Auszeit für Papa

KUR I Jedes Jahr fahren Tausende Mütter mit ihren Kindern zur Kur. Seit 2002 dürfen das auch Väter, doch nur die wenigsten machen von ihrem Recht gebrauch

VON KATHARINA GIPP

Wie sagt man seinem dreijährigen Sohn, dass seine Mutter gestorben ist? Dieser Frage musste sich Wolfgang Jacobs vor fünf Jahren stellen. Seine Ex-Freundin starb an einem Schlaganfall und er wurde über Nacht alleinerziehender Vater. „Ich hatte plötzlich einen kleinen Mitbewohner in meinem Ein-Zimmer-Appartement“, sagt er. „Es gab keinen Raum mehr für mich, ich hatte keine Zeit, die Erlebnisse zu verarbeiten.“

Jacobs suchte sich Rat bei der Familienhilfe und fuhr drei Monate später mit seinem Sohn zur Vater-Kind-Kur – drei Wochen nach Carolinensiel an die Nordsee. Während sein Sohn mit anderen Kindern spielte, saß er mit Vätern in Gesprächsrunden, machte Yoga und Sport, wurde physiotherapeutisch behandelt. „Mir hat die Kur sehr gut getan“, sagt der heute 41-Jährige. Es fühlte sich gut an, zu wissen, dass andere Väter ähnliche Probleme haben wie er.

Seit 2002 gibt es in Deutschland als Gegenstück zur Mutter-Kind-Kur auch Kurangebote für Väter mit ihren Kindern. Die Thomas Morus Fachklinik auf Norderney etwa bietet seit elf Jahren regelmäßig Maßnahmen an, die sich nur an Väter richten. „In anderen Häusern finden sich Väter oft als Exoten zwischen Müttern mit ihren Kindern wieder. Wir haben homogene Gruppen“, sagt Silvia Selinger-Hugen, die Leiterin der Klinik.

Väter wie Mütter machen Bewegungstherapie, Yoga oder Nordic Walking und Entspannungsübungen, allerdings werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Ein Beratungsangebot für Männer etwa trägt den Titel „MaPaMa – Mama ersetzen, Papa sein, Mann sein“. Hier wird darüber gesprochen, wie es möglich ist, dem Kind ein guter Vater zu sein, ohne die Männerrolle ablegen zu müssen. „Viele Väter genießen es aber vor allem, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen“, sagt Selinger-Hugen.

Viele der teilnehmenden Väter sind alleinerziehend, einige sind Witwer. Ein paar haben eine Partnerin, leisten aber einen großen Teil der Erziehungsarbeit. Fast alle müssen den Spagat zwischen Vollzeitarbeit und Familie schaffen. „Der Erschöpfungszustand ist entsprechend hoch“, sagt die Klinikleiterin.

Und doch werden Väter, die Kuranträge stellen, oft belächelt. Sie wollten doch bloß Urlaub machen, das sei keine richtige Reha. „Dabei ist eine Kur auch eine medizinische Maßnahme, eine Therapie im Sinne der Familie“, sagt Selinger-Hugen. Was für Mutter und Kind selbstverständlich sei, erscheine bei Vätern merkwürdig, passe nicht ins Rollenbild.

Jan Bergner* kennt das. Der Vater von zwei Söhnen arbeitet beim Jugendamt. Nach zwei Inobhutnahmen brauchte er dringend eine Auszeit. „Meine Migräne und meine Rückenschmerzen haben sich deutlich verschlechtert“, sagt der Hamburger. Seine Kolleginnen raten ihm, einen Kurantrag zu stellen, erzählen von ihren eigenen Mutter-Kind-Kuren. Bergner wendet sich mit Bitte um ein Attest an seinen Hausarzt, doch der weist ihn ab. Um eine Reha-Maßnahme bewilligt zu bekommen, müsse er mindestens Krebs haben oder einen Herzinfarkt.

Er wendet sich an das Deutsche Müttergenesungswerk. Die Stiftung unterstützt Eltern etwa bei Kuranträgen. Er hätte stärker betonen müssen, dass er seine drei- und sechsjährigen Kinder mit auf Kur nehmen wolle, rät man ihm. Denn Kurmaßnahmen, die über die Krankenkasse und nicht wie Reha-Maßnahmen über die Rentenkasse abgewickelt werden, seien auch mit weniger drastischen medizinischen Befunden wie Krebs zu beantragen.

Bei seinem nächsten Arztbesuch habe er eigentlich dasselbe erzählt wie bei seinem ersten Termin, sagt Bergner. Nur habe er dieses Mal eben zuerst von seinen Kindern gesprochen. „Und ich habe meine Beschwerden und die meiner Kinder so dramatisch wie möglich geschildert.“ Nach drei Wochen erhält er von der Krankenkasse die Rückmeldung, dass sein Kurantrag bewilligt wurde. „Ich freue mich auf das Gespräch mit anderen Vätern und hoffe, dass ich Entspannungsübungen lerne, die ich auch später im Alltag anwenden kann“, sagt Bergner.

Fehlt noch die passende Klinik. „Wir möchten gerne im norddeutschen Raum bleiben, damit meine Frau uns am Wochenende besuchen kann“, sagt er. Bisher gab es nur in der Nähe von Freiburg freie Plätze. Nicht alle Kurkliniken bieten auch Vater-Kind-Kuren an. Einige bringen Väter in Maßnahmen für Mütter unter. Auch weil bislang die Nachfrage der Väter relativ überschaubar ist – was nicht zuletzt daran liegt, dass immer noch Frauen den Großteil der Erziehungsarbeit leisten. „Etwa 1.000 Väter nehmen im Jahr eine Kurmaßnahme über das Müttergenesungswerk wahr“, sagt Anne Schilling, Geschäftsführerin des Deutschen Müttergenesungswerks (MGW). Dagegen stehen 48.000 Frauen.

Durch die vom MGW kürzlich ins Leben gerufene Zustiftung „Sorgearbeit“ soll die Nachfrage nach Vater-Kind-Kuren weiter gesteigert werden. „Wir können jetzt offiziell Spenden für Vater-Kind-Maßnahmen sammeln und mit unserem Kurangebot an Väter herantreten“, sagt Schilling. Zuvor hat sich ihr Angebot in erster Linie an Mütter gerichtet.

*Name geändert