Zwang zum Gammeln

Das Rheinland bildet aus, Ostwestfalen und das Ruhrgebiet haben ihren Jugendlichen wenig zu bieten: Die Zahl der angebotenen Stellen in NRW ist auf einem historischen Tiefstand angelangt

von ANNIKA JOERES

Die Möglichkeiten für SchulabgängerInnen in NRW sind so schlecht wie seit 30 Jahren nicht mehr: Im Jahr 2005/2006 ging die Zahl der Ausbildungsplätze um vier Prozent zurück und ist damit auf dem niedrigsten Stand seit 1975. Gleichzeitig suchten mit knapp 160.000 Jugendlichen mehr als jemals zuvor eine Stelle. „Nur noch ein Drittel der Betriebe nimmt Azubis auf“, sagte Christiane Schönefeld, Leiterin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf. Mehr als zehntausend Jugendliche blieben dieses Jahr ohne Lehrstelle. „Mittlerweile schieben wir fast einen kompletten Jahrgang in alternativen Bildungsmaßnahmen vor uns her.“

Allerdings ist der Markt für die Jugendlichen je nach Region extrem unterschiedlich: Die rheinischen Industrie- und Handelskammern (IHK) jubelten gestern auf eifrig beworbenen Presseempfängen über steigende Angebote. Die Kammern im Ruhrgebiet und Ostwestfalen hingegen meldeten offiziell – nichts. Denn hier schrumpfte das Angebot im vergangenen Jahr um durchschnittlich3,2 Prozent.

In Bielefeld, Detmold, Bochum gibt es nur für jeden zweiten Bewerber, jede zweite Bewerberin eine Stelle. In Hagen, Gelsenkirchen, Hamm und Herford ist das Verhältnis noch ungünstiger. „Die Schere geht immer weiter auseinander“, sagte Werner Marquis, Sprecher der Regionaldirektion. In der Landeshauptstadt und im Rheinland bilden die boomenden Branchen wie Dienstleistungen, Medien und Werbung vermehrt aus, ein großes Plus gab es bei den Handelsberufen. In Ostwestfalen hingegen leidet das Angebot unter der schlechten Lage in der Holz- und Möbelindustrie. „Wir hatten viele Insolvenzen zu verkraften“, sagte Michael Wennemann von der IHK Detmold.

Für die Gewerkschaften allerdings sind die strukturschwachen Regionen auch Opfer von „abenteuerlichen Versuchen“, so Verdi-Jugendsekretärin Sandra Voigt. So würden in Ostwestfalen Ausbildungsvereine die Azubis engagieren und für wenig Geld an die Betriebe ausleihen. „Das ist keine gute Strategie und offensichtliche erfolglos“, sagte Voigt. Sie fordert, was mittlerweile auch die Grünen in NRW wollen: Eine Umlage für Betriebe, die nicht ausbilden.

In den Regionen seien gezielte regionale Programme nötig, sagt Maria Icking von der landeseigenen „Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung“ in Bottrop. Sie würden bisher nicht ausreichend genutzt. „Grundsätzlich gilt: Die Unterschiede zwischen den Regionen zeigen sich überall, angefangen bei der Azubi-Zahl bis zum Anteil der Frauen an der Erwerbsquote“, sagt Voigt. Allerdings haben es selbst Jugendliche in den boomenden Regionen nicht leicht: Ihre AltersgenossInnen aus den angrenzenden Städten bewerben sich natürlich auch dort. „Der Druck auf die Jugendlichen ist überall gleich groß“, so Sprecher Marquis.

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