Der Rebell auf dem Sprung

„Es gibt ein Volk, das in diesem Land nicht akzeptiert wird“, sagt Laurent Nkunda, „die Tutsi“

AUS DEN MASISI-BERGEN (KONGO) DOMINIC JOHNSON

Geschmeidig und wortlos gleiten sie von ihren Posten auf den hohen Baumstämmen herab. Mit sauberen Uniformen und blitzenden Waffen führen die Wächter ihre Besucher auf dem Feldweg entlang, zurückhaltend und also ganz anders als gewöhnliche Milizionäre im Kongo. Ein leiser Wortwechsel, ein knapper Blick, ein kurzer Kontrollgang, und nach zwei Sperren ist der Weg frei zum alten roten Farmhaus, von dessen Gelände aus sich grüne Viehweiden und blühende Hecken über die Hügel erstrecken. Hier residiert Laurent Nkunda, Anführer von Kongos jüngster und mysteriösester Rebellenbewegung.

Nkunda ist erst 39 Jahre alt, aber schon ein Veteran aller Kriege im Afrika der Großen Seen. Hochgewachsen und ausgestattet mit einer natürlichen Autorität, wird der kongolesische Tutsi von den einen als Schlächter gehasst, von den anderen als Retter verehrt. Seit er sich 2003 aus Kongos gerade begonnenem Friedensprozess verabschiedete und sich mit ein paar Getreuen in die Berge schlug, bastelt er von hier aus an einer Rebellion, die ihn bereits zum stärksten der vielen Dissidenten des Ostkongo gemacht hat.

Ist sein Kampf nur noch der schwache Nachhall der vergangenen Kriege im Kongo – oder ist er schon der Vorbote des nächsten? Geht es ihm um die Verteidigung bedrohter Tutsi – oder plant er einen neuen bewaffneten Umsturz im gesamten Kongo?

Der schlaksige 39-Jährige, gekleidet in ein grünes Uniformhemd mit roten Epauletten, der seinen Besuchern schließlich im Garten des Farmhauses gegenübertritt, kommt umgehend zur Sache. „Das kann nicht funktionieren“, sagt er über Kongos Friedensprozess; dabei fixiert er sein Gegenüber mit hartem Blick. Eine geeinte nationale Armee im Kongo? „Die Soldaten dort haben nichts zu essen, keine Unterkunft, keinen Sold, sie werden nicht versorgt“, beschreibt er deren Lage. Kabila? „Kabila ist kein ernsthafter Politiker. Er schießt auf die Leute in Kinshasa, weil sie nicht für ihn wählen.“ Und die laufenden Wahlen? „Die sind gescheitert. Der Crash ist unausweichlich.“ Seine Entourage, eine abenteuerliche Truppe mit Bärten und Raketenwerfern, rückt stumm die Waffen zurecht.

Vor General Nkunda hat heute ganz Ostkongo Respekt. Seit zwei Jahren hält er sich mit mehreren Armeebrigaden in den Bergen des Distrikts Masisi verschanzt, westlich der Provinzhauptstadt Goma an der Grenze zu Ruanda. In seinem Herrschaftsgebiet leben die Menschen in Sicherheit. Die reguläre Armee hat hier keinen Zugang, auf den Straßen und Märkten sieht man Zivilbevölkerung und Rebellen friedlich vereint, Landwirtschaft, Viehzucht und Handel florieren. Kinder in Schuluniformen laufen die Straßen entlang, sogar UN-Blauhelme sind unterwegs. Nkundas Gebiet wird langsam größer. Wenn er wollte, sagen Bewohner des 500.000 Einwohner zählenden Goma, könnte er die Stadt im Handstreich einnehmen; einige ihm ergebene Offiziere leben ohnehin dort. Nkunda hat Verbündete in der Nachbarregion Ituri, dort werden UN-Blauhelme erfolgreich bekämpft.

Viele Menschen im Kongo halten Nkunda für einen Kriegsverbrecher und fordern seine Verhaftung. Seine Soldaten sollen bei der Besetzung der ostkongolesischen Metropole Bukavu im Juni 2004 tausende Frauen vergewaltigt haben. Heute allerdings „benimmt sich seine Armee, er legt Wert auf gute Organisation“, meint Nicolas Vyzny, Vertreter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in Goma. Jene Soldaten allerdings, die Nkunda nahestehen, ohne von ihm selbst kommandiert zu werden, seien unberechenbar.

