„So wie es hell wird, fängt es an“

HAUSBESUCH Sie las seine Anzeige in der Zeitung, er stand mit Blumen vor ihrer Tür. Beim Fischer und seiner Frau

VON MARLENE GOETZ
(TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Lietzow, im Norden der Ostseeinsel Rügen, beim Kleinfischer Andreas Zietemann und seiner Familie.

Draußen: Ein grünes Haus mit weißer Tür, im Garten alte Holzscheite, die vom Meer glatt gerieben wurden, Fische und Enten aus Stein. In einem kleinen Haus nebenan werden die Netze und Angeln aufbewahrt. Es gibt auch einen Ofen, in dem der Fisch geräuchert wird („mit Eiche- und Birkenholz, das gibt einen milden Geschmack“, sagt Kathrin).

Drin: In der Küche Gemälde der Insel, die berühmten Felsen und ein Leuchtturm darauf („hat ein Bekannter gemalt“), die Vorhänge sind mit einem Steuerrad und Matrosenfiguren festgebunden. Im Wohnzimmer steht ein großer Heizofen, im Wintergarten liegen versteinerte Seeigel und Muscheln („kurz nach dem Winter, wenn der Felsen bricht, ist die beste Jahreszeit, um Fossilien zu finden“).

Wer macht was? Andreas Zietemann ist einer der letzten Kleinfischer auf Rügen. Mit einem Kutter, drei kleinen Booten und zwei Tourenbooten verdient er sein Geld. Täglich fährt er – „so wie es hell wird, fängt es an“ – raus auf die Ostsee, allein, weil „man auch nicht mehr zu zweit schafft“. Hat nach der Wende „bei null angefangen“: Er kaufte ein kleines Boot, dann immer größere, bis er den Kutter in Dänemark anfertigen ließ. Sein Ziel, ihn abzubezahlen, bis er fünfzig ist, erreichte er mit 48 – was ihn stolz macht: „Die ganze Familie hat es geschafft!“ Seit zwei Jahren bietet er auch Angeltouren an, zu seinen Stammkunden gehören ein paar Promis, „viele fahren bis Norwegen, um große Dorsche oder Lachs zu fangen. Aber wir kennen hier geheime Ecken, wo es große Fische gibt.“ Seine Frau Kathrin ist Grundschullehrerin, sie unterrichtet zurzeit eine dritte Klasse. „Da kriegt man noch Liebesbriefe und Heiratsanträge“, sagt sie. Sohn Eric ist Steuermann, bald wird er Kapitän und darf „alle Schiffe fahren, bis Schottland“. Erics Freundin Caroline schließt gerade ihre Ausbildung zur Erzieherin ab.

Wer denkt was? Das große Thema in der Familie sind die Fischquoten. „Behördenwahnsinn“ nennt Andreas Zietemann die EU-Regelungen, „wir sind völlig überwacht.“ Sechs Tonnen Hering darf Andreas Zietemann jährlich fischen, dreißig Tonnen Dorsch; für andere Fischarten, wie Zander oder Aal, gibt es keine Quoten. „Wenn ich nur auf Quoten fischen würde, würde das Geld nicht reichen“, sagt Andreas. Er verkauft den Fisch deshalb direkt vom Kutter, da kann er etwa das Dreifache dessen verlangen, was ein Händler zahlen würde. Kleinfischer dürfen nur 160 Tage im Jahr mit einem Kutter auf See. „Das ist ungerecht“, sagt Kathrin, „wenn man ein halbes Jahr krank ist, kann man den Betrieb schließen.“

Andreas Zietemann: Geboren 1961 in Bergen, sein Vater war Chemiker, seine Mutter Zahnarzthelferin („Stomatologische Schwester hat man in der DDR gesagt“). Mit 18 wurde er Schiffsmaschinist, er pflegte die Motoren großer Fahrzeuge „überall auf den Weltmeeren“. Nach zehn Jahren ging er zurück in die Schule, wurde erst „Fischwirt“, mit dreißig dann Kapitän. „Und seitdem fische ich bis zum heutigen Tag und mache das auch gerne.“

Kathrin Hagspiel: „Mein Vater war auch Fischer, meine Mutter Kindergärtnerin“, erzählt Kathrin, deren Familie aus Rügen stammt. „Bei uns ist immer eine Generation im Schulbereich tätig, die zweite in der Fischerei.“ Sie fing mit zwanzig an zu unterrichten.

Das erste Date? „Ich hatte mein Studium beendet und saß in meiner Ein-Zimmer-Wohnung“, sagt Kathrin. Ihre Mutter sagte: „Es wird Zeit, kümmere dich!“ In der Zeitung fand sie zwei Anzeigen von Männern: ein Polizist und Andreas. Sie schrieb beide an, und „plötzlich stand ein junger Mann vor der Tür, mit Locken, nicht so grau wie heute, und einem Blumenstrauß“. Sie kam gerade aus der Dusche, ihr Haar war nass. Er sagte: „Herzlichen Glückwunsch zum ersten Schultag.“

Die Hochzeit: Eigentlich wollten sie nicht heiraten, aber nach 15 Jahren sagte ihnen der Steuerberater: „Wenn Sie sich zusammenschreiben, können Sie jedes Jahr nach Amerika.“ Der Termin musste in den Ferien sein, nur noch der 13. Februar 2004 war frei. Ein Freitag. Störte sie nicht. Kathrin: „Wir wollten es geheim halten.“ Doch ein Journalist wollte über eine Hochzeit an einem Freitag, den 13., schreiben – sie sagten zu. Familie und Freunde erfuhren von der Trauung aus der Zeitung. Andreas: „Als wir abends heimkamen, standen hier alle auf der Matte. Die ganze Nacht war dann ‚Bambula‘!“

Der Alltag: Je nach Jahreszeit: Im Winter stehen Kathrin und Andreas um 5.30 Uhr auf, er geht mit dem Hund raus und sie kocht ihm Tee. Mittags wird zusammen gegessen. Im Sommer wohnen sie auf dem Kutter, der meistens in Glowe im Hafen liegt. Andreas steht dann um 2 Uhr auf und fährt auf See. Kathrin steht gegen 7 Uhr auf und holt Brötchen, gefrühstückt wird gemeinsam in der Sonne auf Deck. „Da stehen die Leute schon dort und wollen frischen Fisch“, sagt Andreas. Nach dem Mittagsschlaf, wenn das Wetter schön ist, fährt Andreas noch mal raus. Um 20 Uhr geht er schlafen und Kathrin setzt sich mit einem Buch in den Kapitän-Sitz.

Wie finden Sie Merkel? Für Kathrin hat sie „einen Pluspunkt: Sie kommt aus dem Osten.“ Andreas kümmert sich nicht um Politik, „kein Bezug!“, sagt er. „Wir können dem Ganzen ja nichts entgegensetzen.“

Wann sind Sie glücklich? Andreas ist glücklich, wenn ihn „die Behörden in Ruhe lassen“ – und er „ein paar Fische im Boot“ hat. Kathrin: „Wenn mein Hund am Strand buddelt, ich in der Sonne sitze und ein Buch lese.“ Sohn Eric ist glücklich, wenn er auf See ist. „Aber“, sagt er schnell und schaut zu Caroline rüber, „ich bin auch wieder froh, wenn ich zu Hause angekommen bin.“ Und Caroline: ist glücklich, wenn Eric heimkommt.

Nächstes Mal treffen wir Familie Aßbichler-Heuss in München. Sie wollen auch einmal besucht werden? Schicken Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de