Vereint gegen den Griff in die Rentenkasse

REFORMFRAGEN Auf einer rentenpolitischen Anhörung des DGB kritisieren Gewerkschaften und Arbeitgeber einmütig die Finanzierung der Mütterrente. Auch die Rente mit 63 sorgt weiterhin für Streit

BERLIN taz | Andrea Nahles bleibt dabei: Sie will verhindern, dass Arbeitnehmer durch die geplante Rentenreform bereits mit 61 statt mit 63 Jahren aus dem Beruf aussteigen. Aber dafür will sie nicht nur den Beschäftigten Hürden in den Weg legen. „Es muss für beide Seiten unattraktiv werden“, sagte die Bundesarbeitsministerin (SPD) auf einem rentenpolitischen Hearing des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Berlin, an dem Vertreter aller Parteien teilnahmen.

Nahles brachte am Dienstag erneut die Idee ins Spiel, bei der Rente mit 63 für die Arbeitgeber die Erstattungspflicht wieder einzuführen. So müssten Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge zurückzahlen, wenn ihre Beschäftigten vorzeitig mit 61 Jahren aussteigen.

Nahles’ Kalkül: Für Beschäftigte wird die Extraschleife in der Arbeitslosigkeit ab 61 und bis zum Rentenantritt mit 63 nur attraktiv, wenn der Arbeitgeber die Einkommenseinbußen durch eine Abfindung ausgleicht. Das will sie mit der Erstattungspflicht unattraktiv machen.

Beim Koalitionspartner weckt das keine Begeisterung. „Beim Erstattungsbeitrag gibt es Bedenken“, hielt der rentenpolitische Sprecher der CSU, Tobias Zech, dagegen. Personaler würden Wege finden, die Erstattung zu umgehen. Zech warb dafür, den Gang in die Arbeitslosigkeit nur für die Beschäftigten zu erschweren, beispielsweise indem bei der Rente mit 63 Zeiten der Arbeitslosigkeit zwei Jahre vor Renteneintritt nicht mehr angerechnet würden. Nach Ostern wird im Parlament erneut über die Details der Reform gerungen, die zum 1. Juli in Kraft treten soll.

Für die Arbeitgeber bleibt die Rente mit 63 grundsätzlich ein Problem. 50.000 Personen würden allein im ersten Jahr zusätzlich den Arbeitsmarkt verlassen, „das sind die Beschäftigten einer Kleinstadt“, sagte Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Reform verschärfe den Fachkräftemangel. Der aber, konterte DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach, entstehe auch, weil die Arbeitgeber zu wenig Älteren im Betrieb eine Chance geben würden. Nur jeder fünfte Arbeitgeber investiere in altersgerechte Arbeitsplätze.

Doch neben allen Differenzen herrschte zwischen BDA und DGB auch Einmütigkeit. Kritisch sehen die Sozialpartner nach wie vor, dass die Mütterrente, die bis 2030 als teuerster Posten der Reform rund 105 Milliarden Euro kosten wird, zum größten Teil aus Beitragsmitteln der Rentenkasse finanziert wird. „Es braucht mehr Steuermittel“, sagte Buntenbach. Der rentenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Markus Kurth, warnte vor den Folgen des Griffs in die Rentenkasse und den sinkenden Rücklagen. „Wir werden ab 2018 eine neue Diskussion über Rentenkürzungen bekommen.“ Kurth plädierte zudem dafür, wie auch Matthias W. Birkwald von der Linksfraktion, erneut über das konstant sinkende Rentenniveau zu diskutieren.

Dieses Problem wird die große Koalition jedoch erklärtermaßen nicht angehen. Stattdessen wolle man noch in diesem Jahr über Möglichkeiten für flexible Übergänge in die Rente diskutieren, kündigte Nahles an.

EVA VÖLPEL