Immer mittenmang

BERLINER BILDERBOGEN Matthias Koeppel, der künstlerische Chronist der Berliner Stadt- wie der deutschen Zeitgeschichte

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Man muss sich Matthias Koeppel wohl als einen Mann in der Berliner Menge vorstellen – die Menge, die in der Hauptstadt bei Grüner Woche, Hertha-Heimspiel oder Mauerfall anrückt. Die beim Deutsch-Amerikanischen Volksfest, beim 1. Mai oder bei der Fanmeile am Brandenburger Tor Tuchfühlung mit dem Mitmenschen sucht. Irgendwo da drängelt auch Koeppel mit, nicht ganz einverstanden zwar, aber immer mittenmang.

Im Pulk zeigt sich der Künstler immer wieder auf seinen großformatigen Ölgemälden: 1989 bei der Grenzöffnung an der Heinrich-Heine-Straße, bei der Reichstagsverhüllung im Tiergarten oder beim Public Viewing am Potsdamer Platz. Als teilnehmender Beobachter präsentiert sich der 77-Jährige und als künstlerischer Chronist der Berliner Stadt- wie der deutschen Zeitgeschichte. Seit dem Wochenende ist im Berliner Ephraim-Palais eine Retrospektive seines Werks zu sehen.

Matthias Koeppel – nie gehört? Wer glaubt, dass in den 70er und 80er Jahren in Westberlin Leute wie David Bowie, Romy Haag, Harun Farocki, die Einstürzenden Neubauten oder die Tödliche Doris den Ton angaben – ein Eindruck, den zuletzt eine Reihe von nostalgietrunkenen Veröffentlichungen schürte –, sollte sich schnell ins Berliner Ephraim-Palais begeben. Dort kann man sich ein Bild davon machen, was das künstlerische Establishment Westberlins in diesen Jahren tatsächlich trieb: In der bildenden Kunst entwickelte sich ein Stil, der irgendwo zwischen naiver Malerei und fantastischem Realismus angesiedelt war. (Es war die Zeit, als die „Kleine Weltlaterne“ in der Kohlfurther Straße ein Treffpunkt von Künstlern, Literaten und Intellektuellen war und die Galerie am Savignyplatz tatsächlich noch an selbigem ihre Räume hatte.) Diese gegenständliche Malweise war fast drei Jahrzehnte eine Art Lingua Franca eines bedeutsamen Teils der Westberliner Gegenwartskunst, von der „Neuen Figuration“ (Lüpertz, Hödicke) über den „kritischen Realismus“ (Wolfgang Petrick, Peter Sorge) bis hin zur „Schule der Neuen Prächtigkeit“, der Anfang der 70er Jahre gegründeten Gruppe, der Matthias Koeppel angehörte.

Ablehnung der Abstraktion

Ohne die Gemeinsamkeiten zwischen diesen Künstlern allzu sehr überstrapazieren zu wollen, kann man sagen, dass sie neben der Ablehnung der Abstraktion eine vage linke Oppositionshaltung verband. (Ihren Einfluss in der Westberliner Linken kann man noch heute an den fassadenhohen Wandgemälden früherer besetzter Häuser in Kreuzberg aus der Zeit um 1980 studieren.) Aber auch in Teilen des Westberliner Bürgertums war dieser Stil populär, wie die große Zahl privater Leihgaben in der Ausstellung zeigt. Oder ist es sogar noch: Zur Vernissage der Koeppel-Ausstellung kamen so viele Fans, dass die Veranstaltung kurzerhand in die benachbarte Nikolaikirche verlegt werden musste – und selbst die platzte aus allen Nähten.

Koeppel war 1955 nach Berlin gekommen, um an der HdK abstrakte Malerei zu studieren, wand sich aber schließlich einem gegenständlichen Stil zu. Seine Beliebtheit dürfte sich genau dadurch erklären, dass er der Stadt den Spiegel vorhielt, ohne sein Publikum durch formale Experimente herauszufordern. „Gut abmalen kann er ja“, sagt eine Besucherin vor einem Bild, das Dali vor dem Brandenburger Tor zeigt. Seine Bilder von Westberliner Stadtbrachen wie dem Potsdamer Platz oder den Trümmerhaufen in der Brunnenstraße im Wedding sind mit altmeisterlicher Präzision gemalt.

Immer wieder bezieht er sich auf kunsthistorische Motive: fiktive Mitglieder der Republik Freies Wendland sitzen beim Abendmahl zusammen. Vor der Schaubühne geriert sich eine Bohemetruppe als die sieben Todsünden. Am Brandenburger Tor tagt das Jüngste Gericht. Am Anhalter Bahnhof wird ein Gemälde von Lucas van Leyden nachgestellt. Überhaupt sind die Berliner Architektur und deren Ruinen ein wichtiges Thema: Westberliner Baufilz und lange verrauchte Bauskandale hat er thematisiert. Auf einem Bild tänzelt die Skandalarchitektin Sigrid Kressmann-Zschach, Schöpferin des Steglitzer Kreisels, vor einer abgerissenen und längst vergessenen „gläsernen Galerie“ am Messegelände entlang; anderswo sind das alte Café Kranzler, der Sportpalast und selbst die Skihütte zu sehen.

Derartige künstlerische Widerstandsgesten gegen die Umgestaltung der Stadt machten Koeppel zum Teil des Westberliner Kulturestablishments: 1981 wurde er Kunstprofessor an der TU Berlin. Seine Arbeiten wurden von der Stadt angekauft. 1998 wurde er mit dem Verdienstorden am Bande ausgezeichnet, im vergangenen Jahr mit dem Kulturpreis der B.Z. Das Vorwort zum Ausstellungskatalog hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit verfasst.

Selbst ein bisschen muffig

Beim Bemühen, den Muff des alten Westberlins festzuhalten, hat Koeppels Werk selbst etwas von diesem Muff angenommen. Hier ist keine radikale, zukunftsweisende Position neu zu entdecken. Wohl aber ein Stück Westberlin, wie es war – als Stadtlandschaft wie als kulturelles Biotop. Zuletzt wird das zum Teil recht staatstragend: ein Bild zeigt Kanzler Kohl bei der Grundsteinlegung des Kanzleramtes, andere Bilder – etwa das von Hartmut Mehdorn vor dem BER – wirken eher wie politische Karikaturen.

■ Bis zum 28. September, Ephraim-Palais, Berlin, Katalog (Nicolai) 19,90 bzw. 29,90 Euro