Höhere Hürden für freie Schulen im Osten

BILDUNG Sachsen und Thüringen bremsen den anhaltenden Gründungsboom von Privatschulen

Freie Schulen boten Fluchtmöglichkeiten vor früher Auslese nach Klasse vier und Schulschließungen

DRESDEN taz | Lehrer, Schüler, Eltern und Kirchenvertreter haben in den vergangenen Wochen die Straßen der sächsischen Landeshauptstadt bevölkert. Doch ihre Proteste konnten die schwarz-gelbe Landesregierung nicht umstimmen: Die Neugründung von freien Schulen wird in Sachsen künftig deutlich erschwert. Doch gänzlich umsonst waren die Proteste nicht. Die CDU-Landtagsfraktion CDU verständigte sich während ihrer Haushaltsklausur in der vergangenen Woche darauf, bestehende nichtstaatliche Schulen zu den bisherigen Konditionen weiter zu fördern. Trotz der neuen Hindernisse zeigte sich der evangelische Landesbischof Jochen Bohl zufrieden mit dem Kompromiss.

Der Regierungsentwurf zum neuen Doppelhaushalt 2011/12 sah vor, den staatlichen Finanzierungsanteil an freien Schulen generell von 90 auf 80 Prozent zu kürzen. Das brächte in beiden Jahren rund 15 Millionen Euro Einsparungen. Erst nach vier statt bislang drei Jahren Eigenfinanzierung würde die staatliche Förderung einsetzen. Die Übernahme des Schulgeldes für einkommensschwache Familien durch den Freistaat sollte entfallen. Neue freie Schulen hätten außerdem in Zukunft die gleichen Mindestgrößen von Klassen und Schulen einzuhalten wie staatliche Schulen.

Nach dem Willen der mit der FDP in Sachsen regierenden CDU sollen all diese Einschnitte jetzt nur noch für Neugründungen gelten. Der volle Zuschuss wird nur ausnahmsweise gewährt.

Das jetzt von Roland Wöller (CDU) geleitete Kultusministerium stößt sich seit Jahren daran, dass Bürger, Kirchen und Vereine an geschlossenen staatlichen Schulstandorten ersatzweise freie Schulen gründen. In den vergangenen fünf Jahren unterliefen allein 50 Schulen so die durch den Geburtenrückgang verursachte Schließungswelle.

Auch das Thüringer CDU-SPD-Regierungskabinett verabschiedete Ende September unter ähnlichen Protesten eine Schulgesetznovelle. Rund 6 Millionen Euro sollen eingespart werden. Mit ähnlichen Plänen scheiterte vor zwei Jahren die CDU-geführte Regierung Althaus wegen heftiger Gegenwehr. Der neue Bildungsminister Christoph Matschie (SPD) argumentiert, die freien Schulen in Thüringen bekämen pro Schüler mehr staatliche Zuschüsse als in jedem anderen Bundesland. Hier entscheidet der Landtag noch.

Beide Länder haben, wie andere ostdeutsche Bundesländer auch, nach 1990 einen Gründungsboom freier Schulen erlebt und dabei viele westdeutsche Länder überholt. In Sachsen wird beispielsweise jede vierte Berufsschule privat geführt. In den neunziger Jahren misstrauten viele Eltern dem staatlichen Schulsystem, in dem noch viele DDR-geprägte Lehrer agierten. Freie Schulen boten außerdem eine Fluchtmöglichkeit vor der frühen Auslese nach der vierten Klasse und vor der Schulschließungswelle.

Die Positionen stehen mittlerweile Kopf. Gehörte die CDU gehörte zunächst zu den Förderern freier Schulen, präsentieren sich heute die einstigen Skeptiker, die Lehrergewerkschaft GEW oder die Linkspartei, als deren eifrigste Anwälte.

Relativ konstant ist die Position der Grünen. „Es ist ein Irrweg, das staatliche Schulsystem retten zu wollen, indem man die freien Schulen kaputtmacht“, sagt deren Landtagsabgeordnete Annekathrin Giegengack.

Zum Sinneswandel der CDU trug ausgerechnet ein Gutachten des früheren Staatskanzleichefs Georg Brüggen bei, wonach mit wahrscheinlich erfolgreichen Verfassungsklagen der freien Träger zu rechnen sei. Außerdem wurde bekannt, dass aus dem Fördertopf für die Privatschulen im vorigen Jahr 42 Millionen Euro nicht abgerufen wurden. MICHAEL BARTSCH