Himmel und Hölle

KUNST Afrikanische Gegenwartskunst im Frankfurter Museum für Moderne Kunst mit Bezug auf Dantes „Göttliche Komödie“

Was ist afrikanische Kunst, was ein afrikanischer Künstler, was eine afrikanische Ausstellung?

VON CARMELA THIELE

Clean und cool kommt diese Ausstellung daher, dabei sind die absoluten Extreme Thema: Paradies, Hölle und Fegefeuer. Die Emotionen sind gebändigt, der Ton ist leise, die Bilder sind technisch perfekt – mal rätselhaft, mal ironisch. Was die fünfzig afrikanischen Gegenwartskünstler im Museum für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt zeigen, will die Afrika-Klischees unterlaufen, die in Europa oftmals vorherrschen.

Was aber nicht heißt, dass die beteiligten Künstler ihre Herkunft verleugnen würden, auch wenn sie in New York oder Stockholm leben. Die Positionen sind durchaus heterogen, und doch gibt es Gemeinsamkeiten.

Verführung des Fleisches

Als Brücke zwischen den Kontinenten fungiert ein Meisterwerk der europäischen Literatur, die „Göttliche Komödie“ des Italieners Dante Alighieri, die der Ausstellung auch ihren Namen gibt. Sein Buch aus dem 14. Jahrhundert steht nicht nur für den Beginn der Literatur in italienischer Sprache, es ist eine Abrechnung mit den Schwächen der Menschheit, der Bosheit politischer Gegner und den Verführungen des Fleisches. Der verbannte Ich-Erzähler, Dante, durchschreitet – geführt von dem antiken Philosophen Vergil – das christliche Jenseits, Hölle und Fegefeuer, wo die Verdammten ihre Qualen erleiden, und gelangt am Ende ins Reich der Erlösung, in das Paradies.

„Die Mehrzahl der Künstler hat sich für die Hölle interessiert“, sagt der in Paris lebende Kurator der Frankfurter Schau, Simon Njami, „was auch immer das heißt.“ Auch wenn keiner einen Höllenschlund nachgebaut hat. Einige der Werke attackieren den Betrachter ganz unmittelbar. Etwa das Boot „Convoi royale“, eine mit achtzig, aus gebranntem Pappelholz geschnitzten Köpfen gefüllte Holzwanne, die der von der Elfenbeinküste stammende Jems Robert Koko Bi in den Raum gestellt hat. Er studierte in Abidjan und Düsseldorf, sein Thema sind existenzielle Notlagen. Die Überfahrt nach Europa als Hölle; vielleicht muss das hier so auf den Punkt gebracht werden. Doch gibt es auch weniger offensichtliche Arbeiten. Frances Goodman aus Südafrika hat Frauen nach deren Vorstellung von Fegefeuer und Hölle befragt. In ihrer Soundcollage „The Dream“ kristallisiert sich Illusion und Wirklichkeit der Ehe als zentrale Frage heraus.

Wer allerdings in Frankfurt eine Fortsetzung „Afrika Remix“ erwartet, die Njami 2004 kuratiert hat, wird enttäuscht sein. Damals stellte der Mitbegründer der sich für afrikanische Kunst engagierenden Zeitschrift Revue Noire (1991–2001) achtzig Künstler aus dreißig Ländern vor. Ziel war es, geografisch wie inhaltlich zeitgenössische Kunst von Ägypten bis Südafrika abzubilden. Der Katalog zu der in Düsseldorf, London, Paris und Tokio gezeigten Ausstellung gilt heute als Standardwerk. Doch „dann kam der Moment, da hatte ich die postkoloniale Debatte satt“, sagt Njami im Gespräch. Und so sei ihm als Paradox die „Göttliche Komödie“ eingefallen. Die hat der 1962 in Lausanne geborene Sohn Kameruner Eltern in seiner Jugend gelesen. Bei der erneuten Lektüre sei ihm die universale Bedeutung des Werks bewusst geworden, die auch als Modell für eine Ausstellung taugen könnte.

Der Besucher in Frankfurt bewegt sich nun in einem fein abgestimmten intertextuellen Labyrinth von Anspielungen und Referenzen zwischen Dante und dem heutigen Afrika im Gewand künstlerischer Transformation.

