ZWISCHEN DEN RILLEN
: Das leise Klimpern des Kleingeldes im Automaten

Illute: „immer kommt anders als du denkst!“ (Las Vegas Records/Broken Silence)

Illute bleibt in der Mitte. Ihre Musik schlägt weder in die Höhen kreischender Hysterie noch in die Niederungen dumpfester Depression aus

Die Reise geht nach innen. Die Bahnhöfe an der beschaulichen Strecke tragen unaufregende, grundsolide Namen wie Ehrlichkeit, Echtheit oder Innerlichkeit. Nachdem sich die letzte Generation medial intensiv begutachteter Berliner Musikerinnen wie Peaches oder auch, nicht ganz so prominent, Angie Reed mit provokanten Posen, schrillen Geschlechter-Inszenierungen und krachenden Sounds rund um die Jahrtausendwende massig Aufmerksamkeit erspielen konnte, ist es um die nachrückenden Frauen leiser geworden.

Und das in zweierlei Hinsicht: Kein von Getöse begleiteter Hype zeichnet sich um die neuen Berliner Songwriterinnen wie Kat Frankie, Kitty Solaris, Milenasong, Susie Asado, Zazie von einem anderen Stern und all die anderen, die liebevoll ihre Gitarren zupfen, am Horizont ab. Was durchaus ein gutes Zeichen ist, weil es bedeutet, dass Frauen im Musikgeschäft mittlerweile weniger eine Anomalie denn eine Normalität darstellen.

Und die Musikerinnen selbst treten leiser in ihren sanften, expressiven Songs, die sich mit häufig klassischer Instrumentierung aus Gitarre, Schlagzeug, Klavier und Bläsern um klassische Themen wie die Liebe, den Alltag, die Unmöglichkeit von Kommunikation oder die Freude an kleinen Dingen drehen. Eine gewisse Sehnsucht nach Ehrlichkeit, nach Innerlichkeit, nach Mikropolitik, nach dem Kleinen, dem Alltäglichen, dem Zwischenmenschlichen lässt sich erkennen, Abgründe – eher keine.

Sehen wir nun die große Retraditionalisierung der Geschlechterrollen in Zeiten der Krise, die Mütter wieder in Heerscharen an den Herd zurückkehren lässt, auch in der Musik? Mädchen fürs Gefühl, das Private, die nichtöffentliche Sphäre, ganz wie einst im Biedermeier? Wohl kaum, denn die schiere – und vor allem selbstverständliche – Präsenz großer Zahlen von Frauen in dieser bröckelnden Bastion von Männlichkeit, der Popmusik, ist selbst bereits der Gegenbeweis.

Doch wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen verläuft auch die schnellatmige Geschichte des Pop in Wellenbewegungen. Die Notwendigkeit, ordentlich auf den Tisch oder auch nur auf die Pauke zu hauen, drängt sich dann viel weniger auf, wenn es scheinbar gar nichts mehr zu erkämpfen oder verteidigen gibt, weil die Vorgängerinnen schon das Terrain bereitet haben.

So kann auch die in Berlin lebende Illute, deren Kunstname sich aus ihrem Vornamen „Ute“ und ihrer Profession „Illustratorin“ zusammensetzt, auf ihrem Debütalbum „immer kommt anders als du denkst“ unaufgeregt und mit hübscher Stimme von einem Gegenüber singen, das nicht ans Telefon geht, von einem mit Rechtschreibschwäche, für das sie sich auf die Zehenspitzen stellen muss, um es küssen zu können, oder von einem, das all das nicht nehmen will, was sie zu bieten hat.

Die gemeinsam mit dem Wiener Alexander Nefzer produzierten Songs zwischen Gitarre-Stimme-Doppel, Folklore, Bläserbreitwänden und Mundharmonika-Humpta, mal auf Englisch, mal auf Deutsch, mal mit einer spanischen Parole hauchig bis kraftvoll, traurig bis kieksig übersungen, wirken durch ihre kunstvoll kunstlose Sprache teilweise wie Spoken Word Poetry.

Aber ach was, nicht nach gestelzter Poesie klingen diese 15 Lieder, sondern mit ihrer Alltagssprache eher wie Konversationen, die einem Gesprächspartner zugedacht sind, der abwesend ist oder einfach nicht zuhören will, und daher den Charakter melancholisch-resignativer Selbstgespräche annehmen. Dabei bleibt Illute immer in der Mitte, denn ihre Musik schlägt in keine Richtung aus. Weder nach oben in die Höhen kreischender Hysterie noch nach unten in die Niederungen dumpfester Depression.

Wer böse ist, interpretiert diese neue Mittigkeit als altes Mittelmaß, wer Fan ist, als Gelassenheit. Im Eröffnungsstück „du bist eine stimme“ sinniert Illute über das leise Klimpern des Kleingeldes, das durch den Automaten wandert – und hat damit die wohl schönste und gleichzeitig bescheidenste Metapher für ihre eigene Musik geschaffen.SONJA EISMANN