Die Generationen-WGs

Das Projekt „Wohnen für Hilfe“ vermittelt Studenten an Senioren. Die Jungen bekommen ein billiges Zimmer, die Alten im Gegenzug Gesellschaft. Ein guter Deal für beide Seiten, sagen Altersforscher

Ihre Miete zahlt sie mit chinesischen Reisgerichten, Blumen gießen – und mit ihrer Nähe. Keinen Cent muss die 21-jährige Studentin Lulu Liu ihrem Vermieter für ihr Zimmer in Münster überweisen: Zwölf Quadratmeter ist es groß; Benutzung von Küche, Wohnzimmer, Büro und Computer sind inklusive. „Wohnen für Hilfe“ lautet der Deal zwischen Lulu und dem 82 Jahre alten David Bauer – eine Wohnpartnerschaft zwischen Jung und Alt wie es sie mittlerweile bundesweit in elf Städten gibt.

„Als ich alleine war, fiel mir die Decke auf den Kopf. Ich bin kaum noch rausgegangen. Das war ein Lotterleben“, erzählt der Senior, dessen Frau im März gestorben ist. Doch seit die Studentin in sein 140 Quadratmeter großes Haus eingezogen ist, lebt der 82-Jährige auf und fühlt sich jünger als zuvor. „Ich werde angeregt. Es erfrischt mich, wenn ich reden und denken muss.“ Auch seine Tochter Brigitte sieht den Wandel: „Er war unzufrieden, allein zu sein. Ganz agil und zufrieden ist er nun geworden.“

Seit August sind Lulu, die aus der chinesischen Provinz Hunan südlich des Jangtse-Flusses kommt, und David Bauer ein Senioren-Studenten-Wohnpaar, von denen es in NRW in Köln und Münster 31 gibt. Getragen und wissenschaftlich begleitet werden die 2005 gestarteten Projekte von der Stadt Münster und der Universität Köln. Die Koordination samt kostenloser Vermittlung und ausführlichen Bewerbergesprächen fördert das Land für drei Jahre mit 340.000 Euro.

Als Gewinn für beide Seiten bezeichnen Altersforscher die Partnerschaften: Studenten sparen Geld, ältere Menschen bekommen Hilfe – vom Kochen bis hin zur Begleitung zum Arzt; Pflege ist ausgeschlossen. Doch es gehe nicht nur darum, billig zu wohnen oder Hilfe zu erhalten, sagt die Münsteraner Projektkoordinatorin Christa Reiffer. Als entscheidendes Auswahlkriterium bei der Bewerbung gelte das „vitale Interesse an der anderen Generation“. Die Faustregel lautet: Eine Stunde Arbeit im Monat pro ein Quadratmeter Wohnfläche, Nebenkosten müssen gezahlt werden.

Nicht so bei David Bauer und seiner Wohnpartnerin, die per Anzeige und Flyer auf das Projekt aufmerksam geworden sind. Die junge Chinesin, die sich zur Zeit am Studienkolleg in Münster für ein Wirtschaftsstudium bewähren will, zahlt kein Geld. „Ich brauche es nicht“, erklärt ihr 82 Jahre alter Vermieter.

Die Arbeit wie Abfall entsorgen und gemeinsames Fernsehen wird Pi mal Daumen abgerechnet. Die große Leidenschaft, die beide verbindet, ist das Kochen, vor allem von chinesischen Gerichten. „Sie kocht für mich, ich koche für sie“, erzählt Bauer, der als selbstständiger Bankkaufmann oft in China war und per Zufall eine Chinesin als Wohnpartnerin gewonnen hat. Für Lulu hat der 82-Jährige sogar seine Essenszeit umgestellt. Statt mittags kommt nun abends warmes Essen auf den Tisch, wenn Lulu zu Hause ist.

Als fürsorgende Helferin erweist sich die Studentin: „Seit Lulu da ist, muss ich jeden Tag einen Apfel essen“, sagt Bauer. Gemeinsam lernen sie Deutsch und Englisch. Die Sprachkompetenzen zu verbessern und die deutsche Kultur kennen zu lernen, hätten für sie zu den entscheidenden Gründen für die Wahl einer Wohnpartnerschaft gezählt, sagt Lulu. Altersforscher sehen weitere Vorteile des vorbildhaften Projekts: „Zentrale Faktoren für das gesunde Altern sind soziale Integration, Kommunikation und Kontakt zu jüngeren Menschen“, sagt Experte Eckart Schnabel vom Institut für Gerontologie an der Universität Dortmund. Zudem erhielten die Jungen ein neues Bild des Alterns.

Bislang übersteigt laut Organisatoren die Studentennachfrage das Angebot um ein Vielfaches. „Die älteren Menschen müssen überzeugt werden“, sagt Uta Renn, Vorsitzende der Landesseniorenvertretung NRW. „Sie sind oft misstrauisch, wen sie ins Haus kriegen.“ David Bauer hatte kein Misstrauen. „Ich habe nur gefühlt, dass jemand da ist, nicht, dass es fremd ist.“KAROLINE SPRINGER, DPA