Furcht vor Kettenreaktion

Nach dem Atomtest Nordkoreas drohen die Partner der USA in Ostasien mit einem nuklearen Wettrüsten. Nur Washington kann dieser Gefahr Einhalt gebieten

TOKIO taz ■ Nur kurz nach Nordkoreas vermeintlichem Atomwaffentest kündigte Japans Premier Shinzo Abe an, zusammen mit den USA solle das Raketenabwehrsystem vorangetrieben werden. „Die Regierungen in der Region werden ihre Militärbudgets erhöhen“, sagt Peter Beck von der International Crisis Group in Seoul. Joseph Cirinciones vom Center for American Progress in Washington befürchtet eine „asiatische Kettenreaktion“ – ein atomares Wettrüsten, an dem vor allem die Verbündeten der USA, Japan, Südkorea und Taiwan, beteiligt sein würden.

Pjöngjangs Vorgehen liefert Japans Regierungspartei neue Argumente, weshalb die pazifistische Nachkriegsverfassung revidiert gehöre und das Land eine offensive Armee benötige. Schon im September schlug ein von Expremier Yasuhiro Nakasone geleiteter Think Tank vor, Japan solle „die nukleare Option“ erwägen. Japan stehe zur Zeit zwar unter dem atomaren Schutzschild der USA, doch wisse man nie, wie lange noch. Analysten gehen davon aus, dass Japan waffenfähiges Material besitzt, das in zivilen Energie- und Forschungsprogrammen gebraucht wird. Premier Shinzo Abe soll aber am Dienstag vor einem Parlamentsausschuss an der Doktrin festgehalten haben, Atomwaffen weder zu bauen, noch zu besitzen oder deren Stationierung zu erlauben.

In Südkorea verfolgt man die Debatte um eine atomare Aufrüstung in der ehemaligen Besatzungsmacht Japan mit Sorge. Dabei hatte Südkorea selbst schon in den 1970er-Jahren ein eigenes Nuklearprogramm gestartet. Erst auf Druck der USA trat Seoul 1975 dem Atomwaffensperrvertrag bei. 1991 trafen Nord- und Südkorea die Vereinbarung über eine atomwaffenfreie Halbinsel. IAEA-Inspekteure entdeckten vor zwei Jahren, dass Forscher in den 80er-Jahren illegale Versuche mit Uran und Plutonium durchgeführt hatten. Bis heute ist unklar, was die Regierung darüber wusste.

Technisches Know-how und das nötige Material, sich atomar aufzurüsten, dürfte auch Taiwan besitzen. Seit den 1960er-Jahren verfolgte Taipeh ein geheimes Forschungsprogramm. Als ein Wissenschaftler mit Beweismaterial in die USA flüchtete und IAEA-Inspektoren fehlende Brennstäbe reklamierten, musste das Programm 1988 – auf Druck Washingtons hin – aufgegeben werden. Auch zukünftig dürfte der Einfluss der USA auf seine Verbündeten in Ostasien von großer Bedeutung sein, um die neu erweckten Ambitionen, Atombomben zu besitzen, einzudämmen. MARCO KAUFFMANN