Das Scheitern am Leben zur Ode ans Leben umgemünzt

NACHRUF Zum Tode des großen Schweizer Filmemachers Peter Liechti

Die Themen, mit denen sich der Schweizer Filmemacher Peter Liechti befasste, entstammten tief empfundenen Interessen: an der Kunst, an der Musik und an jenem ominösen Bereich, den man gerne das Private nennt. Beim Persönlichen blieb es dann aber nie. In seinem Dokumentarfilm „Vaters Garten“ (2013), für den er dieses Jahr noch den Schweizer Dokumentarfilm-Preis erhalten hat, rückt er den Blick auf die eigenen Eltern und zielt dabei auf Grundsätzliches.

Sein Leben lang, sagt Liechti da beispielsweise, hat er sich aufgelehnt gegen deren kleinbürgerliche Moral und Beharrungsvermögen, das gegen so etwas Profanes wie Glück gerichtet war. Der Film ist der Versuch, die über 80-Jährigen endlich zu verstehen. Und tatsächlich deckt er in dieser dialektischen Begegnung mit den Eltern, in der er diese (auch) durch Hasenhandpuppen sprechen lässt, nicht nur Gräben auf. Er findet Werte und Ideale, die es in diesen unsolidarischen Zeiten zu bewahren gilt.

Peter Liechti, 1951 in St. Gallen geboren, studierte zunächst Medizin, ehe er über das Kunstgeschichtefach zu seiner Berufung fand. Erste experimentelle Filme entstanden noch nebenher zu seiner Lehrertätigkeit. Zum einen waren sie eng mit dem Schweizer Aktions- und Konzeptkünstler Roman Signer verknüpft, für dessen „skulpturelle Kammermusik“, explosive Eingriffe in den öffentlichen Raum, Liechti eine lapidare filmische Form fand, die schließlich in seinem ersten Langfilm, „Signers Koffer – Unterwegs mit Roman Signer“ (1996), kulminierte.

Zum anderen konnte man in kürzeren Essayarbeiten wie „Ausflug ins Gebirg“ (1986) Liechti schon als wortgewandten Anthropologen kennenlernen, der sich bei einem Bergtrip den Auswüchsen des Regionalen stellt. Doch dem Filmemacher ging es stets um mehr als um oberflächliche Heimatkritik: „Hans im Glück“, sein großartiger Wanderfilm von 2003, in dem er sich nach 30 Jahren mit einem Gewaltmarsch das Rauchen abgewöhnen will, ist der Versuch, den durch Schlendrian getrübten, eigenen Blick auf die Welt wieder zu klären. Er ist die Kritik an einer Lebensführung, die keine Fragen mehr aufwirft.

„Un-Ruhe und Un-Sicherheit“, sagte Liechti einmal, „halte ich für einen kreativeren Zustand als professionelle Routine und abgeklärte (Selbst-)Sicherheit.“ Es ist diese Haltung, die Zweifel und Skepsis, ja mögliches Versagen nicht ausschließt, die Liechti beständig nach neuen Formen suchen ließ. In „Das Summen der Insekten“ (2009), mit dem Europäischen Filmpreis prämiert, wird – nach einem Buch von Shimada Masahiko – das Scheitern am Leben zur Ode darauf umgemünzt. Das Tagebuch eines Mannes, der sich zu Tode hungert, macht er als Grenzerfahrung in Naturbildern sichtbar, die voller Schönheit sind.

Noch die eigene Krankheit hat Liechti zuletzt mit dem Projekt „Dedications“ begleitet. Dieser „Film voller Brüche und Sprünge – überraschend und roh wie das Leben selbst“, wie er auf seiner Homepage schreibt, bleibt nun unvollendet. Am Freitag ist Peter Liechti in Zürich nach einem langen Kampf an Krebs gestorben.

DOMINIK KAMALZADEH