„Auch hier gibt es Zwangsverheiratungen“

Die Autorin Serap Cileli unterstützt Laschets Initiative, fordert aber auch mehr Aufklärungsarbeit in Familien

taz: Frau Cileli, sollte das Nachzugsalter für Ehefrauen auf 18 angehoben werden?

Serap Cileli: Es sollte sogar auf 21 Jahre angehoben werden. Ich unterstützte da voll den Vorschlag des Innenministers Wolfgang Schäuble. Allerdings reicht das nicht: Es muss mehr Aufklärungsarbeit gemacht werden. In den Schulen und in den Familien muss mehr informiert werden.

Befürchten sie nicht, das Gesetz könnte die Zuwanderung einschränken?

Ich denke nicht. Es werden dadurch vor allem die Rechte der Frauen geschützt. Und das ist auch mit einem solchen Gesetz schwierig genug: In vielen Fällen ist uns das Alter der Frauen nicht bekannt. Ich habe einige zwölf- oder 14-jährige Frauen beraten, die angeblich schon 18 waren. Das gibt es in Ländern wie der Türkei häufiger: Es fehlt die Geburtsurkunde und bei der Heirat in der Türkei wird einfach ein höheres Alter in den Ausweis geschrieben.

Zwangsehen werden auch in Deutschland geschlossen. Wie akut ist das Problem der Zwangsehe hier?

Generell sind die türkischen Mädchen hier viel emanzipierter. Sie wissen, welche Freiheiten und Rechte sie hier haben und sie haben in der Schule auch einen Ausgleich zum Familienleben. Trotzdem gibt es auch hier Zwangsverheiratungen. 30 Prozent der Mädchen, die zu Beratungsstellen für Migrantinnen gehen, sagen, sie seien von Zwangsheirat bedroht. Das sind zwar nur Schätzungen. Aber auf jeden Fall sind es viel mehr, als wir bislang dachten.

Wie können Zwangsheiraten verhindert werden?

Wir brauchen bundesweit Beratungsstellen und Kriseneinrichtungen, an die sich junge Frauen richten können, wenn sie vor ihrer Familie fliehen. Wir brauchen aber auch eine Kriseneinrichtung in der Türkei. Der türkische Staat muss sich um Frauen kümmern, die aufgrund von Zwangsheiraten in die Türkei verschleppt werden. Dann müssen Möglichkeiten geschaffen werden, die Frauen zurückzuholen. Wenn eine junge Frau mehr als sechs Monate im Ausland ist, verwirkt sie ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland.

Wie kann man besser an die Familien herankommen?

Das ist das größte Problem. Man muss versuchen, mit Familienmitgliedern zu reden, wenn die Tochter oder der Sohn zwangsverheiratet wurde. Das wird zum Teil auch schon gemacht. Das Problem beginnt aber schon viel früher. Die Kinder kommen meist nicht in den Kindergarten, dazu muss der Staat die Familien verpflichten. Deutschkurse müssen Pflicht sein, Kindergartenplätze müssen Pflicht sein. Und da muss der Staat natürlich nicht nur fordern, sondern auch fördern und Plätze für alle Kinder zur Verfügung stellen. INTERVIEW: MANFRED GÖTZKE