Korn für alle

SAATGUT Pramila Panda hilft der Urbevölkerung Indiens, von der Agrarlobby unabhängig zu werden

Um unabhängig zu sein, züchten die Adivasi-Frauen ihr Getreide nun selbst – über vierzig alte Sorten

VON MARINA WETZLMAIER

Auf den ersten Blick wirkt die Frau im bunten Sari unscheinbar und zurückhaltend. Ihr schwarzes Haar ist hinten zu einem Knoten gebunden. Ein goldenes Piercing ziert ihre Nase, ein roter Punkt ihre Stirn. Doch dann beginnt Pramila Panda zu erzählen und ist nicht mehr zu stoppen. Sie schildert das Schicksal der Adivasi, der indischen Ureinwohner und Ureinwohnerinnen, und sie berichtet von ihrem Einsatz für dieses Volk in den Wäldern des Bundesstaates Orissa im Nordosten Indiens. Hinter den Erzählungen steckt auch ihre persönliche Geschichte – die einer Frau, die beschlossen hat, sich für die Armen einzusetzen. Und vor allem für die Frauen.

In den Bildungs- und Entwicklungsprojekten werden Frauen zwar meist mitgedacht, indirekt, aber das reicht Panda nicht. „Warum interessiert man sich nicht für die Entwicklung der Frauen?“, fragt sich Pramila Panda schon immer. Frauen müssen separat berücksichtigt werden, ist sie überzeugt. Das war ihre Motivation, 1992 die „Women Organisation for Rural Development“ (Word) zu gründen. Sie will Frauen einen eignen Raum geben: „Sie haben in der Gesellschaft keinen Platz, um sich mitzuteilen und um zu sprechen.“

Seitdem sich Panda für die Adivasi engagiert, wohnt sie mit ihnen in den Dörfern. Achtzig Millionen Adivasi leben noch zurückgezogen in den Waldgebieten Indiens. In der gesellschaftlichen Hierarchie stehen sie ganz unten. Umso stärker spüren sie die Folgen von Modernisierung und Industrialisierung: Illegale Abholzungen und der Bau von Wasserkraftwerken gefährden den Wald und damit ihre Lebensgrundlage. Mit den schrumpfenden Wäldern schrumpft auch die Adivasi-Bevölkerung.

Panda will den Menschen helfen, indem sie ihnen die Möglichkeit gibt, selbst etwas zu verändern. „Ich gehe nicht zu ihnen hin und sage: Ich möchte euch entwickeln“, sagt sie. Stattdessen organisiere sie Treffen mit allen Dorfbewohnern. „Dann diskutieren wir über die Probleme, die es gibt, und versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden.“ Die Einbeziehung aller Dorfmitglieder ist wichtig für ihre Arbeit. „Erst muss ich die Männer überzeugen. Dann kann ich auf die Frauen zugehen. Anders funktioniert es nicht.“

Word setzt sich etwa dafür ein, dass auch Frauen Land besitzen dürfen. Die Adivasi bekommen von der Regierung kleine Grundstücke zur Verfügung gestellt, die sie bewirtschaften dürfen. Landtitel erhalten normalerweise aber nur die Männer. Auch wenn es die Frauen sind, die die meiste Feldarbeit verrichten, dürfen sie die Produkte nicht selbst verkaufen. „Die Männer eignen sich die Erträge an“, klagt Panda. Sie gründet daher Selbsthilfegruppen, Sanghams genannt, wo sie den Frauen mehr Selbstbewusstsein vermitteln will. In den Sanghams werden Projekte geplant, speziell für Frauen, aber auch für das gesamte Dorf.

Eins davon: die Saatgutbanken. Sie sind eine Antwort auf die Folgen der nationalen Landwirtschaftspolitik. Der Staat förderte dabei den Anbau von Hybridsorten, die viel Wasser und Düngemittel brauchen. Viele Bauern mussten dafür Kredite aufnehmen und verschuldeten sich. Nach zwei Jahren waren die Pflanzen oft nicht mehr fruchtbar und neues Saatgut musste gekauft werden. Panda kommt zu dem Schluss: „Wenn wir uns auf die Außenwelt verlassen, können wir nicht überleben.“

Um unabhängig zu sein, züchten die Adivasi-Frauen ihr Getreide nun selbst – und zwar über vierzig alte Sorten. Diese Saatgutbanken funktionieren nach dem Tauschprinzip: Jedes Mitglied, das sich beteiligen will, entnimmt eine bestimmte Menge an Getreide. Nach der Ernte wird die gleiche Menge wieder zurückgegeben.

Das Projekt wirkt wie ein Musterbeispiel für nachhaltige Entwicklung. Ein Konzept, das seit Jahren die internationale Entwicklungspolitik dominiert. Die Umsetzung scheitert aber oft, weiß Georg Grünberg. Er lehrt am Institut für Internationale Entwicklung in Wien und war selbst bei Entwicklungsprojekten tätig. „Das Gesamtergebnis der bisherigen Entwicklungshilfe ist niederschmetternd“, sagt er. Der Grund liege in einer Sichtweise, die sich an westlichen Maßstäben orientiert: „Unsere Wertvorstellungen werden auf die Menschen vor Ort projiziert“, schildert Grünberg eines der Hauptprobleme, „Es wird von Bedürfnissen ausgegangen, die es dort nicht gibt. Und tatsächliche Bedürfnisse werden von uns nicht wahrgenommen.“ So werden falsche Prioritäten gesetzt und Projekte gefördert, die schiefgehen.

Pramila Panda weiß nicht viel von internationaler Entwicklungspolitik, nichts von theoretischen Konzepten und Modellen. Sie handelt nach ihrem eigenen Wissen und nach den Bedürfnissen der Adivasi. Und – teilt Panda die Kritik an westlichen NGOs? Sie kenne nicht viele internationale NGOs, antwortet sie. Sie versteht die Frage nicht. Denn für sie ist es ganz normal so zu handeln, wie sie es tut. „Die Menschen kooperieren, wenn man ihnen zuhört.“