ARNO FRANK über GESCHÖPFE
: I hired a contract killer

Weil sie Karl nervös machten, müssen die Fruchtfliegen sterben. Es soll wie ein Unfall aussehen …

Jetzt reicht’s! Das Boot ist voll! Ich meine, früher oder später stößt doch jede Gesellschaft an die Grenzen ihrer Toleranz! So war auch bei mir irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich durchgreifen musste. Mit harter Hand und hartem Herzen, obwohl ich normalerweise keiner Fliege was zuleide tun kann.

Dabei hatte alles so harmlos angefangen mit einer dieser spektakulären BBC-Dokumentationen, in denen brisante Spekulationen darüber angestellt werden, wie wohl Fauna und Flora unseres Planeten in schätzungsweise 6.000.000 Jahren beschaffen sein könnten, „wenn wir mal nicht mehr sind“.

Gut, es mag drängendere Fragen bezüglich des Lebens auf der Erde geben. Gerade deshalb aber hat es etwas sehr Beruhigendes, einer Herde computeranimierter Blauwale dabei zuzuschauen, wie sie mit gewaltigen Schwingen über einem Ozean der Zukunft kreist; oder wenn ein bärtiger Biologenzausel frei von der Leber weg fabuliert, dereinst würden sich ganz viele intelligente Quallen zu einer einzigen, fußballfeldgroßen Superhirnqualle verschalten.

Die Evolution wird das Kind schon schaukeln – auch wenn es höchstwahrscheinlich darauf hinausläuft, dass irgendwann Fleisch fressende Pflanzen die Erde beherrschen, die mannshoch werden können und bei der Jagd auf ihre Beute eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 70 km/h erreichen. Sachen gibt’s!

In der Werbepause spazierte ich rüber in die Küche, um mir noch ein Glas von meinem selbst gemachten Kefir einzuschenken. „Selbst gemacht“ trifft es nicht ganz, weil eigentlich der Kefir die ganze Arbeit alleine macht. Murmelförmig, gallertartig und knorpelfarben ruhen seine Körner auf dem Grund eines mit Wasser, Zucker und Zitronensaft gefüllten Glases, das trübe auf der Fensterbank steht. Diesen Sud verwandelt der Kefir in ein prickelndes Kaltgetränk, das alle drei Tage „geerntet“ werden muss und nach Biozitronenlimonade schmeckt.

Wie der Kefir das macht, das ist sein Betriebsgeheimnis, da kann unsereins nur staunend davorstehen. Angeblich hat es etwas mit Mikroorganismen, Gärungsprozessen und Essigsäurebakterien zu tun. So genau kann ich das jetzt nicht sagen, weil ich es allzu genau auch nicht wissen will. Seit mir eine wohlwollende Freundin vor zwei Jahren den Kefir in einem Einmachglas aus dem Kaukasus mitbrachte, ist er mir jedenfalls richtig ans Herz gewachsen. Wer weiß, wie weit es das Kerlchen in 6.000.000 Jahren noch bringen wird!

Wie jedes Haustier brauchte auch diese bizarre Mischung aus Pilz, Aquarium und Getränkespender einen Namen. Ich nannte ihn Karl. Und Karl dem Kefir ging es gar nicht gut, als ich die Küche betrat.

Die Flüssigkeit war dunkler und der Gestank intensiver als sonst. Dicke Blasen wanderten zäh nach oben, wo ich bei näherer Untersuchung die Leichen von zwölf Mücken entdeckte. Mausetot und glücklich trieben sie an der Oberfläche, während der Rest des Geschwaders zitternd über dem Glas stand. Zwei davon – wahrscheinlich Späherinnen – landeten auf meinem Handrücken. Rote Augen. Gelbbraune Färbung. Kurze Fühler. Gedrungene Gestalt.

Als ich mich unvorsichtigerweise zum Altglas bückte, steckte plötzlich mein ganzer Kopf in einer dichten Wolke aus Fruchtfliegen bzw. Essigfliegen bzw. Taufliegen, dem Schrecken aller Hausfrauen – und Traum aller Genforscher, weil kaum ein Lebewesen schneller mutiert als die den „Tau“ (drosos) „liebenden“ (philos) drosophilidae.

Neuerdings können die Viecher beim Fliegen in regelmäßigen Abständen ihren Rüssel ausstrecken und so Zusatzluft aus Hohlräumen im Kopf in ihre Atemorgane pumpen – sie sind die Turbolader der Evolution. Ich musste also handeln. Aber womit? Chemie? Hygiene? Nein, ich kann einer Fliege einfach nichts zuleide tun. Aber der Sonnentau kann, wie es sich für eine Fleisch fressende Pflanze gehört. Sechs dieser Auftragskiller stehen derzeit in meiner Küche, gefährlich glitzernd und geduldig lauern sie auf ihre hektischen Opfer – und warten, notfalls auch sechs Millionen Jahre.

Fotohinweis: ARNO FRANK GESCHÖPFE Fragen zum Geziefer? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN