Politiker legen Plan für Nahost vor

135 ehemalige Präsidenten, Regierungschefs und Außenminister starten eine neue regionale Initiative. Der Bericht der „International Crisis Group“ fordert vor dem Hintergrund der Untätigkeit der USA eine stärkere Rolle der UNO und der EU

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Wenn die USA im Nahen Osten nicht die Initiative ergreifen, dann sollen jetzt gefälligst die Europäer und die UNO ran. Die Lage in der Region ist zu brisant, um weiter untätig zuzusehen. Gleichzeitig ist sie seit dem Libanonkrieg so festgefahren, dass alle regionalen Parteien nun nach einem Ausweg suchen. Das sind einige der Schlussfolgerungen von 135 ehemaligen Präsidenten, Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsministern sowie Vorsitzenden internationaler Organisationen, die jetzt in einem Bericht des Politikberatungsinstitutes „International Crisis Group“ (IGC) in Brüssel veröffentlicht wurden.

„Der Libanonkrieg sollte uns als Weckruf dienen. Wenn der arabisch-israelische Konflikt nicht angegangen wird, wird er sich als eine bodenlose Quelle für Repression, Radikalisierung und Blutbäder erweisen, auch jenseits der Region“, heißt es darin warnend. „Es ist Zeit für eine internationale Friedensinitiative“, meinen die Unterzeichner, darunter Jimmy Carter, Michail Gorbatschow, Richard von Weizsäcker, Joschka Fischer, der frühere amerikanische nationale Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski und der südafrikanische Bischof Desmond Tutu.

Den Autoren zufolge stellt sich die Lage in der Region zunächst als Sackgasse dar. „Unter den Palästinensern herrscht Chaos und Auflösung, unter den Israelis Existenzangst nach dem Libanonkrieg. Prowestliche arabische Regimes sind durch jegliches Fehlen einer US-Friedensrolle vollkommen diskreditiert, der militante Islamismus ist auf dem Vormarsch, und der Iran fühlt sich stärker denn je. All das deutet in Richtung eines eskalierenden Konfliktes“, charakterisiert der Bericht die Situation.

Aber die Autoren sehen auch einige positive Signale: Noch besteht die Möglichkeit einer palästinensischen Regierung der nationalen Einheit, mit der die internationale Gemeinschaft wieder einen Verhandlungspartner hätte. Auch Syrien hat Verhandlungsbereitschaft signalisiert. Die arabischen Regimes wollen ihre Beiruter Friedensinitiative von 2002 neu auflegen, in der sie Israel im Gegenzug für einen Rückzug aus den besetzten Gebieten diplomatische Beziehungen anbieten. Und Israel sucht nach einer Alternative für seine Politik der einseitigen Schritte und den gescheiterten Versuch, eine Lösung für die palästinensischen Gebiete ohne Verhandlungen durchzusetzen. „Israel braucht eine neue Tagesordnung, die Palästinenser einen Ausweg, die arabischen Staaten ein Erfolgserlebnis, Syrien eine Wiederaufnahme der Verhandlungen, die EU eine stärkere Rolle und die USA möchten etwas, wenngleich Minimales, erreichen. Es ist nicht der schlechteste Ausgangspunkt“, beschreibt der Report die jetzige Situation.

Aber: „Die amerikanische Zögerlichkeit, gepaart mit der äußerst fragilen Lage in der Region, bedeutet, dass andere, wie die UN, die EU und die arabischen Staaten, jetzt mit frischen Ideen und Initiativen hervortreten müssen, entweder um Washington aus der Reserve zu locken und zum Handeln zu bewegen oder um nicht vollständig zur Geisel der US-Inaktivität zu werden“, fordert der Bericht.

Anders als im Osloer Friedensprozess müsse diesmal der endgültige Status der palästinensischen Gebiete zu Beginn absehbar sein. Das bedeute, so die ICG, „eine Anerkennung Israels in international anerkannten Grenzen, die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates in den Grenzen der 1967 von Israel besetzten Gebiete, mit Ostjerusalem als Hauptstadt, eine gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage, die Rückgabe syrischen Territoriums sowie die Garantie für einen souveränen und sicheren Libanon“.

Die Autoren schlagen konkrete Schritte vor, die jetzige Eskalation zu entschärfen. Zunächst soll mit Hilfe des Nahost-Quartetts (UNO, USA, EU und Russland) auf einen Waffenstillstand und einen Gefangenaustausch hingearbeitet werden. Die von Israel zurückgehaltenen Steuern und Zölle müssten den Palästinensern ausgezahlt werden, der Siedlungsbau soll eingefroren werden und die israelischen Truppen sollten sich zunächst aus den palästinensischen Bevölkerungszentren zurückziehen. Die palästinensische Seite müsse ihren Beitrag leisten, indem sie eine Regierung der nationalen Einheit mit Fatah und Hamas etabliert und die PLO-Führung unter Präsident Mahmud Abbas offiziell mit einem Verhandlungsmandat ausrüstet.

Eine internationale Beobachterpräsenz soll die Fortschritte unabhängig überprüfen. Einige EU-Politiker hätten in Gesprächen bereits Interesse zum Ausdruck gebracht: „Eine erfolgreiche Intervention im Libanon, die die Sicherheitsbedürfnisse Israels und des Libanon zufrieden stellt, könnte als ein Modell für ein zukünftiges Eingreifen im Palästinakonflikt sein“, werden sie im ICG-Bericht zitiert.

Dem Plan zufolge müsste das Quartett dann direkte Gespräche mit der israelischen und der palästinensischen Führung in die Wege leiten, bei denen die Hindernisse für eine endgültige Lösung besprochen werden. Parallel sollten Gespräche angeleiert werden, die Verhandlungen zwischen Israel, Syrien und dem Libanon vorbereiten sollten.

„Jahre sträflicher Vernachlässigung haben die moderaten und pragmatischen Kräfte in der Region verkrüppeln lassen und die Aussichten auf Frieden auf unermessliche Art und Weise schwieriger gemacht“, erklärte IGC-Chef Gareth Evans bei der Vorstellung des Berichtes und fügte hinzu: „Weitere Jahre des Wartens würden es noch aussichtsloser machen.“