Banking auf Knien

Die Berliner Commerzbank hat ein neues Kundensystem für Bankgeschäfte entwickelt

Wer dieser Tage außerhalb der Öffnungszeiten bei der Berliner Commerzbank am Berliner Hermannplatz vorbeischaut, dem bietet sich ein eigenartiges Schauspiel: Im Vorraum, neben den Schlangen vor den Geldautomaten und dem Kontoauszugsdrucker, warten weitere Kunden geduldig in einer Reihe – allerdings vor der verschlossenen Tür zum Filialinneren, das erst am nächsten Tag wieder zugänglich sein wird. Was mag der Grund sein, schon jetzt hier auszuharren – verspricht die Commerzbank den ersten 20 Besuchern des Tages einen zinslosen Kredit? Aber wo sind dann die Schlafsäcke, Klappstühle und Thermoskannen der Wartenden?

Eben rückt diese Schlange ein Stück nach vorn, und nun ist eine alte Dame zu sehen, die sich überraschend flink auf alle Viere niederlässt. Leise schnaufend schiebt sie ein Stück Papier unter der Tür hindurch und krabbelt zur Seite. „Da is noch wat draußen“, tönt es aus der Schlange, „dit is noch nich sicher!“ Tatsächlich ragt noch ein winziges Eckchen des Papiers unter dem Türspalt hervor. „Nachschieben“, empfiehlt die Stimme aus der Schlange, „sonst isser weg oder wat Schlimmeres.“ Die alte Dame blickt beschämt nach oben. „Ick helfe ihnen!“ Ein junger Mann geht neben ihr in die Hocke und zieht Kontoauszüge aus seiner Jackentasche. „So …“, er stupst das Papier hinein, „jut is. Am besten, immer noch wat dabeihaben. Brief jeht ooch – darf nur nüscht Wichtiges drinne stehen.“ Galant hilft er der alten Frau auf die Beine und zieht sich in die Schlange zurück, während bereits der nächste Commerzbankkunde in die Knie geht.

Wozu das alles? „Onfloor Banking“, erklärt die alte Dame; das Wort kommt ihr flüssig über die Lippen. Sie klopft sich Staub vom Mantel. „Ich habe gerade eine Überweisung eingewor-, pardon: eingepusht.“ Aber gibt es für Überweisungen, Scheckeinreichungen et cetera nicht einen Briefkasten? Doch, sagt sie, früher habe es den gegeben. Damals, erzählt sie, habe sie ihre Überweisungen in einen Briefkasten gesteckt, der in die Außenmauer des Gebäudes eingelassen ist. Dann aber habe die Bank einen zusätzlichen Kasten im Vorraum aufgestellt und die Klappe des äußeren mit der Aufschrift „Hier nur Briefe und Zeitungen“ versehen. Und wo ist der neue Kasten? „Weg.“ Er war aufgebrochen worden, berichtet sie weiter, Diebe hatten sich seines Inhalts bemächtigt und wohl auch einigen Schindluder mit Schecks und Kontonummern getrieben. Einen Ersatz gab es nicht. Hätte man dann nicht wieder auf die bewährte Außenstelle zurückgreifen können? Die alte Dame schüttelt den Kopf. „Kommen Sie mit!“, sagt sie und präsentiert wenige Schritte weiter den Außenbriefkasten der Filiale: „Wie sie sehen, ist er zugeschraubt.“ Seither praktiziere auch sie das Onfloor Banking. „Man muss mit der Zeit gehen. Zuerst war das eine Umstellung, aber man gewöhnt sich daran.“

Bisher seien alle ihre Überweisungen rechtzeitig bei den Empfängern eingetroffen. Nur ein Mal habe sie unverrichteter Dinge wieder umkehren müssen. „Da war das ganze Haus von der Polizei abgesperrt, und vor dem Schaufenster klaffte ein Loch.“ Erst habe sie an Bankräuber gedacht, die einen Tunnel gegraben hätten, dann an einen neuen Zugangsmodus für Onfloor-Banking-Kunden. Auf Nachfragen habe ihr jedoch ein Polizeibeamter erzählt, dass sich der Bürgersteig abgesenkt hatte, das Loch also eine Art Probebohrung darstellte. „Aber wie gesagt“, lächelt sie, „bis auf diesen Beinahe-Absturz des Systems ist noch nie etwas passiert. Und die jungen Leute sind immer sehr hilfsbereit.“ Sie wünscht „noch einen schönen Tag“ und zieht weiter.

Im Vorraum der Commerzbankfiliale am Hermannplatz herrscht derweil weiter reges Treiben. Die Onfloor-Schlange bewegt sich zügig voran. Keine Frage: Diese neue Methode, Bankgeschäfte abzuwickeln, wird Schule machen.

CAROLA RÖNNEBURG