Alte Knochen lügen nicht

Erst zum Ende des Neanderthaler-Jahres präsentiert sich das Museum in Mettmann mit einer neuen populistischen Dauerausstellung. Spektakuläre Originalfunde sind nur noch in Bonn zu sehen

In den USA wächst das Interesse am Neanderthaler. Als „Kronzeuge der Evolution“ ist er dort eine Bedrohung für alle so genannten Kreationisten, die gegen Darwin ankämpfen

VON DIRK ECKERT

Auch an einem trüben Wochentag im Oktober wimmelt es zur Mittagszeit im Neanderthal-Museum von Besuchern. Obwohl von dem Ort, wo vor fast genau 150 Jahren die ersten Gebeine eines Urmenschen gefunden wurden, außer ein paar rotweißen Holzstangen nichts mehr zu sehen ist. Die exakte Fundstelle – eine Höhle bei Düsseldorf – ist längst dem Kalksteinabbau zum Opfer gefallen und wurde weggesprengt. Die 16 Original-Knochen, die Arbeiter zuerst für Reste eines Höhlenbären gehalten haben, sind bereits seit 1877 im Besitz des Rheinischen LandesMuseums in Bonn.

Der Mythos Neanderthaler lockt dennoch. Nach zehn Jahren mit rund 1,8 Millionen Besuchern hat das Museum in Mettmann nun seine Dauerausstellung überarbeitet. Multimedialer und besser strukturiert soll alles sein. Kinder haben nun ihre eigenen modernen Audioführer. Höhlenmalerei wird sogar in einer richtigen Pappmaché-Höhle gezeigt. Als Publikumsrenner erweist sich bereits die Spielerei am Eingang: Jeden Monat posieren in einem Fotoautomaten immerhin 500 bis 600 Menschen für ein ganz besonders Andenken: ein Foto von sich im Neanderthaler-Stil mit den dicken Geschwülsten über den Augen.

Trotz moderner Technik ist das ursprüngliche Grundkonzept allerdings geblieben. Das Museum zeigt keine klassische Grabungsausstellung, dafür die großen Menschheits-Themen wie Religion, soziales Miteinander oder Macht und Herrschaft. Die Spannung entsteht durch die Konfrontation von Urzeitlern und heutigen Menschen, beziehungsweise ihren Hinterlassenschaften. So kann es schon mal vorkommen, dass plötzlich ein 5.400 Jahre altes Keramikgefäß neben einem aktuellen Ikea-Katalog ausgestellt ist.

Bei den Besuchern kommt das offenbar an. Mit 170.000 Besuchern kamen in diesem Jahr 20.000 mehr als im Vorjahr. Profitiert hat das Museum da auch vom „150. Geburtstag“ des Neanderthalers. „Wir leben zum Großteil von unseren Einnahmen“, sagt Museumsdirektor Gerd-Christian Weniger. Wegen des Jubiläums sei weltweit das Interesse am Urzeitmenschen gestiegen. 60 Prozent aller Zugriffe auf die Internetseite des Museums kämen aus dem Ausland, 70 Prozent davon aus den USA. Für die Museumsleitung hängt das Interesse dort auch mit der Debatte um die so genannten Kreationisten zusammen, die gegen die darwinsche Evolutionstheorie zu Felde ziehen und für die der Neanderthaler eine inhaltliche Bedrohung ist. „Wir hatten ja gedacht, das Thema ist erledigt“, sagt Direktor Weniger. Doch jetzt werde der Urzeitmensch wieder zum „Kronzeugen der Evolution“.

Wem die Präsentation in Mettmann zu unwissenschaftlich ist, oder wer dort mehr Knochen in den Vitrinen erwartet hat, der kann noch bis Mitte November die Ausstellung „Roots – Wurzeln der Menschheit“ im Rheinischen Landesmuseum in Bonn besuchen. Dort sind im Jubiläumsjahr die spektakulären Ergebnisse von Ausgrabungen aus der ganzen Welt zu sehen. Mit den zum Teil Millionen Jahre alten Knochenfunden wird die Evolution von den ersten Hominiden in Afrika bis zum Homo sapiens umfassend dokumentiert.

Natürlich sind dort auch Neanderthaler vertreten, unter anderem mit Funden aus Belgien, Frankreich und eben den Original-Knochen aus Mettmann. Von ihrem Vorgänger, dem Homo erectus, stammt ein Schädel aus dem georgischen Dmanisi, der kürzlich als „erster Europäer“ der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (taz berichtete). Auch die aktuelle Frage, ob sich Neanderthaler und Homo sapiens gepaart haben, wird mit dem Skelett eines fünfjährigen Kindes gestreift, das erst 1998 im portugiesischen Lagar Velho gefunden wurde. Die 24.500 Jahre alten Knochen weisen sowohl Merkmale des Homo sapiens auf wie auch typische Verformungen der Neanderthaler. Manchen Forschern gilt der Fund deshalb als Beleg für eine Vermischung der beiden damals existierenden Menschengattungen.

Leben Neanderthaler also im modernen Menschen weiter? Die Bonner Ausstellung enthält sich da einer eindeutigen Aussage, weist aber darauf hin, dass zur Klärung der Frage die Kern-DNA der Neanderthaler identifiziert werden müsste. Das ist bisher nicht gelungen. Den Besuchern bleibt der Trost, dass das Skelett aus Portugal in Bonn erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen ist.

Neanderthal Museum Mettmann Infos: 02104-979797 Roots – Wurzeln der Menschheit Rheinisches LandesMuseum Bonn Infos: 0228-20700