Alles wird durchscheinend

Bei den Prêt-à-Porter-Schauen in Paris orientiert sich John Galliano für Dior an der Verkaufbarkeit der Mode – die übrigen Designer suchen die Zeitgenossenschaft in Sportswear und Space Age

von KATRIN KRUSE

Zur Dior-Schau liegt der Grand Palais in Maiglöckchenduft. Die Tribünen sind mit grauen Filzmatten ausgelegt, und die Modellfolge, eine Art Tracklist des Defilees, liest sich wie eine Übung in Tristesse: gris, gris, gris. Die Frisur des Abends ist auf Schläfenhöhe eingerollt. Zur Tonsur wird Kostüm getragen, eines dieser Art, wie man es lange nicht mehr gesehen hat. Es kommt in Grau, knapp überweite Schultern gehen in unentschlossene Weite über, die den Körper lustlos umhängt und beim Jackett in drei baumwollenen Schößen mündet. Es war einmal die Verschwindensuniform der mittelalten Frau, bis dieser Typus mitsamt seinem Kostüm verschwand. Im nächsten Sommer kommt es zurück, ganz danach sah es im Grand Palais aus.

Es wird dem Dior-Chefdesigner John Galliano weniger um den Typus gegangen sein, eher wohl um verkäufliche Mode. Das Fachblatt Women's Wear Daily lobt die Konzentration des eher auf Theatralik abonnierten Chefdesigners auf reale Kleidung für reale Läden – „und zwar nicht nur in den Modemetropolen“. Nur: Wer wird sie anziehen wollen?

Interessant, dass im Prêt-à-Porter dieser Tage Provinztauglichkeit als Qualitätszeichen gilt. Ähnliches ist aus den Modehäusern selbst zu hören. Die Stilbeilage des Time-Magazine wird passgenau zum Dior-Defilee verteilt, hier erläutert der Dior-Präsident Sidney Toledano die „Creativity within the framework“-Strategie des Hauses. Er sagt: „Wo wir mit der Marke hinwollen, ist nicht Johns Entscheidung; das entscheide ich mit den Aktionären und teile es John anschließend mit.“ Und: „Wir definieren die Positionierung der Marke, und John wird in Kenntnis gesetzt, in welche Richtung er gehen soll.“ Optimale Arbeitsbedingungen hören sich anders an, zumal Galliano als ziemlich eitel gilt. Das Zeitalter der Designer als Diva sei vorbei, heißt es. Vielleicht sieht so ein selbst gewählter Abschied aus: Ein Laufsteg der Schrecklichkeiten und anschließend eine Verbeugung in demselben grauen Zweireiher, mit dem er vor zehn Jahren bei Dior antrat.

Noch aber gibt es sie, die Designer. Für das nächste Frühjahr sind sie vor allem eines: unentschlossen. Was ist das, modern? Die einen sagen: Sportswear. Die anderen: Space Age. In der letzten Saison hat man sich, angeführt von Balenciaga, auf die Couture der Sechzigerjahre besonnen. In dieser Saison geht es weiter: hin zu dem, wie man sich früher einmal die Zukunft vorgestellt hat. Retro-Futurismus, das ist eine Melange aus Gold, Silber und Raumschiff Enterprise. Balenciaga ist noch weiter gesprungen, gleich zu den Androiden. Hier definieren breite Metallketten den Ausschnitt, aufgeworfene Schultern fallen über dem Gelenk in eine unvermutete Einbuchtung ab, einem verborgenen Gewinde gleich. An schmalen, goldenen Hosen mimen Scharniere künstliche Körper.

Bei Hussein Chalayan verschwindet die Mode schließlich ganz, mit Hilfe der Technik. Bahnen mit übereinander geschichteten Plättchen öffnen sich ferngesteuert. Ein anderes Kleid geht ganz in die Apparatur ein: Der ohnehin transparente Chiffon wird in den tellerartigen Hut gezogen, bis er verschwunden ist. Chalayan hat einmal die Models im Tschador hinausgeschickt und den immer kürzer werden lassen. Das war 1998.

Am Kopfende des Dries-van-Noten-Laufstegs lehnt ein metallenes Rechteck mit Rosen an der Wand. 13.000 Blumen gegen die Kühle von Ballonseide und Sportswear. Dabei ist der Antwerpener Designer vielleicht der Einzige, dem die Verbindung von Tunnelzug, Parka und romantischer Attitüde gelingt. Jean-Paul Gaultier hingegen bringt Sportswear mit den Achtzigerjahren zusammen: Das violett-seidene Minikleid mit zitronengelbem Elastikbund hat weite Chiffon-Puffärmel in Puderrosa. Vier Streifen zieren Ärmel. Gaultier zitiert Adidas – und feiert auch dreißigjähriges Jubiläum. Verschiedene Looks marschieren auf, unterer anderem die Corsage, die er für Madonna entwarf.

Bei Céline dominiert die Farbe, die ohnehin viel zu sehen ist: Weiß. Ivana Omazic, in Paris die einzige Chefdesignerin eines großen Modehauses, hat ihre Signatur etabliert: auf die Schulterpartie reduzierte Trenchcoats, Kellerfalten, spinnwebartig gehäkelte Mohairkleider. Im nächsten Sommer ist alles der Transparenz gewidmet, durchscheinender Chiffon, der die Konstruktion der Stücke sichtbar macht.

Ebenso bei Akris. Die erste Reihe des St. Galler Modehauses ist dicht mit amerikanischen Einkäufern besetzt. Man erwartet diskrete Eleganz. Überraschend dann der Ausgangspunkt der Kollektion: ein Badeanzug von Rudi Gernreich, dem Modemacher der Sechzigerjahre, der auch den Monokini erfand. Halb frei jedoch ist hier nichts. Es bleibt beim Badeanzug. Er ist jedem der hellen, in klaren Linien konstruierten Entwürfe beigegeben. So lässt sich auch Transparenz tragen.