Andere Kongolesen wiederum, meist Angehörige der ruandischstämmigen Minderheit und vor allem der Tutsi-Volksgruppe darin, sehen in Nkunda ihren Beschützer vor einem Genozid. Seit den 90er-Jahren wurden Tutsi im Ostkongo immer wieder Opfer von Massakern und Vertreibungen. Ohne Nkunda, das hört man von Tutsi in Goma, hätte es schon längst wieder Pogrome gegeben.

Im direkten Gespräch wirkt Nkunda lebhaft. Er beugt sich beim Reden nach vorn, unterstreicht seine Argumente mit harten Handbewegungen. Wenn er von Kongos Politikern spricht, lächelt er spöttisch. Manchmal wirkt er locker und witzig, etwa wenn er über die weißen Ausländer lästert, „die da unten in Goma nur Milchpulver haben, während wir hier oben richtige Milch trinken“. Dann wieder grinst er verlegen, wenn man ihn fragt, wie viele Kämpfer er hat: „Ich habe … nein, das kann ich Ihnen eigentlich nicht sagen. Na gut, aber schreiben Sie es nicht: so um die 10.000.“

Nkundas Ton ist entschlossen, wenn er über „seine“ RCD-Soldaten spricht. Die Art und Weise, wie die politische Führung von Kongos größter Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) 2003 einfach Frieden mit Kabila schloss, ohne mit ihrem militärischen Flügel Rücksprache gehalten zu haben, stellt der frühere RCD-General als zentrales Motiv seiner Rebellion dar. Die nennt sich „Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes“ (CNDP), deren „Chairman“ ist er selbst. Als CNDP-Chairman will Nkunda mit dem nächsten gewählten Präsidenten des Kongo verhandeln: über die Neugliederung der Armee ohne ethnische Diskriminierung und über die Anerkennung der Rechte der ruandischstämmigen Minderheit im Ostkongo.

Bei diesem Thema wird Nkunda emotional. „Es gibt im Kongo ein Volk, das wegen seines Aussehens nicht akzeptiert wird: die Tutsi. Das ist inakzeptabel!“, sagt er und spricht damit das rassistische Klischee vom großen schlanken Tutsi mit der langen Nase an, der angeblich Zentralafrika unterjochen wolle und daher auszurotten sei – wie beim Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994. „Dies ist unser Land“, sagt Nkunda sichtlich aufgewühlt, „wir müssen hier bleiben können. Wenn wir woanders hingehen, werden wir angegriffen. Das ist inakzeptabel! Man spricht Soldaten aufgrund ihres Aussehens ihre Würde ab; wenn sie ihr Gebiet verlassen, werden sie massakriert. Das ist inakzeptabel! Inakzeptabel!“

Wenn Nkunda „Inakzeptabel!“ ruft, wird sein Ton schneidend. Der ansonsten so gelassene General strahlt Wut aus, und es wird deutlich, dass es wegen dieser Angst vor der eigenen Vernichtung für ihn keine Alternative zum bewaffneten Kampf geben kann.

Kampf als Form politischer Auseinandersetzung ist Nkunda vertraut. In Nyanzale in den Masisi-Bergen geboren, wurde er in den 90er-Jahren wie viele andere Tutsi nach Ruanda vertrieben. Dort schloss er sich der Rebellenarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) an, die unter Führung von Paul Kagame 1994 die Macht in Ruanda ergriff und das vorherige Regime von Hutu-Völkermordverantwortlichen stürzte. 1996 war Nkunda einer jener kongolesischen Tutsi, die mit Ruandas Armee in den Kongo zurückkehrten und dort Rebellenführer Laurent-Désiré Kabila an die Macht brachten. Als Kabila 1998 mit Ruanda brach, war Nkunda einer der Militärs, die mit ruandischer Unterstützung gegen Kabila meuterten und die Rebellenbewegung RCD gründeten. Als die RCD 2003 mit Kabila Frieden schloss, ging er in den Busch.

