Champagner zum Frühstück?

FRANKREICH IN BERLIN Trotz 30.000 frankophoner Berliner_innen gibt es eine „Expat-Szene“ nur in Ansätzen – auch weil sich einige Exilfranzös_innen gar nicht so sehr mit ihrem Heimatland identifizieren

Das frankophone Kulturmagazin Berlin Poche wird fünf und zelebriert das unter dem Motto „Masken&Muskelshirts-Party“: Nackte Arme und verdeckte Gesichter kommen günstiger rein – so ist das, wenn mensch sich nicht um das Vermummungsverbot scheren muss. Als Geschenk für die Gäste gibt es je eine Aprilausgabe (sonst 2 Euro, erhältlich an 80 Verkaufstellen oder im Abo). Dann Konzerte von The Hoo und Parlez-vous anglais? sowie Musik der DJs Marian Tone, Spock und Sansouci (Funk, Electro, Balkan Beats) und die Wahl zu Miss und Mister Maske&Muskelshirt! JCR

■ 5 Jahre Berlin Poche: Südblock, Admiralstr. 1–2, rolligerecht, Samstag, 29. 3., 22 Uhr, 5–7 Euro

VON JAYRÔME C. ROBINET

Charme, Flair, Glamour: Fast jedes Mal, wenn ich einen Artikel über „Franzosen in Berlin“ (wahlweise Hamburg, München, Deutschland) lese, habe ich ein unheimliches Gefühl. Erstens fühle ich mich exotisiert, zweitens bin ich irritiert über die deutsche Faszination meinem Herkunftsland gegenüber. „La grande Nation“, „La Révolution française“, „die Stadt der Liebe“, ein Land, wo die Leute – aus deutscher, projektionsflächendeckender Perspektive – bestimmt zum Frühstück Champagner in reizenden Abendkleidern nippen … Woher haben so viele Deutsche dieses Bild von Frankreich? Aus einem Kolonialbuch?

laYla zami wohnt seit 2007 an der Spree – im „politischen Exil“, so die Doktorandin: „Unter Nicolas Sarkozy wollte ich nicht leben.“ Leider habe sie schnell merken müssen, dass es hierzulande nicht viel besser ist, weshalb sie mit ihrer Partnerin Oxana Chi den transkulturellen „li:chi – Verein für Kunst und politische Bildung“ gründete.

Auch Bassano, Mitglied des Künstler_innenkollektivs „Altes Finanzamt“ in Neukölln und seit 2011 in Berlin, betrachtet sich „als politische Geflüchtete“. Als queere Person habe sie sich in Frankreich eingeengt gefühlt, sagt sie.

Dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg zufolge leben etwa 17.000 Französ_innen in Berlin, die Zahl ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Nicht alle sind hier aus politischen Gründen – manchmal auch aus wirtschaftlichem Interesse, wegen Job oder billigen Mieten. Ja, das dürfen wir weiße „Expats“. Wie die deutsch-französische Autorin Noah Sow es in ihrem Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ treffend formuliert: „Wir bauen meterhohe Zäune um die Festung Europa und denken uns gar nichts dabei, dass es als normal betrachtet wird, dass bei uns jeder in jedes Land kommen und dort herumhängen darf, sofern es sich um Europäer handelt.“ Auch die Zahl der französischen Tourist_innen hat sich seit 1994 mehr als verfünffacht: 2013 waren etwa 230.000 zu Besuch.

Und natürlich gibt es viele französisch geprägte Orte in Berlin, darunter zwei Buchhandlungen: den Buchladen der Galeries Lafayette und Zadig in der Linienstraße, das dank seinem vielseitigen Büchersortiment und der regelmäßigen Events ein Treffpunkt vieler in Berlin lebender Frankophonen geworden ist. Es gibt eine Plattform für Theater auf Französisch („La Ménagerie“), das neben Pädagogik in Schulen und wöchentlichen Workshops auch ein Theaterfestival organisiert (dieses Jahr Ende Mai im Acud); ein jährliches Festival für französisches Chanson auf der Kleinkunstbühne Corbo; ein Netzwerk französischsprachiger Künstler_innen („Das Chansonnetz“), ein deutsch-französischer schwullesbischer Verein („Bleu Blanc Rose“); ein monatlicher Kinoabend im Babylon Mitte („La French Connection“); eine französische Partyreihe („Le Bordel“); und zahlreiche Zeitschriften: Berlin Poche, La Gazette de Berlin, Le Petit Journal de Berlin, ParisBerlin, „Vivre à Berlin“… klingt fast, als gäbe es eine Parallelgesellschaft.

Genug französischsprachige Leute gibt es in Berlin, „zählt man alle Frankophonen, sind es mehr als 30.000“, sagt Lea Chalmont, Chefredakteurin von Berlin Poche. Doch das Kulturmagazin im A5-Format hat nur eine Auflage von monatlich 3.000 Exemplaren, die Hälfte der AbonnentInnen seien Deutsche. „Und trotz fünf Jahren rund um die Uhr arbeiten wir immer noch ehrenamtlich“, seufzt Chalmont. Ein wahres Herzensprojekt!

Buchhandlungen, Theaterfestival, Partyreihe, Stadtmagazin – hört sich fast an wie eine französische Parallelgesellschaft

Auch La Gazette de Berlin, die ab 2006 zweiwöchentlich erschien mit Nachrichten aus Politik, Wirtschaft und Kultur, musste drei Jahre später u. a. aus Geldnot zum reinen Onlineportal werden. Le Petit Journal de Berlin und Vivre à Berlin gibt es sowieso nur digital, Letzteres mit Fokus auf Tipps für Zugezogene.

Nicht alle finden sich darin wieder: Französische Presse aus Berlin lese sie selten, gibt Bassano zu. „Vivre à Berlin: Allein der Name, das klingt wie eine Gebrauchsanweisung, wie man hier als ‚Franzose‘ zu leben hat.“ Zudem konstruiere das die Illusion einer kulturell und sozial homogenen Gruppe. Doch überall gelte: „Es gibt viele verschiedene Arten und Weisen, wie man in einer Stadt lebt.“ Findet sie Berlin Poche bei Freund_innen, schaut Bassano aber gern rein. „Interessant ist die Zeitschrift schon!“

Mit dem Begriff „Expat“ können weder Bassano noch laYla zami etwas anfangen. „Doppelte Standards“, so Bassano, „warum gelten einige Menschen als ‚Expat‘ und andere als MigrantInnen?“ Um sich als „Expatriée“ (wörtlich „Entvaterlandete“) zu fühlen, fügt zami hinzu, müsse sie erst ein Vaterland haben. „Ich identifiziere mich aber mit keiner Nation.“ In Frankreich war sie enge Mitarbeiterin von Christiane Taubira. Die heutige Justizministerin setzte sich schon damals für Gleichberechtigung ein, „was in diesem angeblich revolutionären, aber eigentlich furchtbar konservativen und menschenrechtsfeindlichen Frankreich dringend notwendig ist“. Wenn kommenden Sonntag bei der zweiten Runde der Kommunalwahlen Konservative und Rechtsextreme weitere Erfolge erzielen, könnten bald noch mehr Franzosen hierher ziehen.