Ein sehr dünnes Mäntelchen

Als die Bilder bumsen lernten: Ein neues Buch widmet sich der Schweizer Sexfilmgröße Erwin C. Dietrich und der Geschichte des Pornos im zwanzigsten Jahrhundert

Manche machen Filme, weil ihr bewegtes Innenleben nach künstlerischem Ausdruck verlangt. Andere wiederum widmen sich dem Medium, um reich und berühmt zu werden. So einer war Erwin C. Dietrich. Da der Plan des 1930 geborenen Schweizers in gewisser Weise aufging, und zwar international, gibt er ein vortreffliches Beispiel für die Entwicklung seines Lieblingsgenres ab: des Sexfilms. Und deswegen beschäftigen sich die Autoren Benedikt Eppenberger und Daniel Stapfer in „Mädchen, Machos und Moneten“ mit seiner Werkbiografie. Auf über 160 Seiten rattern die beiden alle Basisdaten zu sämtlichen Dietrich-Filmen von Belang herunter, garniert mit Fotos der jeweiligen Filmplakate. Inhalte, Analysen, Erklärungen und Ähnliches zu den einzelnen Filmen, ihre Einordnung in den jeweiligen Zeitgeist fehlen dabei leider.

Dietrichs Anliegen war es, für ein möglichst breites Publikum zu drehen. Seine eigene Mutter erschien ihm in ihren Vorlieben als eindeutig durchschnittlich. Weil sie Heimatfilme so sehr mochte, drehte Dietrich 1955 sein Debüt „Das Mädchen vom Pfarrhof“. Als in den Sechzigern düstere Krimis mit monströsen Erscheinungen nach dem Edgar-Wallace-Schema en vogue waren, schloss sich der Schweizer 1966 dem Trend an, womit er allerdings die ersehnten Moneten nicht ergattern konnte. Dies gelang ihm im selben Jahr, als er auf die glorreiche Idee verfiel, dem Thema Crime einen Partner an die Seite zu stellen: Sex. Die beiden bildeten seit „Schwarzer Markt der Liebe“ ein einträgliches Paar. Ob das Mutter Dietrich wohl auch noch gefiel? Wie in vielen folgenden Filmen rankte sich die Handlung um dubiose Mädchenhändlerringe. Einfach nur Pornos konnte man in den prüden Sechzigern nicht machen, vermuten Eppenberger und Stapfer, weswegen aufreizendes Fleisch in Kriminalstorys verpackt werden musste. Ein noch dünneres und nebenbei auch billigeres Deckmäntelchen für seine erotischen Szenen fand Erwin C. Dietrich 1967 mit „Seitenstraßen der Prostitution“. Dies war der Auftakt zu diversen „Aufklärungsfilmen“, in denen die Bevölkerung über Geschlechtskrankheiten und Eltern über die Gelüste pubertierender Töchter informiert wurden. Der ultrabillige Film wurde ein Erfolg, und Dietrich blieb dabei, in kleinen Teams mit wenig Geld in kurzer Zeit Sexfilmchen zu produzieren.

Was zu zeigen möglich war und was wann in Europa auf Interesse stieß, lässt sich aus seiner Filmografie trefflich ablesen: Die Mädchenhändler-Geschichten scheinen ein Dauerbrenner gewesen zu sein. 1971 begann Dietrich die Gier nach Frischfleisch mit der dreiteiligen Serie „Blutjunge Verführerinnen“ zu bedienen. Dafür handelte er sich Ärger mit der FSK ein, die ihn darüber belehrte, dass es nur Verführer, nicht aber Verführerinnen gäbe. Überhaupt war die schweizerische Bundesanwaltschaft Anfang der Siebziger abgestoßen von Dietrichs Produktionen, die „sich in aufreizenden und Widerwillen erregenden Darstellungen erschöpfen, die den Menschen ausschließlich als begehrliches, völlig von seinem Geschlechtstrieb beherrschtes Wesen erscheinen lassen“.

Dabei war man damals vom heutigen Hardcore-Porno noch weit entfernt. Anrüchiger als die Filme selbst waren oft die Werbeplakate, auf denen beispielsweise über nackten Bikerinnen Slogans zu lesen waren wie: „Mit einer Vierteltonne heißem Stahl zwischen den Beinen jagen sie nach Beute“.

Trotzdem verlangte die fehlende Direktheit in der sexuellen Darstellung Mitte der Siebziger zusehends nach Kompensation durch zunehmende Brutalität. Das „Women in Prison“-Genre mitsamt grausamen Wärterinnen – ob im Harem oder im Knast – erlebte seine Hochphase. Als in den Achtzigern auch das nicht mehr genügte und wirkliche Hardcore-Pornos verlangt wurden, zog sich Dietrich ins Actionfilmgenre zurück, denn der nackte Porno war dem stets um Anerkennung durch den Mainstream bemühten Produzenten dann doch suspekt.

Eppenbergers und Stapfers Bericht über den Sexfilmproduzenten ist leider etwas trocken ausgefallen, auch, weil Inhaltsangaben oder Analysen der Streifen fast völlig fehlen. Warum beispielsweise Sex offensichtlich so hartnäckig mit Gewalt und Gefangenschaft einerseits und dem Aufklären und der Pädagogik andererseits verknüpft zu sein scheint, wird nicht erläutert. Genauso wenig erfährt der Leser, wie Frauen, Männer, Junge, Alte, Künstler, Intellektuelle, Hausfrauen zu Dietrichs Filmen standen. Dafür aber ist der Text gespickt mit zahlreichen herrlichen Plakatfotografien, die, mal verspielt-kokett, mal mit drastischer Deutlichkeit, Sehnsucht nach dem erotischen Knistern längst vergangener Jahrzehnte wecken. Die Bilder beginnen weit weg, bei den Dirndln der frühen Fünfzigerjahre, und kommen dem Betrachter stetig näher bis hin zu den toupierten Haaren der Achtziger. CORNELIA GELLRICH

Bernd Eppenberger, Daniel Stapfer: „Mädchen, Machos und Moneten. Die unglaubliche Geschichte des Schweizer Kinounternehmers Erwin C. Dietrich“. Verlag Scharfe Stiefel, 176 Seiten, 150 Abbildungen, 35 Euro