ZWISCHEN DEN RILLEN
: Eine zwangsläufig irgendwie ungut spirituelle Grundstimmung

Sisyphus: „Sisyphus“ (Asthmatic Kitty/Cargo)

Sufjan Stevens ist in den letzten Jahren vor allem als begnadeter Singer-Songwriter mit Hang zu Großprojekten aufgefallen. Schließlich plante er 50 Alben zu schreiben, eines für jeden Bundesstaat der Vereinigten Staaten, ließ es aber vorerst bei Michigan und Illinois bewenden.

Schon vor zwei Jahren hatte Stevens mit dem Rapper Serengeti aus Chicago und dem New Yorker HipHop-Produzenten Son Lux unter Verwendung der jeweiligen Initialen das Trio S/S/S gegründet und die EP „Beak and Claw“ veröffentlicht. Da der Projektname laut Stevens aber zu sehr nach „Nazi Schutzstaffel with a lisp“ geklungen habe, wurde für das Debütalbum mit dem beziehungsreichen Sisyphus ein neuer Namen gefunden.

Das gleichnamige Werk will Avantgarde-HipHop mit Popmelodien kombinieren. Einen rappenden Sufjan Stevens oder einen singenden Serengeti darf man allerdings nicht erwarten, die Rollenverteilung beließ jeden musikalischen Schuster bei seinen Leisten. Son Lux, bekannt durch seine orchestralen HipHop-Entwürfe, steuert minimalistische Beats mit den üblichen historischen Spezialgeräuschen bei, darüber legt Serengeti wohl gewollt schwerfällige Raps und Staccato-Reime, während Stevens für ätherische Chorstimmen im Hintergrund sorgt. Dadurch entsteht der altbekannte Himmel-und-Hölle-Gegensatz und zwangsläufig eine irgendwie ungut spirituelle Grundstimmung. Es ist, als hätten die Musiker sich gegenseitig Handschellen angelegt.

Natürlich blitzt ab und zu ein bisschen alter Sufjan Stevens durch, wenn wie bei „Illinois“ grundlos optimistische Kinderchöre aus dem Nichts auftauchen, bei „My oh My“ muntere Holzbläser erscheinen und gefühlvolle Streicher durch die Stücke geistern. Weil Stevens ja schon seit seinem letzten Album „The Age of Adz“ nicht mehr ohne seinen Autotuner leben mag, versteckt er seine Stimme mittels dieses Verfremdungseffekts gekonnt hinter den reizarmen Tracks. So wird das Hören zur mühseligen Aufgabe.

Inhaltlich geht es um bewährte Themen wie Liebe, Sex, Sucht, Kummer und Vorbereitung auf den Tod. Schon der Auftakt „Calm it down“ behandelt mit simplen Beats komplexe Lebensprobleme und gibt den wertvollen Ratschlag, sich zu beruhigen, wenn das Leben aus den Fugen gerät. „We have so little in common but we have deep love for each other and we are pushing that stone together“, verkündete Stevens auf dem Waschzettel zum Album und dazu, man habe die Musik in drei rotweingetränkten Wochen aufgenommen. Dabei hätte man hinter manchen Kalauern und müden Kifferscherzen eine ganz andere Studiodroge vermutet. Der Rotwein könnte freilich die Schwerfälligkeit der Musik erklären.

Immerhin wird so ein albernes Stück wie „Booty Call“ zum Highlight des Albums. Denn hier kann Serengeti endlich mal drauflos rappen und mit einer wunderbar bescheuerten Dirty-Talk-Tirade („Singing opera, candelabra / I’mma get a condom / Put it on my Mazda“) ein bisschen Humor einbringen. Das funkinspirierte „Lion’s Share“ erfreut durch die nette Zeile „Dance, dance / Put the money in your pants.“ Gut möglich, dass der britische Guardian wegen dieser beiden Tracks „Sisyphus“ als „HipHop-Comedy“ besprach.

Der Mythos von Sisyphus als Metapher für sinnlose Arbeit hat sich ja seit der Antike gehalten und so stellt sich auch nach dem Hören der 11 Tracks das Gefühl ein, eine ganz und gar sinnloses Album gehört zu haben. Aber wenn auch durch die Zusammenarbeit der Supergroup nichts Tolles, Genreübergreifendes entstanden ist, lässt sich doch die Kreativität und Lebensfreude der 3 S bewundern. Denn seit Camus ist ja bekannt: Wir müssen uns Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen. CHRISTIANE RÖSINGER