Fahrschule für Ausdauerspezialisten

RADSPORT Das aufstrebende MTN-Qhubeka-Team aus Johannesburg darf bald bei einem Frühlingsklassiker und der Spanienrundfahrt mitmischen. Langfristig soll ein Schwarzer zum Tour-de-France-Sieger aufgebaut werden

■ Paris–Roubaix, 13. April: Bei der Fahrt durch „die Hölle des Nordens“ müssen 51,1 Kilometer Kopfsteinpflaster bewältigt werden. Streckenlänge: 257 Kilometer. Der Deutsche John Degenkolb holperte am Sonntag als Zweiter hinter dem Holländer Niki Terpstra ins Ziel.

■ Amstel Gold Race, 20. April: Nach dem Start in Maastricht müssen etliche kleine giftige Anstiege in der niederländischen Region Limburg überwunden werden. Ein stetiges Auf und Ab. Streckenlänge: 251,4 Kilometer.

■ Lüttich–Bastogne–Lüttich, 27. April: Das Rennen feiert in diesem Jahr die 100. Austragung. Der Weg zurück nach Lüttich wird zum bergigsten Rennen unter den Frühjahrsklassikern, wodurch sich auch Klassementfahrer Hoffnungen auf den Sieg machen dürfen. Streckenlänge: 263 Kilometer.

VON JÜRGEN LÖHLE

Passo del Turchino, kurz vor Genua. Ein Bild des Jammers. Es schneit Flocken, fast so groß wie Taschentücher, die Straße wird innerhalb weniger Minuten weiß, und mitten in dem Unwetter plagen sich Männer in kurzen Hosen zitternd vor Kälte auf ihren Rennrädern den Berg hinauf. Von wegen Fahrt in den Frühling, der Klassiker Mailand–San Remo geriet 2013 zur Zitterpartie, bis die Verantwortlichen schließlich die durchgefrorenen Profis in Busse setzten, über den Pass ans Meer kutschierten und sie dort im strömenden Regen weiterfahren ließen. Ein paar Stunden später raste Gerald Ciolek pudelnass und dreckverschmiert im Sprint als Erster über die Ziellinie in San Remo. Und in den Fernsehkabinen mühten sich die TV-Moderatoren mit dem Namen des Kölners ab, aber vor allem mit dem seiner Mannschaft: MTN Qhubeka.

MTN was? Selbst Experten mussten da nachschlagen. MTN Qhubeka gibt es zwar seit 2008, aber erst vor einem Jahr bekam das Team aus Johannesburg vom Weltverband UCI eine Continental-Pro-Team-Lizenz, das der ersten afrikanischen Profimannschaft Rennen in Europa überhaupt erst ermöglichte. Und dann gewannen die Neulinge gleich mit einer Wild Card das prestigeträchtige Auftaktrennen der Klassikersaison.

April 2014: MTN Qhubeka besitzt zwar trotz 14 Saisonsiegen 2013 immer noch nur eine Zweitliga-Lizenz, hat aber aktuell eine Einladung für die Spanienrundfahrt im September bekommen und startet mit einer Wildcard am 27. April beim Klassiker Lüttich–Bastogne–Lüttich. Vor allem hat das Team aber große Ziele. MTN Qhubeka ist so etwas wie eine Fahrschule, aus deren Kreis in ein paar Jahren der erste Tour-de-France-Sieger aus Afrika kommen soll. Und dabei sollen neben Ciolek auch die deutschen Profis Andreas Stauff, Martin Reimer und seit diesem Jahr auch noch Linus Gerdemann helfen.

Afrika nach vorn, deshalb gibt es das Team. Aber auch, um für eine gerechtere Welt zu radeln. Qhubeka heißt Hoffnung und ist eine Stiftung, die in Afrika Fahrräder an Familien auf dem Land verteilt, um den Fußweg der Kinder zur Schule von teilweise mehr als vier Stunden am Tag zeitlich drastisch zu verkürzen. Seit 2005 wurden mehr als 100.000 Drahtesel verschenkt, im Gegenzug müssen sich die Kinder sozial engagieren und zum Beispiel zu Hause ihren Müll trennen. Finanziell wird Qhubeka vom afrikanischen Telekommunikationsunternehmen MTN unterstützt, das auch das Profiteam finanziert. Hinter dem sportlichen Engagement steckt der Gedanke, dass es auf einem Kontinent mit so vielen außergewöhnlichen Ausdauerathleten doch auch passable Rennradfahrer geben muss. Besonders in den Höhen von Äthiopien oder Kenia werden Talente vermutet, die zu internationalen Stars reifen könnten.

Im Unterschied zum Laufen ist der Rennradsport aber auch eine technische Disziplin. In einem Peloton mit 200 Fahren rennmäßig unterwegs zu sein, mit Tempo 90 Pässe herunterrasen oder über Kopfsteinpflaster zu holpern, muss gelernt sein, sonst nützt einem die beste Kondition nicht viel. MTN Qhubeka ist somit auch so etwas wie ein Ausbildungsbetrieb. Mit überwiegend deutschen Lehrern. In der Verantwortung für das Team steht der ehemalige Rennfahrer Jens Zemke als sportlicher Leiter. „In zwei bis drei Jahren wollen wir so weit sein, dass auch afrikanische Profis ganz vorne mitfahren können“, sagt der Mann aus Wiesbaden. Zemke kann zumindest, was die Begeisterung in Afrika angeht, aus dem Vollen schöpfen. Am Sitz des Teams in Südafrika wird Radsport immer populärer. In Kapstadt findet alljährlich mit 35.000 Starten das größte Jedermann-Rennen der Welt statt, und als im Juli 2013 Daryl Impey als erster Afrikaner für zwei Tage die Gesamtwertung der Tour de France anführte, liefen Zehntausende in gelben Trikots über die Straßen. Impey fährt allerdings für ein australisches Erstliga-Team und gehört zur weißen Bevölkerung von Johannesburg.

Zemkes primäre Aufgabe ist es aber, junge Talente vom Land aufzubauen. „Das Team“, sagt er, „ist eher langfristig angelegt. Wir sind mit 24 Jahren im Schnitt eine sehr junge Mannschaft und streben für 2015 den Aufstieg in die World Tour an.“ Und es gibt auch bereits ein großes Talent. Tsagbu Grmay gilt als der Mann, der als erster Afrikaner vielleicht einmal die Tour de France gewinnen kann. Der Äthiopier ist 22 Jahre jung, war bereits bei einem UCI-Rennen unter den besten Zehn und soll langsam herangeführt werden. „Äthiopien ist eigentlich ein Land der Läufer. Ich hoffe, dass ich das ändern kann“, sagt der in seiner Heimat populäre Grmay.

Der einstige Bahnspezialist Jean-Pierre van Zyl wagt schon mal eine Prognose. „In einigen Jahren wird der Radsport von Afrikanern dominiert werden“, sagt der Mann aus Johannesburg. Der ehemalige Rennfahrer leitet das „World Cycling Center Africa“, ein Entwicklungsprojekt des UCI in Potchefstroom nahe Johannesburg. „Ich sehe täglich Talente“, sagt er, „die andere Länder sicher gerne hätten.“