Ist Deutschland jetzt grün?
JA

WANDEL Erstmals überholen die Grünen in einer bundesweiten Umfrage die SPD, in Stuttgart lebt der Bürgerprotest auf und Öko ist längst ein Werbefaktor

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante LeserInnenantwort aus und drucken sie in der nächsten sonntaz.

taz.de/sonntazstreit

Claudia Roth, 55, ist seit 2004 Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen

Die Republik hat sich verändert. Politik funktioniert nicht mehr so, dass mit arroganter Attitüde Entscheidungen gegen die Mehrheit der Menschen einfach durchgezogen werden können. Und das ist gut so. Immer sichtbarer wird ein starkes Selbstbewusstsein von Bürgerinnen und Bürgern, die umfassend an demokratischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden wollen. Menschen, die bei Großprojekten und anderen zentralen Themen von Anfang bis Ende einbezogen, alle Fakten kennen und über alle Vor- und Nachteile umfassend informiert werden wollen. Das fordert die breite Bewegung friedlich Demonstrierender in Stuttgart ein, das fordern die Menschen seit nun mehr dreißig Jahren in Gorleben und anderswo. Trotzdem will Schwarz-Gelb unverdrossen über die Köpfe der Menschen hinweg seine Politik durchzocken. Von einer grünen Republik sind wir auch deshalb noch weit entfernt. Aber die Gesellschaft insgesamt ist schon weiter: Für immer mehr Menschen werden Themen und Werte wichtig, für die wir Grünen seit langem stehen und harte Kämpfe führen mussten. Dazu gehören das Prinzip der Nachhaltigkeit, der schonende Umgang mit Natur und Ressourcen und ein entsprechend verantwortungsvoller Lebensstil.

Eckart von Klaeden, 44, ist CDU-Schatzmeister und Staatsminister bei der Bundeskanzlerin

Deutschland ist weiter als die, die Grün vor allem für eine Parteifarbe halten. Das Bewusstsein für die Bewahrung der Schöpfung – ein christliches und im eigentlichen wie besten Sinne des Wortes konservatives Anliegen – ist in den letzten Jahrzehnten weltweit gewachsen. Das Energiekonzept der christlich-liberalen Bundesregierung zum Beispiel lässt den Anteil regenerativer Energien an unserer Stromversorgung auf achtzig Prozent im Jahr 2050 steigen. Und die Grünen? Sie sind immer nur dagegen: Zwar für Windräder, aber gegen die neue Überlandleitung, um die Windenergie etwa von der Nordseeküste nach Freiburg zu bringen. Sie sind zwar für die kohlenstoffdioxidarme Bahn, aber gegen den neuen Tiefbahnhof in Stuttgart, der eine Milliarde Pkw-Kilometer und 175.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid einsparen würde. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen. Sie gehen den leichten Weg des oppositionellen Protestreflexes und fallen als Bündnispartner für die Energie- oder Verkehrswende aus, wenn es darauf ankommt. Das ist schade. Aber die Realität zeigt: Es geht auch ohne sie.

Mischa Aschmoneit, 42, ist Sprecher der Antiatom-Kampagne „Castor Schottern“

Deutschland ist grün, zumindest in den hohen Umfragewerten für die grüne Partei. Viele Menschen wollen die Grünen in kommunalen und Landesparlamenten, offensichtlich zunehmend auch auf Bundesebene. Aber dennoch werden Atomlaufzeiten verlängert, zehn neue Kohlekraftwerke gebaut und der Castor rollt ins Wendland und nach Ahaus. Es stimmt, das Land hat eine starke grüne Partei, die Mandate und Posten verschafft. Das bringt Spielräume und durchaus auch einen Bewusstseinswandel: Viele Menschen haben das Bedürfnis, dass bestimmte Themen zumindest angesprochen werden. Aber darüber hinaus? Der Atomkompromiss unter Rot-Grün war eine Mogelpackung. Und die schwarz-grüne Regierung in Hamburg, die vor zwei Jahren mit Schlagstöcken und Wasserwerfern das Kohlekraftwerk Moorburg durchgeprügelt hat, zeigt, wohin die Reise geht: Umweltschutz wird Profitinteressen untergeordnet. Es besteht ein grundlegender Widerspruch zwischen unseren menschlichen Bedürfnissen und der wahnsinnigen Logik des kapitalistischen Wachstums auf einem endlichen Planeten. Dieser Widerspruch kann nur eine Vergesellschaftung von Großkonzernen, insbesondere Energiekonzernen, auflösen. Diesen Kampf müssen soziale Bewegungen mit ihren unterschiedlichen Formen des Widerstands führen. Den Castortransport im November im Wendland durch massenhaftes Schottern, also das Wegräumen von Steinen aus dem Gleisbett, zu blockieren ist eine davon.

