Alles Scheiße außer Gott

Neo-Muslima sind vulgär, eloquent und zu krass für ihn: Christian Scholze inszeniert am WLT in Castrop Rauxel messerscharfe „Schwarze Jungfrauen“ von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel

„Liebe und Dschihad da wär‘ ich glücklich, zum ersten Mal in meinem Leben!“

VON ANNE HERRBERG

Mit den „schwarzen Jungfrauen“ ist nicht zu spaßen. „Was schaut ihr mich an? Ihr Tetrapackfresser, Pilzmaden, Pornonutten.“ Diese Muslima haben ihre eigenen Regeln, scheißen von der ersten Minute an auf Kompromiss, Dialog und auf die „frommen Schwestern“, die ihrer Meinung nach wie schwarz geschminkte Mumien durchs Leben wandeln. Hier ist die „radikale Brut“ des Islam und ihr Schleier ist ein blickdichtes Patchwork aus Sprachfetzen unserer Medienkultur.

Das Stück „Schwarze Jungfrauen“ basiert auf Interviews, die Feridun Zaimoglu zusammen mit Günter Senkel unter Muslima in Deutschland geführt und zu fünf wortgewaltigen Monologen zusammengebastelt hat. Selbstbewusst und wütend geben sie ihre radikalen Positionen kund: über Glauben, ihre Motivation und Sex. Uraufgeführt wurde das Stück im Frühjahr am Hau 3 in Berlin. Christian Scholz konnte es ans Westfälische Landestheater (WLT) in Castrop Rauxel holen. Nach „Almanya“ ist es seine zweite Inszenierung eines Stücks des türkischen Autors Zaimoglu.

Schwarz und jungfräulich ist anfangs nur der Raum. Von Scheinwerferspots auf geometrischen Bahnen und den morbiden Klängen einer „Gloomy Sunday“-Version („Lied der Selbstmörder“) begleitet, betreten die beiden Schauspielerinnen Charis Nass und Günfer Cölgecen die Bühne. Sie tragen weiße Unterkleider, setzten sich abwechseln auf den Holzstuhl in der Mitte. Von dort aus schlüpfen sie in fünf unterschiedliche radikale Rollen: Da ist die Bosnierin mit rosa Kopftuch plus passender Trainingsjacke. Sie sehnt sich zwar nach der großen Liebe, aber nicht nach „Fick und Fick und Fick“. Sie steht auf gar nicht oder ganz. „Liebe und Dschihad da wär‘ ich glücklich, zum ersten Mal in meinem Leben!“, sagt sie.

Mit dem Ficken hat die zweite, eine toughe Partyfrau aus Kreuzberg, kein Problem. Ihrem islamischen Glauben schade das nicht. Statt Kopftuch trägt sie einen breiten Ledergürtel und ein spöttisches Lächeln: „Alles scheiße außer Gott!“. Die Studentin dagegen war in der Koranschule, hält den Blick unter einem grauen Kopftuch gesenkt. Alkohol, Männer und kranke Utopien widern sie an, aber: „Ich bin weder blöd noch passiv - ich nehme nur eine kleine Abkürzung durch den Dschungel, während die anderen mit der Machete draufhauen.“ Dann folgt ein „böser Krüppel“. Eine Muslima vom Hals abwärts gelähmt, schwarz eingemummt. „Mein Kopf, das bin ich und der platzt gleich!“ Ihren Pfleger hasst sie, dass sie ihm trotzdem den Schwanz lutscht, ist ihre Form von Radikalität. Die letzte ist die zum Islam konvertierte Deutsche. Sie will sich ihren „neuen wahren Glauben“ nicht „von den Türken kaputt stinken“ lassen - denn Ausländer kann sie nicht ausstehen.

Fünf Frauen verweigern sich im Stück radikal einer westlichen Kultur, die sie permanent mit (Vor-)Bildern zuballert und in Rollenbilder zwängen will. In der es nur Oberfläche und (männliche) Klischees gibt. Der Islam ist ihre Waffe, die mit Gewalt und Zitaten aufgeladene Sprache ihre Munition. Und sie feuern schneller, als Mann schauen kann. Radikalisierung ist für die „Schwarzen Jungfrauen“ die einzige Möglichkeit, ihre Sehnsüchte auszuleben – nicht passiv zu bleiben, nach weiblicher Selbstbestimmung zu suchen. Respekt für die beiden Schauspielerinnen, etwa farblos blieb nur Charis Nass‘ Interpretation der Bosnierin. Die Figur wurde einfach nicht lebendig.

Ratlosigkeit hinterlässt die Regie von Christian Scholze. Er entschied sich, dem Sprechstück Raum zu lassen. Doch das, was er an spärlicher Inszenierung anbot, grenzte den Text eher ein, als ihn zu öffnen. Ein grünes Nadelbäumchen im Hintergrund, ein weißes Tuch, an dem die Schauspielerinnen zwischen ihren Auftritten herumnähen und eine halbherzige Soundcollage aus Bush-Sprüchen und Terrornachrichten. Dazwischen noch Gedichtzeilen von Rainer Maria Rilke, Elke Lasker-Schüler und Joachim Ringelnatz: Zwei Ameisen reisen nach Amerika. Soso.

Die Diskussion im Anschluss an die Vorstellung, zu der gut die Hälfte der Zuschauer blieb, verfing sich bald in den üblichen Phrasen zum Kampf der Kulturen und darum, wie wichtig es sei, ins Gespräch zu kommen. Vielleicht sollte man aber auch einfach mal gar nichts sagen und richtig zuhören. Denn diese Frauen wollen für nichts stehen, nichts repräsentieren, sie wollen in erster Linie irritieren – das ist ihre Form der Kommunikation.

WLT, Castrop RauxelInfos: 02305-978020