Auf sogenannten Versöhnungsversammlungen in Masisis Dörfern versucht sich Nkunda heute als politischer Führer. Wollt ihr, fragt er da die Leute, eine Rückkehr zu den ethnischen Kriegen der 90er-Jahre? Ich, Nkunda, stehe dafür, dass das nicht geschieht. Er tritt als Versöhner auf, der durch die strikte Disziplin seiner Truppe Vertrauen schafft. Die Strategie hat sich schon zu Zeiten von Ruandas Präsident Kagame als Guerillaführer Anfang der 90er-Jahre bewährt. Nkunda und Kagame stammen aus verwandten Clans, die das alte ruandische Adelstotem des Frosches teilen. In Nkunda hat Kagame, heute der stärkste Präsident der Region, einen würdigen Schüler gefunden.

Nkundas Taktik hat Erfolg, allmählich wird er in Nord-Kivu mächtiger als die Regierung, mächtiger als Provinvzgouverneur Eugène Serufuli. Der gehört auch zur ruandischstämmigen Ethnie – aber er ist Hutu, Nkunda Tutsi. Serufuli wurde lange verdächtigt, mit Nkunda zusammenzuarbeiten. Inzwischen aber hat sich Serufuli mit Kongos Präsident Kabila verbündet, um seinen Posten bei den Provinzwahlen Ende Oktober zu retten, und will Nkunda bekämpfen.

„Er hat zu mir gesagt, ich könne nicht ohne seine Erlaubnis Versammlungen abhalten“, schildert Nkunda sein Verhältnis zu Serufuli. „Ich habe ihm gesagt: Ich brauche deine Erlaubnis nicht, du bist Provinzgouverneur und wir sind eine nationale Bewegung! – Er hat gesagt: Was du machst, ist illegal. Ich habe gesagt: Das nächste Mal erlaube ich dir nicht, hierherzukommen.“ Gesagt, getan: Als Serufuli Anfang September in die Masisi-Berge reisen wollte, kam er nur 30 Kilometer aus Goma hinaus. Hinter dem Dorf Sake, wo die Teerstraße endet und die Berge beginnen, traf der Gouverneur auf eine Nkunda-Straßensperre. Er machte lieber kehrt.

Seitdem kommunizieren Nkunda und Serufuli über Truppenbewegungen, in Goma fürchtet man den kommenden Krieg. Serufuli hat da die schlechteren Karten, denn sein Armeechef auf Provinzebene ist ein Freund Nkundas aus RCD-Zeiten. Die Provinz Nord-Kivu scheint eine reife Frucht zu sein, die darauf wartet, in die Hände der neuen Rebellen zu fallen. Und vielleicht nicht nur Nord-Kivu: Wenn man Nkundas Chefideologen Amani, einen jungen Heißsporn, fragt, wo er seine Bewegung in einem Jahr sieht, ruft er voller Überzeugung: „An der Macht in Kinshasa!“

Das erinnert an die Zeit vor genau zehn Jahren, als Kabilas Rebellen sich anschickten, in den Krieg zu ziehen. Auch damals nahm die Welt sie nicht ernst, und dann eroberten sie das ganze Land. Nkundas Rebellen heute strahlen eine ähnliche Selbstgewissheit aus. Amani erklärt, man habe aus früheren Kriegen gelernt: Nur aus eigener Kraft, nicht mit fremder Hilfe, kann man im Kongo wirklich etwas verändern. Ruanda, das wird auch in Goma bestätigt, unterstützt Nkunda nicht – es will keinen neuen Krieg an seiner Grenze.

Wenn Nkunda über seine Pläne spricht, klingt er seltsam ausweichend. „Erstmal bin ich mit meiner Arbeit zufrieden“, antwortet er. „Bei uns sind nicht nur Ruandischstämmige, sondern alle Völker leben hier zusammen. Ich habe dieser Gegend Sicherheit gebracht. In einem Jahr? Da werde ich weitermachen. Morgen vielleicht in Ituri. Aber ich hoffe immer noch, dass Kongo die nationale Einheit finden wird.“

Auf die Frage, ob er nicht einfach mit seinem Krieg einer Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag entgehen wolle, fängt der Rebellenführer an zu lachen und zeigt auf das verfallene Farmhaus. „Ich habe keine Angst vor Den Haag. Das Gefängnis dort ist besser als das, was ich hier habe. Ich gehe lieber da hin, als im Busch zu bleiben. Soll die internationale Gemeinschaft meinem Volk Frieden bringen, dann gehe ich nach Den Haag.“ Er weiß genau, dass dieser Frieden nie kommt.