NEIN

Jürgen Suhr, 51, ist Chef des kleinsten Grünen Landesverbandes: Mecklenburg-Vorpommern

Deutschland ist nicht grün! Zwar werden mit grünen Ideen schwarze Zahlen geschrieben. Und grüne Themen wie der Klimawandel oder Atomausstieg sind für viele bedeutend. Aber grüne Politik ist nur in den urbanen Zentren mehrheitsfähig, in der Fläche noch nicht. Und je weiter es in den Osten geht, umso mehr müssen Grüne um Akzeptanz ringen. Es ist wichtig, dass wir mittendrin sind in den Protesten zu Gorleben oder Stuttgart 21. Wir treffen das Lebensgefühl vieler Menschen, für die Toleranz, Gerechtigkeit und Ökologie wichtige Werte sind. Dass andere versuchen, Grün zu kopieren, hilft uns. Doch die Nagelprobe steht noch aus. Denn die erforderlichen Investitionen in Klimaschutz, Bildung und Gerechtigkeit stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Mit diesem Problem müssen wir umgehen – und unsere Wähler das akzeptieren. Wenn das gelingt, wird die Republik wirklich grün!

Matthias Machnig, 50, Ex-Umweltstaatssekretär, ist Wirtschaftsminister in Thüringen (SPD)

Deutschland ist schwarz-gelb, wobei Schwarz-Gelb leider nicht für den tollen Fußball des BVB in Dortmund steht. Schwarz-Gelb steht für Merkel-Westerwelle. Für die Menschen in Deutschland heißt das: Es gibt ein Zurück in der Energiepolitik, beim Atomausstieg, in der Gesundheitsversorgung, beim Durchprügeln von Infrastrukturprojekten wie Stuttgart 21. Gute Umfragen sind keine neuen Mehrheiten. Richtig ist: Regierungen werden abgewählt. Aber wenn es kein Vertrauen, kein Zukunftskonzept und keine verlässliche Aufstellung für neue Mehrheiten gibt, nutzen Umfragen nichts. Die Zukunft des Landes und eine neue Mehrheit entscheiden sich an der Frage, wie der notwendige Dreiklang aus ökonomischer, sozialer und ökologischer Kompetenz in Regierungshandeln umgesetzt werden. Bis 2013 ist es noch eine lange Zeit. Drei Jahre in der Politik sind Lichtjahre im wirklichen Leben. Deshalb geht es bis dahin um eines: Alternativen aufzeigen, Vertrauen aufbauen und die Architektur neuer Mehrheiten vorbereiten.

Gero Neugebauer, 69, ist Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin

Deutschland soll grün sein? Als Perspektive vielleicht, aktuell nicht. Zwar kritisieren die Grünen die Regierung besser als ihre Konkurrenten. Sie machen so auf ihre Positionen aufmerksam und erhalten auch da Zustimmung, wo sie bisher als Ideologen und Eiferer galten. Das reicht aber nur für ein grüneres, nicht für ein grünes Deutschland. Denn die Grünen sind nicht im Unterleib der Gesellschaft präsent, bei denen mit niedrigen Bildungsabschlüssen und schlecht bezahlten Jobs. Die sind oft politisch desillusioniert und können mit grüner Politik nichts anfangen. Die libertären Wertorientierungen der Grünen dominieren gesellschaftlich nicht, das hat die Sarrazin-Debatte gezeigt. Und Grün verblasst dort, wo in grüner Regierungspolitik „grüne“ Prinzipien verletzt werden. In Hamburg bleiben sie trotz des Fortfalls substanzieller Projekte in der Koalition, in Bremen werden Bäume Opfer grüner Baupolitik.

Karl-Heinz Alster, 62, ist Kfz-Mechaniker und hat das Thema auf taz.de kommentiert

Die Grünen können keinen mehr verschaukeln. Unter Schröder haben sie das schwanzwedelnde Hündchen gespielt. Jetzt, in der Opposition, sind sie dafür, dass sie in jedem Fall dagegen sind. Wer will Parteien denn noch glauben?! Stets nach den Wahlen verschmelzen sie zu Regierungen, die die Wähler eigentlich gar nicht haben wollten. Das Volk hat Angst, rigoros zu sein – das fehlt wie damals bei Kohl, der dadurch so lange regieren durfte. Danach kam Schröder, der behauptete: Wir machen es besser. Besser schon, aber nur für die, die es vor lauter „Bessergehen“ nicht mehr aushalten konnten, während beim Volk gespart wurde. Mit den Grünen als Schoßhündchen.