Ein Schwerpunkt der Schau liegt im Bereich der Fotografie. Dies erscheint zunächst ein verlässlicher Begleiter auf der Suche nach dem Geist des Projekts. Andrew Tshabangu hielt Szenen traditioneller, ritueller Reinigung fest, Guy Tillim bedient und entwirft zugleich mit seinen perfekten Aufnahmen das Klischee paradiesischer Landschaften. Sami Baloji lässt die an einer steilen Felswand liegenden Eingänge zu einem Bergwerk im Kongo zum Höllentrichter werden. Viele Künstler schufen nicht nur einfach thematische Werke für den verwinkelten Hollein-Bau in Frankfurt, sondern ließen sich auch vom Dialog mit dem Kurator inspirieren.

Ständig im Wandel

Allerdings stellt sich die Frage, ob nicht jede gute künstlerische Arbeit aus schmerzhaften wie erhebenden Elementen besteht, aus Spuren eines schwierigen Prozesses – von manchen auch Fegefeuer genannt? So gehören die besten Werke der Ausstellung keiner der vorgeschlagenen Jenseits-Welten an – sind weder paradiesisch noch ein Abbild der Hölle. Sie deuten auf vielseitige Aspekte des Lebens, wie etwa die Video-Installation der in Schweden lebenden Loulou Cherinet. Ihre gebeamten Videos zeigen Straßenbilder von Addis Abeba. Wir sehen moderne Straßenzüge, halb fertiggebaute Neubauviertel und Hüttenvorstädte, einen Löwen apathisch hinter rostigem Stahlgitter lümmeln und Affen, die in der äthiopischen Hauptstadt für die Zoobesucher genauso eine Attraktion darstellen wie in Europa. „Big Data“ besteht aus dokumentarischem Material, das die Künstlerin seit 1994 sammelt, ergänzt durch Sequenzen, die sie mit Schauspielern inszeniert. Über einen YouTube-Kanal werden der Video-Installation permanent neue Bilder zugeführt. Alles ist ständig im Wandel, die Welt wie wir selbst.

Kurator Njami sieht sich eigentlich zuvörderst als Dichter und Essayist. „Ich bin ein Schriftsteller, der kuratiert“, stellt er fest. „Für mich ist eine Ausstellung nichts anderes als eine Geschichte, die körperlich wahrnehmbar wird.“ Er vergleicht die künstlerisch-metaphorische Reise mit der Aufführung einer sinfonischen Komposition, in der jeder Part eine besondere Rolle innerhalb des Ganzen innehabe. Wie die Musik, so werde auch eine Ausstellung erst real, wenn sie von einem Publikum erlebt und rezipiert werde.

Njami würde seinem Ruf als Querdenker nicht gerecht, wenn er solche geistigen Höhenflüge nicht ironisch brechen würde.

So integrierte er auch Positionen wie die des Londoner Künstlers Yinka Shonibare in seine Schau, der mit der Skulptur „How to Blow Two Heads at Once“ eine Duell-Situation aus dem europäischen 18. Jahrhundert parodiert. Der in Niger aufgewachsene Brite kleidet seine Figuren im Stil jener Zeit, jedoch in afrikanischen Stoffen – glaubt man jedenfalls. Tatsächlich stammen die Muster aus Indonesien, produziert wurden sie seit dem 19. Jahrhundert in Dänemark, auf den Markt kamen sie aber vor allem in Afrika.

Was ist afrikanische Kunst, was ein afrikanischer Künstler, was eine afrikanische Ausstellung? Njami inszeniert sich hinter seiner schwarzen Sonnenbrille als zeitgenössischer Vergil, der mit aufmunternden Worten an der Höllenpforte wartet. „Gott hatte keinen Sinn für Humor, ich bringe etwas Humor in sein Leben“, sagt er in der Pressekonferenz. Den dicken Katalog, „mein Buch“, sieht er als wichtigen Bestandteil der Schau.

Darin kommen neben Wissenschaftlern auch die Künstler selbst zu Wort. Unter einem Stichwort haben sie ihre Assoziationen zur „Göttlichen Komödie“ niedergelegt; alphabetisch geordnet ergeben die Beiträge eine kleine Enzyklopädie ihres künstlerischen Denkens.

Ohne Zweifel ist der rote Faden dieser Ausstellung also das Wort. Manche Werke sprechen dennoch für sich selbst. Etwa die getrockneten Kuhhäute von Nandipha Mntambo aus Swasiland. Sie wirken wie vom Wind gefältelte, fliegende Teppiche und scheinen beseelt, obwohl der Körper der Tiere aufgehört hat zu existieren.

■ „Die Göttliche Komödie. Himmel, Hölle, Fegefeuer aus Sicht afrikanischer Gegenwartskünstler“. Museum Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Bis 27. Juli. Katalog (Kerber) 48 bzw. 65 Euro