Macht bloß kein Drama draus!
„Oper kann zum Dialog beitragen“

Die Absage einer Mozart-Inszenierung an der Deutschen Oper wegen vermuteter islamistischer Anfeindungen wird auch unter MigrantInnen heftig diskutiert. Die taz fragte sechs Berliner KünstlerInnen, was man aus der Debatte lernen sollte

Farhad Payar (49), Regisseur, Autor und Journalist. In seinem Stück „Jack und Harun“ schlüpfen zwei Geisteskranke in die Rollen von Saddam Hussein und George Bush

„Das Stück abzusetzen ist eine absolute Fehlentscheidung, die wohl aus Angst vor etwas völlig Unbekanntem getroffen wurde. Wenn sich die Verantwortlichen hingegen mit dem Islam beschäftigt hätten, wären sie auf das schiitische Tazieh-Theater gestoßen, das im Iran regelmäßig zum Aschura-Feiertag aufgeführt wird. Der Höhepunkt dieser religiösen Aufführung ist, wenn die Mörder mit dem aufgespießten Kopf von Hussein, dem Enkel des Propheten Mohammed, durch die Straßen reiten. Die Darstellung des geköpften Märtyrers ist dort nichts Außergewöhnliches.

Ich unterstütze es nicht, wenn im Namen der freien Kunst gezielt religiöse Gruppen diffamiert werden, aber diese Oper könnte zum Dialog beitragen. Wenn wegen einzelner Anrufe Stücke abgesetzt werden, kann man gleich den halben Theaterbetrieb lahmlegen. Sinnvoller wäre es, falls wirklich eine Bedrohung besteht, die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Ich würde das Stück gerne sehen.“

„Mir kommt das inszeniert vor“

Mürtüz Yolcu (45), Schauspieler, Regisseur und künstlerischer Leiter des jährlich im Herbst stattfindenden Diyalog-Theaterfestes

„Ich finde es völlig übertrieben, dass die Oper abgesetzt wurde. Es gibt ja immer wieder bei Kulturveranstaltungen irgendwelche Anrufe, dass eine Gefahr bestünde. Aber das ist kein Grund, eine Veranstaltung abzusagen. Außerdem sind die Radikalen nicht so intelligent, dass sie Operngeschichten auf ihre Islamfeindlichkeit überprüfen. Mir kommt das inszeniert vor: Ob da überhaupt irgendeine Bedrohung von religiösen Radikalen vorliegt, ist ja völlig unklar. Soll man nun vor lauter Angst keine Kunst mehr machen? Deswegen fände ich es richtig, das Stück wieder zu spielen. Künstler sollten sich nicht einschüchtern lassen, sondern machen, was sie machen wollen. Religion ist eine private Geschichte und sollte nicht politisiert werden. Darauf achte ich auch dann, wenn ich Stücke für das Theaterfest auswähle.“

„Ein offener Diskurs ist nötig“

Idil Üner (35) ist Schauspielerin und übersetzt gerade ein türkisches Theaterstück ins Deutsche

„Es ist nicht richtig, dass das Stück abgesetzt wurde. Ich kann verstehen, dass eine Intendantin ihre Künstler schützen will. Aber dafür gibt es andere Möglichkeiten, als das Stück aus dem Programm zu nehmen. Es scheint ja nicht mal eine direkte Bedrohung gegeben zu haben. Extremismus gibt es von verschiedenen Seiten, und es ist falsch, Feindbilder nach dem Schema ‚Hier kämpft eine Ideologie gegen eine andere‘ aufzubauen. Ich finde, wenn eine Auseinandersetzung nicht offen geführt wird, werden die Positionen extremer. Und wenn ein offener Diskurs zu bestimmten Themen in der Kunst nicht mehr möglich ist, sind wir alle gleichgeschaltet. Eigentlich bin ich kein Operntyp, aber die Debatte hat mich neugierig auf das Stück gemacht.“

„Kleine Sache aufgeblasen“

Halime Karademirli (53), Geschäftsführerin des Berliner Konservatoriums für türkische Musik

„Wir bilden an unserer Schule Künstler aus, künstlerisch und nicht politisch oder religiös. Man darf die Kunst nicht mit religiösen oder politischen Interessen vermischen. Das ist in letzter Zeit jedoch häufiger passiert. Wenn man das tut, passiert genau das, was in der Auseinandersetzung um die Papstrede passiert ist. Eine kleine Angelegenheit wird durch die Medien ganz groß aufgeblasen. Es ärgert mich, wenn sich in die Diskussion dann Leute einmischen, die von der eigentlichen Sache nur durch andere gehört haben. Durch solche Diskussionen wird Angst und Streit geschürt. Um sich eine Meinung über das Stück bilden zu können, muss man es auch ganz sehen können.“

„Nicht vor allem Angst haben“

Hussi Kutlucan (44), Schauspieler und Regisseur („Ich Chef, Du Turnschuh“, Grimme-Preis 2000)

„Die Intendantin sollte nicht so ängstlich sein. Man sollte überhaupt nicht immer vor allem Angst haben. Es geht schließlich um Kunst, und da muss man frei denken können. Natürlich hat diese Freiheit auch Grenzen, aber wo sind die? Über die Äußerungen des Papstes habe ich mich geärgert, aber das hat mit seiner Position zu tun. Die Oper würde ich gerne mal sehen. Aber eigentlich gehe ich eher selten ins Theater. Das ist mir oft zu überkünstelt.“

„Al-Qaida kennt die Oper nicht“

Yüksel Yolcu (40), Regisseur am Hans-Otto-Theater Potsdam, wo er demnächst Feridun Zaimoglus Roman „Leyla“ inszenieren wird

„Ich habe eine ähnliche Situation erlebt: Mein Intendant hatte mir angeboten, die ‚Satanischen Verse‘ von Salman Rushdie zu inszenieren. Ich war erst begeistert. Dann haben mir Freunde gesagt: ‚Wenn du sterben willst, dann mach das.‘ Also habe ich es nicht gemacht. Man fühlt sich selbst in Deutschland als Künstler nicht sicher genug, um das zu inszenieren. Andererseits: Man muss doch eine Inszenierung machen können, wo man die Propheten auch mal in Frage stellt! Man darf das Medium Theater aber nicht dazu benutzen, andere Gruppen schlechtzumachen. Kunst ist dazu da, den Menschen eine andere Realität nahezubringen. Natürlich muss die Oper wieder in den Spielplan aufgenommen werden. Das ist doch genial, wenn man damit solche Diskussionen auslösen kann! Ich glaube nicht, dass radikal religiös gesinnte Leute in die Oper gehen. Al-Qaida kennt die Oper nicht.“ Protokolle:
Kerstin Speckner, Alke Wierth