Konzentration der Moderne

Städtebaulicher Schatz mit ambivalenter Geschichte: Die Ausstellung „Asmara – Afrikas heimliche Hauptstadt der Moderne“ im Deutschen Architektur Zentrum zeigt perfekt inszenierte Fotografien von Edward Denison. Auch ein Appell an die Unesco

VON FRIEDERIKE MEYER

Gäbe es einen Preis für Entdeckungen auf dem Gebiet der Architektur, in diesem Jahr hätten ihn die Organisatoren der Ausstellung über Asmara verdient. In einer Zeit, in der jeder Quadratkilometer Erdoberfläche durchkämmt scheint, machen sie uns mit dem Schatz einer Stadt bekannt, bei dem selbst Fachleuten der Mund offen bleibt: Asmara, die Hauptstadt des ostafrikanischen Staates Eritrea, ist so etwas wie eine Freiluftausstellung. Hier findet man die wohl höchste Konzentration von Bauten der Moderne weltweit, allenfalls vergleichbar mit der Weißen Stadt in Tel Aviv oder den Art-déco-Vierteln in Miami und dem neuseeländischen Napier. Nirgendwo sonst sind die Bewegungen der Moderne noch heute so kompakt nachvollziehbar.

Das Zentrum Asmaras besteht aus Bauwerken im Stil der Architettura Razionale, der italienischen Moderne der 20er- und 30er-Jahre, gemischt mit Vertretern des Novecento und Futurismo, des Neoklassizismus und Monumentalismus. Der britische Fotograf Edward Denison hat sie alle im Stil der dokumentarischen Architekturfotografie aufgenommen – Wohn- und Verwaltungsbauten, Kinos, Tankstellen, Bars und Fabriken.

In seinem Buch, dessen Bilder die Grundlage der Ausstellung bilden, wirken sie wie Artefakte, perfekt inszeniert und von Kontext und Menschen beräumt – eben so, wie Architektur immer dargestellt wird. Sosehr die Bilder zum sofortigen Aufbruch nach Asmara verführen, so ambivalent sind indes die politischen Hintergründe, die zur Erbauung der Stadt führten. Sie werden im Film „City of Dreams“ von Ruby Ofori und Edward Scott, der auch in der Ausstellung gezeigt wird, eindrucksvoll beleuchtet – und relativieren damit die Faszination der Fotografien.

Die Italiener, die 1889 Eritrea als Kolonie besetzten, bauten die dörfliche Ansammlung um Asmara zwischen 1936 und 1941 zur Hauptstadt aus. Mussolini wollte sie zu einem neuen Rom des „Africa Orientale Italiana“ machen, und so konzipierten die Kolonialherren – entsprechend den Regeln der 1933 verfassten Charta von Athen – eine funktionale Stadt, getrennt nach Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr. Die Eritreer setzten diese Pläne um, waren aber gleichzeitig in die ärmeren Wohngebiete verbannt und hatten keinen Zutritt zur neuen Stadt.

„Erst kamen die Italiener, nach dem Krieg die Engländer, dann gab es eine kurze Phase der Freiheit, bis uns die Äthiopier einverleibten und ein langer Unabhängigkeitskampf folgte.“ So etwa fasst ein eritreischer Architekt, dem als Junge selbst der Zutritt ins Kino verwehrt geblieben war, im Film die vergangenen 70 Jahre zusammen.

Wie durch ein Wunder haben die Bauten die Kriegswirren überstanden. Gleichzeitig hatte das Ringen um die Unabhängigkeit Eritreas jahrzehntelang den Blick auf den kulturellen Schatz verstellt. Und so beginnen die Eritreer erst jetzt, 13 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung, die baukulturellen Qualitäten von Asmara bekannt zu machen. Mit Hilfe aus Deutschland. Denn die Asmara Group, die die Ausstellung organisiert hat, ist eine „Initiative deutscher Staatsbürger“, betonen ihre ex-eritreischen und äthiopischen Mitglieder. Woher sonst als aus Europa würden die Touristen kommen, die sich der jüngste und einer der ärmsten Staaten Afrikas so sehnsüchtig wünscht? Woher die finanzielle Unterstützung für den Erhalt von Asmara?

Dass die 20 Ausstellungstafeln und Modelle einzelner Bauten nun ausgerechnet im Deutschen Architektur Zentrum in Berlin ihre Premiere feiern, hat nicht zuletzt mit dem Engagement deutscher Architekturinstitutionen zu tun. Omar Akbar vom Bauhaus Dessau, einer der Kuratoren, hat darüber hinaus eine weitere Vermutung: „Die Italiener müssten sicherlich erst mal ganz andere Geschichten erzählen.“

Das Zentrum von Asmara steht inzwischen unter Denkmalschutz, doch die Gefahr für die Bauten ist damit nicht gebannt. Weil es in der wachsenden Stadt überall an Wohnraum fehlt, sind viele Gebäude zu Schlafstätten umgenutzt worden. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis die Eigentümer an ihrer Stelle neu und höher bauen wollen. Hinzu kommt eine diktatorische Regierung, die ihre Kritiker verfolgt und die offiziellen Beziehungen zu Europa erschwert.

Deshalb verkündet die Ausstellung in erster Linie eine kulturpolitische Botschaft: Spendet für den Erhalt dieser Stadt und nehmt ihr Zentrum in die Welterbeliste der Unesco auf! Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, der Eritrea zweimal bereiste, war es denn auch, der zur Eröffnung von einem „einzigartigen architektonischen Juwel“ sprach und den deutschen Vertreter bei der Unesco, Hans-Heinrich Wrede, zur Lobbyarbeit aufrief.

Er betonte aber auch, dass die Basis aller Wunscherfüllung der Frieden sei – von dem angesichts anhaltender Grenzstreitigkeiten mit Äthiopien nicht wirklich die Rede sein kann.

DAZ, Köpenicker Straße 48/49, Di.–Fr. 10 bis 18 Uhr, Sa. & So. 14–18 Uhr www.city-of-modernism.de