Juristen streiten ums Patientenwohl

HAUSÄRZTE Das Sozialgericht Bremen hat den Hausarzt-Vertrag gestoppt, dessen Ziel die billigere und bessere Patientenversorgung sein soll. So geht ein jahrelanger Streit zwischen Kassen und Ärzten in eine neue Runde

Es geht um die Stärkung der Allgemeinmediziner zu Ungunsten der Fachärzte – also um die Vormacht im Gesundheitswesen

VON JAN ZIER

Es ist eine bundesweit beachtete Entscheidung, die das Sozialgericht Bremen da soeben gefällt hat. Geht es doch um eines der zentralen gesundheitspolitischen Reformvorhaben der schwarz-gelben Bundesregierung. Entsprechend groß ist der jahrelange politische Streit im Hintergrund, entsprechend komplex ist die Materie. In dem Konflikt geht es grundsätzlich um die Stärkung der AllgemeinmedizinerInnen – zu Ungunsten der FachärztInnen. Um die Ausgaben im Gesundheitswesen – für Arzneimittel ebenso wie für Honorare. Nicht zuletzt aber auch um die Vormacht im Gesundheitswesen.

Konkreter Streitgegenstand ist der sogenannte „Hausarzt-Vertrag“, mit dem sich Versicherte ein Jahr lang an ihren Allgemeinarzt oder Hausarzt-Internisten binden können. Er sieht vor, dass ein Versicherter erst zum Hausarzt geht, ehe er einen Facharzt aufsucht. Die Teilnahme ist für PatientInnen und Ärzte freiwillig. Das Konzept soll die Versorgung billiger und besser machen, Ärzte-Hopping und unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden. Die HausärztInnen sollen alle Arzt-Patienten-Kontakte koordinieren – mit dem Ziel sie einzudämmen. Denn sie sind in Deutschland besonders zahlreich: Im Schnitt gehen die Leute 18 Mal im Jahr zum Arzt. „Das ist irrsinnig viel“, findet der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske.

Doch den bremischen Hausarzt-Vertrag – geschlossen zwischen Hausärzteverband und der AOK im Lande – hat das Sozialgericht nun gestoppt. Er entstammte einem Schiedsspruch von Bremens Ex-Staatsrat Arnold Knigge – und sollte spätestens zum 1. Januar 2011 in Kraft treten. Doch daraus wird wohl nichts. Dabei sind alle Krankenkassen schon seit dem Sommer 2009 gesetzlich verpflichtet, mit den Hausarzt-Verbänden entsprechende Verträge zu schließen.

Das Urteil moniert zunächst, dass datenschutzrechtliche Bestimmungen verletzt würden. Die Daten der PatientInnen bei der mit der Abrechnung betrauten Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft seien nicht sicher. Für die Weitergabe der Daten fehle die vorgeschriebene gesetzliche Regelung. Des weiteren drohten den Versicherten höhere Kosten: Das Gericht sieht den „Grundsatz der Beitragsstabilität“ verletzt. Und so kommt es letztlich zu dem Ergebnis, dass der Vertrag „offensichtlich rechtswidrig“ ist (Aktenzeichen S 1 KA 36/10 ER).

Das ist deshalb von überregionaler Bedeutung, weil sich die entsprechenden Passagen auch in anderen regionalen Hausarztverträgen finden. Bundesweit kursieren dabei vor allem zwei Modelle: Eines aus Bayern, wo die Ärzte deutliche Honorarerhöhungen durchsetzen konnten. Und eines aus Baden-Württemberg, das wie das Bremer auch qualitätsorientierte Anreize enthält. Der Arzt bekommt eine kontaktunabhängige Pauschale – ganz egal, ob der Kunde zum Arzt geht oder nicht.

Hans-Michael Mühlenfeld vom Bremer Hausärzteverband ist „empört und entsetzt“ über das Urteil. Es stütze sich auf „sehr hypothetische“ und interessengeleitete Zahlen der AOK, die „nicht ganz nachvollziehbar“ seien, so Mühlenfeld. Die AOK hatte vorgerechnet, dass die Kosten für die Honorare der Hausärzte dank des Vertrages um ein Drittel steigen würden.

Die AOK wiederum vermeldet zugleich: Der Hausarztvertrag kommt – trotz des Gerichtsurteils. Gemeint ist damit aber ein anderer Vertrag, den AOK gemeinsam mit zwei anderen Krankenkassen jetzt mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geschlossen hat – und zwar ohne Mitwirkung des Hausärzte-Verbandes. Die KV ist die Selbstorganisation der 1.750 VertragsärztInnen und PsychotherapeutInnen in Bremen. 60 Prozent aller HausärztInnen, so die KV, beteiligten sich bereits an ihrem Modell. Sie bekommen dafür pro PatientIn 15 Euro Provision, wenn sie sich noch in diesem Jahr verpflichten.

Allerdings hat dieser Vertrag auch eine Exklusivitätsklausel: Wer sich dem KV-Modell anschließt, für den ist der jetzt vom Sozialgericht monierte Vertrag tabu. Für Mühlenfeld ist das rechtswidrig. Überdies spricht er von einer „üblen Allianz“ eines „Monopolisten“ – also der KV – mit den Krankenkassen. Schließlich war es eine der zentralen Ideen des Reformvorhabens, den Wettbewerb zu stärken. Genau der werde verhindert, so der Hausärzte-Sprecher. Der Streit geht also weiter.