ und „Wellenbrecher“ gibt es 50 Musikspecials, die von fachkundigen Leuten aus den jeweiligen Szenen gemacht werden.

Doch Flora-Sendeleiterin Beate Gonitzky setzt vor allem auf Ausbau und qualitative Verbesserung des Wortanteils: „Dass die Leute hier mal länger was sagen können, unterscheidet uns von den Mainstreammedien.“ Besonders freut sie sich über den gelungenen Start der neue Hörspielreihe „Ohrenschmaus“ jeden Mittwoch von 14 bis 15 Uhr. Die Beiträge kommen aus der äußerst produktiven freien Hörspielszene, die sich freut, dass ihre Produkte öffentlich zu Gehör gebracht werden.

Eine weitere ambitionierte neue Sendereihe ist „Zu Gast bei Radio Flora“. Hier stellen sich Entscheidungsträger aus Kultur, Politik und Wirtschaft eine Stunde dem Gespräch. Gonitzky erklärt: „Wir versuchen, sie als Menschen darzustellen. Die bringen zum Beispiel ihr eigene Musik mit und erzählen, was sie damit verbinden.“ Als Kontrast gibt die Reihe Lebensläufe, in der Durchschnittsmenschen aus ihrem Leben berichten. „Manchmal wird man feststellen, dass das nicht unbedingt so ein großer Unterschied ist“, so Gonitzky.

Dass Flora-Mitarbeiter für Beiträge, Umfragen und Außenübertragungen überall da in Hannover unterwegs sind, wo etwas los ist, machte den Sender nicht nur bei den Bürgern bekannt. Auch aus der Politik hört man quer durch die Parteien immer wieder Zustimmung.

Das Wohlwollen der Politik ist wichtig: davon hängt nicht nur die Verlängerung der Sendelizenz, sondern auch die Finanzierung ab. Immerhin stammt mehr als die Hälfte des Jahresetats von knapp einer halben Million Euro aus den Töpfen der Landesmedienanstalt. Laut dem Landesverband Bürgermedien kommen jedoch alle 15 Bürgersender insgesamt nicht einmal auf ein Prozent des Budgets, das allein der NDR in Niedersachsen hat.

Am Samstag geht es aber weniger um Finanzen, sondern um das „Reinschnuppern“ in die Radioarbeit. Ulrich Zerwinsky wird wieder bei den stündlichen Führungen Besucher durch den Sender geleiten. Zum Flora-Jubiläum können dann auch Besucher an einer Hörspielproduktion teilnehmen (Anmeldung unter 0511/219790).