Kinderschutz kostet Geld

Frühwarnsysteme und Netzwerke zum Schutz von Kindern sind kein Allheilmittel, sagen Verantwortliche sozialer Einrichtungen. Denn sie lösen nicht das Grundproblem: Die vom Senat beschlossenen Sparmaßnahmen machen die nötige Arbeit unmöglich

VON KERSTIN SPECKNER
und KONRAD LITSCHKO

In Neukölln trafen sich gestern über 100 Vertreter der Jugendhilfe, Schulen, Polizei, Migrationsvereinen und Kitas zum zweiten Kinderschutzfachtag. Die Einrichtungen arbeiten seit Jahren schon zusammen. Neu ist hingegen ihre Vernetzung. Genau solch eine Kooperation schwebte Bildungssenator Klaus Böger vor, als er am Dienstag den Familienbericht 2006 vorstellte. Einhellige Meinung aller Beteiligten ist allerdings: Es fehlt an Personal, und das können auch Netzwerke nicht ausgleichen.

„Finanziell stehen wir mit dem Rücken zur Wand“, so Sozialstadtrat Thomas Blesing. In den letzten drei Jahren habe er seinen Etat von 48 Millionen auf 35 Millionen heruntergespart. Davon ist auch der Kinderschutz betroffen. Ein Kriterium sei deswegen, so der SPD-Politiker, ein Kind „möglichst preiswert“ unterzubringen. „Im Notfall darf Geld aber kein Entscheidungskriterium sein.“ Sein Amt sei in diesem Jahr deutlich in den Miesen: „Wir schlittern auf eine Etatüberziehung von 2 Millionen Euro zu.“ Davon übernehme der Senat nur 75 Prozent.

Dieser Druck wirkt sich auf die Arbeit der Jugendämter aus – in Form von permanenter Überlastung: Solche Notfalleinsätze seien arbeitsintensiv und nähmen Mitarbeiter eine Woche lang voll in Anspruch, sagte Elisabeth Enßlin vom Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Parallele Langzeitbetreuungen blieben dann liegen. Geld für Neueinstellungen sei auch hier nicht vorhanden.

Auch Georg Kohaupt, Familienberater beim Kinderschutzzentrum Berlin, kritisiert die prekäre Finanzlage der Hilfeeinrichtungen. „In diesem Bereich darf auf keinen Fall weitergespart werden.“ Seit Jahren beobachtet er eine zunehmende Vernachlässigung von Kindern in gesellschaftlich abgehängten, „prekären“ Familien. Die zuletzt getätigten Sparmaßnahmen des Senats würde er am liebsten rückgängig gemacht sehen. Zwar befürwortet Kohaupt eine stärkeren Vernetzung der Beteiligten, doch „so ein Netzwerk kostet auch Geld“. Besonders die Kooperation mit dem Gesundheitswesen müsse verstärkt werden. Oft würden Kinderärzte und Hebammen nicht auf Anzeichen für Kindesvernachlässigung reagieren. „Wir müssen Lehrer und Erzieherinnen, alle, die beruflich mit Kindern zu tun haben, für dieses Thema sensibilisieren und sie für Gespräche mit Eltern vernachlässigter Kinder schulen.“

Auch die Jugendämter sieht er in der Pflicht: Sie müssten besser erreichbar sein für die Betroffenen. „Es ist ein Skandal, dass viele dort nicht mal einen Anrufbeantworter haben – so etwas geht im Kinderschutz nicht.“

Nicht zuletzt bei den Jugendheimen, wo die geschädigten Kindern landen, wirkt sich die angespannte finanzielle Lage aus. Der Weg eines Kindes in ein Heim sei schwieriger geworden, sagt Joachim Bootz, Leiter des Spandauer Kinderheims Sonnenhof. „Heute muss ein Mitarbeiter des Jugendamts schon sehr, sehr gut begründen, warum ein Kind ins Heim kommt.“

Als gefährdetste Gruppe für Vernachlässigungen sieht er Kleinkinder. Ein Grund, warum auch er für ein Frühwarnsystem plädiert, wie es Böger fordert. „Das kann aber nicht das Allheilmittel sein.“ Denn solange ganze Gruppen aus der Gesellschaft gedrängt würden und sich selbst aufgäben, blieben zwangsläufig auch ihre Kinder auf der Strecke. Da könne auch die Arbeit der Jugendämter und Heime nur wenig helfen: Rund zwanzig Prozent der Jugendlichen, schätzt Bootz, die von seinem Heim zurück zu ihren Familien gegeben werden, landen über kurz oder lang wieder in seiner Einrichtung.