Weltenbummeln mit rockenden Fischen

Sie las und war begeistert. Sie suchte einen Verlag, übersetzte wie wild und zitterte vor ersten Urteilen: Ein schräges finnisches Buch von Berlin aus nach Deutschland zu holen, ist aufregend und macht süchtig. Eine Übersetzerin erzählt

Ich bin halb Finnin und halb Deutsche. Oft frage ich mich, was in Finnland an „Deutschem“, und vor allem, was in Deutschland an „Finnischem“ fehlt – denn zehn Monate im Jahr lebe ich in Berlin, also ist die Frage so herum dringlicher. Vielleicht wäre das deutsche Leben bunter, wenn auch hier Verrücktheit nicht Ausnahme, sondern Regel wäre. In Finnland ist Seltsamkeit eine Art Grundrecht. Dafür vermisse ich in Helsinki nach einer Weile immer den Spaß am Diskutieren und Analysieren und überlege irgendwann gereizt, wieso die Leute sich eigentlich nie hinterfragen.

Vor vier Jahren bekam ich durch puren Zufall ein Buch in die Hände, das beide Pole zu verbinden schien: den deutschen theoretischen, philosophischen und den finnischen pragmatischen, dinglichen – sehr vereinfacht gesagt. Geschrieben hat das Buch Leena Krohn, es heißt „Stechapfel“ und handelt von einer namen- und alterslosen Journalistin, die sich bei ihrer Arbeit für die Zeitschrift „Der neue Anomalist“ mit den grundlegenden Fragen des Seins befasst. Dabei behandelt sie eigenmächtig ihr Asthma mit Drogen (Stechäpfel!), was ihren Recherchereisen einen zusätzlichen Kick gibt. Sie lässt ihre skurrilen Interviewpartner so nah an sich heran, dass sie nachts vor lauter Gedanken nicht einschlafen kann; der Stechapfel tut sein Übriges.

Ich las und war begeistert. Weil ich gerade angefangen hatte, aus dem Finnischen ins Deutsche zu übersetzen, machte ich mich auf die Suche nach einem Verlag für dieses Buch. Vielleicht hätte auch ich Drogen nehmen sollen, denn der Prozess war zäh: „Fasziniert mich, ist aber zu schräg“, „Finde ich toll, weiß aber nicht, wie ich es in unser Programm einfügen soll“ – so reagierten die Verlage auf meine Übersetzungsprobe. Dabei ist Leena Krohn außerhalb Deutschlands keine Unbekannte: Ihre Bücher sind in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt, für eine finnische Autorin eine Seltenheit. Weil ich als Übersetzerin aus einer sogenannten kleinen Sprache ohnehin oft als Tippgeberin fungiere – welcher Lektor kann schon Finnisch lesen –, verstand ich mich zunehmend als Missionarin in Sachen Krohn, blieb am Ball und versuchte es bei kleineren Verlagen.

Zum Beispiel Blumenbar in München. Die kamen schnell auf den Geschmack, wir machten einen Vertrag. Und so übersetzte ich im vergangenen, kalten Berliner Winter, als draußen der Schneefall gar nicht aufhören wollte, die Odyssee einer neugierigen Frau. Ich wälzte Wörterbücher, stöberte in Bibliotheken und im Internet, konsultierte Psychologen und esoterische Buchläden, lernte Neues über Vampire und erfuhr, was stiller Asphalt ist. Manchmal war ich amüsiert, manchmal hinterließ die Arbeit am Schreibtisch eine melancholische Stimmung, aber nie wurde mir die Hauptfigur lästig.

Ich werde mich stets erinnern, wie ich Heiligabend kurz vor der Bescherung das letzte Kapitel begann und Angst hatte, die Ich-Erzählerin könnte mich mit ihrer wankenden Weltsicht für immer angesteckt haben, und daran, wie ich in der Überarbeitungsphase im Januar einer Freundin in der überheizten Staatsbibliothek das Kapitel „Der rockende Fisch“ vorlas und sehr erleichtert war, als sie schmunzelte. Es wurde Frühling und Sommer, und mittlerweile, nach einem sehr heiteren Lektorat mit Blumenbar, ist die Geschichte der Frau zwischen zwei wunderschön gestalteten Deckeln auf Deutsch zu haben. Inzwischen gibt es auch mehr Rückmeldungen, und natürlich würde von meinen Bekannten niemand direkt sagen, dass er Leena Krohn und meine Übersetzung daneben findet.

Was die Leute an diesem deutschen „Stechapfel“ nun genau mögen, bleibt für mich Mutmaßung. Vielleicht ist es die Synthese aus finnischer Fabulierlust und Absurdität und deutscher Genauigkeit und Klarheit – einer Klarheit, die bis in die Sprache, den Satzbau und die Struktur des Textes hineinreicht. Je intensiver ich über solche Länderkategorien nachdenke, umso mehr geraten die aber auch gleich wieder ins Schwimmen. Das Wichtigste scheint mir zu sein, dass ein Buch eine Welt anbietet, die weder zu fremd noch zu vertraut ist, um sich darin umsehen zu wollen. Die Welt von Leena Krohn schenkt, zumindest meinen deutschen Freunden, wohl genug vertraute Theoriefreude und fremde Verrücktheit.

Seit kurzem ist „Stechapfel“ also hier angekommen; ich selbst bin zu Hause an meinem Schreibtisch bereits mit zwei weiteren Büchern auf Reisen gewesen. Die nächste geht gerade schon wieder los – der Stechapfel hat auch mich süchtig gemacht.ELINA KRITZOKAT

Leena Krohn: „Stechapfel“. Blumenbar, München 2006, 222 Seiten, 18 €