bücher aus den charts
: Keine leere Drohung: Tommy Jaud hat sein Zweitbuch geschrieben, „Resturlaub“

Bütikofer war gern bei Leopolds zu Gast. Er mochte Leopolds Frau und die beiden Kinder und er schätzte auch Leopold, mit dem er sich am liebsten über berufliche Dinge unterhielt, gerade weil sie so unterschiedliche Berufe hatten. Bütikofer leitete bei der Deutschen Bahn in München eine Abteilung, die an der Planung und Realisierung der jeweils neuesten ICE-Generation arbeitete; Leopold war von Beruf Literaturkritiker. Ein bisschen haarig wurde es zwischen den beiden nur, wenn Leopold plötzlich schlau kam und versuchte, Bütikofer seine Lieblinge auszureden und die schöne Literatur nahezubringen. Wenn er also über Paulo Coehlo und Dan Brown schimpfte, bei Friedrich Ani das Gesicht verzog und Bütikofer stattdessen F. Scott Fitzgerald empfahl.

An diesem Abend, Bütikofer war wegen der Innotrans in Berlin und auf eine Nacht vorbeigekommen, schwärmte Leopold ihm von einem Buch mit dem Titel „Bombay. Maximum City“ vor, „du warst doch schon mehrmals in Indien?“. Das ging für Bütikofer in Ordnung, tatsächlich hatte er Indien schon zweimal bereist, ein bisschen auch, um zu sich selbst zu kommen, durchzuatmen etc. Aber das Bombay, von dem ihm Leopold da mit seinem Buchwissen erzählte, das kannte er kaum. Klar, eine krasse Stadt, aber wo er sich in den vier Tagen zumeist aufgehalten hatte, in der Nähe des „Gate of India“, da war es einfach nur schön, da ging es verhältnismäßig ruhig und gemächlich zu, da hatte Bütikofer sich gar ein Hotel für 20 Euro geleistet, und überhaupt: Was wollte ihm Leopold jetzt eigentlich erzählen, der Schlaumeier? Sollte er doch selbst erst mal nach Bombay fahren!

Dumm war allerdings, dass Leopold irgendwann an diesem Abend in Bütikofers Koffer ein Buch entdeckte, Tommy Jauds Roman „Vollidiot“, und sofort ansprang. „Sag mal, Bütikofer, das ist doch nicht dein Ernst, so einen Scheiß liest du?“ Ihm blieb nichts anderes übrig, als das zu bejahen, ja, er kannte selbst Jauds neues Buch „Resturlaub“ schon. Dieses hatte ihm ein befreundetes Ehepaar mit den Worten geschenkt: „Der Typ in dem Buch, der Erzähler, der hat uns sehr an dich erinnert.“ Und in der Tat: Bütikofer sah sich in diesem Peter Greulich wieder, einem 37-jährigen Brauerei-Marketing-Mann, der die Nase voll hat von seinem spießigen Bamberger Umfeld, seiner Frau, seinen Freunden, von denen jetzt auch der Letzte unter die Haube wollte, und der einfach mal so zu einem Flughafen fährt und fragt: „Welche Flugziele, also welche Stadt ist denn ziemlich groß und ziemlich weit weg?“, und dann in Buenos Aires landet.

Leopold war entsetzt, als er das hörte. Er ließ sich auch nicht überzeugen, dass das Buch mitunter wirklich witzig sei, dass Jaud das Fränkische mundartlich gut hinbekomme und so weiter: „Das ist einfach nur das totale Vollidiotentum, Stammtischliteratur, Stuckrad-Barre für ganz, ganz Arme.“ Ja, Bütikofer musste zugeben, das hatte was, was Leopold vom Stapel ließ, auch wie er wutentbrannt die Folie vom Buch riss und schon fahle Witze hinten auf dem Cover und im Inhaltsverzeichnis zu erkennen meinte: „‚Weg wie nix‘, ‚Die Frau ist rund‘, ogottogott.“ Zaghaft gestand er, dass mancher Witz in „Resturlaub“ vielleicht etwas überdreht sei und auch die argentinische Passage so ihre langweiligen Stellen habe. Doch was sollte er machen: Spaß hatte ihm die Lektüre trotzdem bereitet und der Beweis dafür lag in seinem Koffer, Jauds Erstling „Vollidiot“. Bütikofer und Leopold einigten sich darauf, dass Jaud wohl irgendwie ein Fußfetischist sei, diese schreiend blauen und grünen Cover mit den Füßen in Socken oder Badeschlappen sagten ja alles. Und Bütikofer verprach, das Bombay-Buch zu kaufen. Am nächsten Tag aber, als er wieder im ICE nach München saß, vertiefte Bütikofer sich wieder in den „Vollidioten“ und, was sollte er machen?: Er lachte sich schief und scheckig. ALEXANDER LEOPOLD

Tommy Jaud: „Resturlaub“. Scherz Verlag, Frankfurt am Main 2006, 255 Seiten, 12,90 Euro