Die Quote ist nicht alles

PROFIBOXEN Während Jürgen Brähmer seinen Titel verteidigt, überlegt die ARD, aus dem Kampfsport auszusteigen

VON BERTRAM JOB

In der Nacht auf Sonntag kam der frisch bestätigte Weltmeister nicht umhin, sich selbst zu loben. „Ich komm’ immer besser ins Rollen“, stellte Jürgen Brähmer nach seinem 45. Kampf als Berufsboxer fest. Und wer hätte ihm widersprechen wollen, nachdem der 35-jährige Champion im Halbschwergewicht (Version WBA) seinen walisischen Herausforderer Enzo Maccarinelli in sechs Runden mit den besseren Reflexen verschlissen hatte? Ein weiterer Abbruchsieg, ein weiterer Zahltag in Rostock.

In anderen Arenen wird jedoch weiter darüber gestritten, ob so etwas eine Fortsetzung verdient. Wie etwa in den Sendeanstalten und Gremien der ARD, wo zuweilen Papiere, ja Ansichten die Wirkung von Fäusten haben. Dort fliegen die Argumente zur Frage, ob man die Zusammenarbeit mit der Sauerland Event GmbH, Jürgen Brähmers Arbeitgeber, fortsetzen soll, hin und her. Zum Jahresende läuft der aktuelle Vertrag aus, der dem Berliner Boxstall in zwei Jahren netto etwa 20 Millionen Euro und den Öffentlich-Rechtlichen sehr gute Einschaltquoten zum späten Samstagabend beschert hat. Trotzdem ist die Fortsetzung der Partnerschaft keine Selbstverständlichkeit.

Sind die wilden Kerle, die da aufeinander einschlagen, überhaupt ein Vorbild für junge TV-Zuschauer? Und sind ihre Verletzungen und physischen Folgeschäden einfach so hinzunehmen? Diese Zweifel äußert namentlich Ruth Hieronymi, Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats. Die ehemalige Europa- und Landtagsabgeordnete sorgte schon vor Jahren dafür, dass der aktuelle Vertrag der ARD mit Sauerland um etliche Millionen sowie ein Jahr Laufzeit gekappt wurde. Nun sieht sie den Zeitpunkt für einen „Einstieg zum Ausstieg“ gekommen, wie sie in Interviews und eigenen Verlautbarungen häufiger bekräftigt.

Andere wundern sich, dass nach zwölf Jahren „Boxen im Ersten“ plötzlich eine Ethik-Debatte zum Faustkampf losgetreten wird. Über den Zuspruch zum TV-Format gibt es dagegen kaum Diskussionen. Mit über 20 Prozent Marktanteil und Einschaltquoten zwischen 3 und 4,5 Millionen liegt die Nachfrage nach den Ringduellen etwa doppelt so hoch wie bei anderen ARD-Sendungen zur Samstagnacht. „Die Argumente für das Boxen liegen auf der Hand“, sagt Frederick Ness, Geschäftsführer bei Sauerland Event. Außerdem beteilige man sich am Doping-Programm der Nada und zeige soziales Engagement wie beim Projekt „Boxen integriert“ mit der Berliner Lichtburg-Stiftung.

Davon muss Axel Balkausky nicht erst überzeugt werden. Der ARD-Sportkoordinator freut sich über die Quoten und sein ungetrübtes Verhältnis zu den Box-Impresarios: „Wir haben immer sehr gut und fair zusammengearbeitet.“ In solchen Sätzen schwingt auch Verwunderung mit über den hausinternen Streit. Schon hat sich mit Ute Schildt die zweite Vorsitzende eines Rundfunkrats (NDR) zu dem heiklen Thema gemeldet – allerdings aus ganz anderer Richtung. Schild sieht, nach anfänglicher Skepsis, in den Gyms und Boxvereinen „wichtige soziale Netzwerke“, die jugendliche Aggression im Training neutralisieren.

Das ist nicht im Sinne von Hieronymi, die mit dem WDR-Rundfunkrat „einen grundsätzlichen Unterschied in der Vereinbarkeit des Amateurboxens und des Profiboxens mit dem Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ geltend macht, wie sie auf Anfrage betont. Allgemein aber erstaunt, wie dezidiert da aus den allgemeinen Kontrollgremien bei offenen Programmentscheidungen eingeflüstert wird. Gerade nach dem jüngsten Spruch des Bundesverfassungsgerichts zum ZDF, das den gewünschten Einfluss der „politischen Akteure“ auf die Personalentscheidungen und das Programm deutlich begrenzt, wundert sich mancher über so viel Meinung. Nun müssen bald Entscheidungen her – spätestens zum Frühsommer, wenn alle handelnden Akteure Klarheit über ihre Zukunft haben sollen.