Staatsfeind „Kommunist“

DIKTATUR Brasiliens Militärherrschaft gilt als Wegbereiter für autoritäre Regime in Südamerika

Im Rahmen der „Operation Condor“ wurde auch grenzübergreifend Jagd auf Regimekritiker gemacht

RIO DE JANEIRO taz | Der Militärputsch und die Diktatur in Brasilien (1964–1985) waren Vorbild für die autoritären Regime, die in der Zeit des Kalten Krieges viele Länder Südamerikas regierten. Obwohl die Verfolgung Oppositioneller im Vergleich zu der in Chile (1973–1990) oder Argentinien (1976–1983) weniger Todesopfer forderte, gelten die brasilianischen Militärs als Wegbereiter eines professionellen Repressionsapparats. Sie entwickelten Foltermethoden und die Geheimdienststruktur SNI (Serviço Nacional de Informações), mit der innere Gegner, umgangssprachlich „Kommunisten“, eliminiert wurden. Ideologische Grundlage des Regimes war die Doktrin der Nationalen Sicherheit, die in der Kriegsschule ESG für die gesamte Region – in Anlehnung an die Vorgaben aus den USA – verfeinert wurde.

Anlass der Militärrevolte im März 1964 war die Politik des Präsidenten João Goulart, der angesichts der sozialen Missstände für eine Agrarreform und die Verstaatlichung von großen Unternehmen plädierte. Trotz großer Beliebtheit des Präsidenten gelang es rechten Kreisen in der Mittel- und Oberschicht, mit aktiver Unterstützung von Unternehmern, Großgrundbesitzern und Medienbaronen das Schreckgespenst der Kubanisierung Brasiliens an die Wand zu malen. Die Gouverneure der wichtigsten Bundesstaaten São Paulo, Rio de Janeiro und Minas Gerais unterstützen die bewaffnete Erhebung. Goulart floh am 1. April nach Uruguay, ohne dass es zu Kämpfen kam. Washington, das schon die Opposition gegen Goulart unterstützt hatte, leistete den Militärs aktiven Beistand und schickte im Rahmen der „Operation Brother Sam“ sogar Kriegsschiffe vor die brasilianische Küste.

Nach Recherchen von Angehörigengruppen töteten die Sicherheitskräfte über 450 Oppositionelle, darunter auch Abgeordnete und Journalisten. Viele verschwanden spurlos. Die Zahl der politisch Verfolgten und Inhaftierten wird auf 24.000 geschätzt. Mehrere Generäle regierten nacheinander das Land mit harter Hand 21 Jahre lang; vor allem die Jahre nach 1968 gelten als bleierne Zeit. Die Verfolgung von Regimekritikern setzte sich auch im Ausland fort, da im Rahmen der geheimen „Operation Condor“ auch grenzübergreifend Jagd auf politische Gegner gemacht wurde.

Die Bürgerrechte wurden per Gesetz eingeschränkt, eine neue Verfassung etablierte den Ausnahmezustand. Der Kongress wurde zeitweise aufgelöst, viele politische Parteien wurden verboten. Der Alltag war von Unsicherheit und Bevormundung geprägt. Konservative Werte wie Familie, Vaterlandsliebe und zünftige Kleidung wurden gepflegt, ganz im Sinne der katholische Kirche, die bis auf einige Ausnahmen das Regime stützte.

Trotz der Repression gab es vor allem in den ersten Jahren viel Widerstand. Einige Parteien und Gewerkschaften versuchten es mit legaler Opposition, auf den Straßen der Städte kam es immer wieder zu Demonstrationen, manchmal mit Zehntausenden Teilnehmern. Als die staatliche Repression zunahm, gingen immer mehr Menschen in den Untergrund und bildeten Guerillagruppen.

Wirtschaftlich setzte das Regime auf große Bauprojekte und Wachstum um jeden Preis. Die restriktive Lohnpolitik wurde von den Industriestaaten aktiv unterstützt, insbesondere auch von deutschen Unternehmen und Politikern. Nach einigen Boomjahren stiegen Verschuldung und Inflation, womit auch die Unzufriedenheit mit dem Regime überhandnahm. Mobilisierungen unter dem Motto „Diretas Já“, aus denen die heute regierende Arbeiterpartei PT hervorging, zwangen die Militärs, 1984 erstmals wieder direkte Präsidentschaftswahlen auszurufen.

Infolge eines Amnestiegesetzes und mangels politischen Willens hat außer der Entschädigung von Opfern und Angehörigen keine breite Auseinandersetzung mit der Diktaturzeit stattgefunden. Erst seit 2012 versuchen eine Nationale Wahrheitskommission und ihre lokalen Ableger in mehreren Bundesstaaten, etwas Licht in das dunkelste Kapitel der brasilianischen Geschichte zu bringen. Ende 2014 wird sie ihren Bericht vorlegen. Schon jetzt hat sie Tausende Zeugenaussagen zusammengetragen: Beschreibungen von grauenhaften Exzessen bei der Misshandlung von Opfern, oft vor den Augen ihrer Kinder, die bis heute mit diesen Erinnerungen leben müssen. Andererseits emotionslose Geständnisse der Peiniger, die von Foltermethoden und der Beseitigung von Leichen berichten und zugleich beteuern, sie würden dies „zur Verteidigung der Ordnung“ selbstverständlich wieder tun.