Gier nach Klarheit

Der Erschütterbare und der Radikale: Bei Christoph Peters trifft ein deutscher Botschafter auf einen islamistischen Terroristen

VON MAJA RETTIG

„Wie malt man sich das Herz eines Massenmörders aus?“ So fragt sich eine Figur dieses Romans einmal. Christoph Peters, sein Autor, unternimmt es. In „Ein Zimmer im Haus des Krieges“ versucht er einen islamistischen Terroristen zu verstehen – einen aus westlicher Drogenkleinkriminalität zum terroristischen Islamismus konvertierten dreißigjährigen Deutschen.

Jochen Sawatzky hieß er. Jetzt heißt er Abdallah. Zusammen mit anderen Dschihadisten will er den Tempel von Luxor in die Luft jagen. Die Gruppe gerät in einen Hinterhalt, jemand hat sie verraten. Dies die ersten 70 Seiten, dichte Action aus der Ich-Perspektive des verhinderten Massenmörders. Sawatzky wird ins Gefängnis nach Kairo gebracht und gefoltert, von da an bemüht sich der deutsche Botschafter um ihn. Dies der größere Teil des Buchs. Unwahrscheinliches diplomatisches Ziel ist es, Sawatzkys Auslieferung nach Deutschland zu erreichen.

Christoph Peters schreibt über den Terrorismus, ohne dass Flugzeuge in Hochhäuser krachen. Er arbeitet sich nicht am Nächstliegenden, den Bilderschleifen von 9/11, ab – der vereitelte Anschlag soll 1993 stattfinden. Das Internet spielt noch keine Rolle, aber die Bomben auf Touristen- und Regierungsziele der arabischen Welt zünden bereits in hoher Frequenz.

Und Peters kann schreiben, das hat er in vier Büchern bereits glänzend bewiesen, zuletzt im Roman „Das Tuch aus Nacht“ (2003). Seine Sprache ist hoch konzentriert und oft bildstark, auch in dem neuen Buch. Die Schilderungen der repräsentativen Pflichten eines Diplomaten etwa und konkret-klimatisch Körperliches aus Kairo überzeugen glattweg. Nur manchmal nervt ein Hang zur sentenziösen Pointe.

Die Beweggründe des Terror-Islamisten werden aber nicht verständlich, trotz der vielen Seiten, die der Roman mit dessen Thesen füllt, trotz der Intelligenz, mit der er ihn ausstattet. Das ist dem Autor nicht anzukreiden. „Als Außenstehender hat man ja keine rechte Vorstellung davon“, palavert irgendjemand auf dem Weihnachtsempfang der Botschaft. Der Roman zeigt: Man versteht’s auch nicht, wenn man so nah dran ist wie der Botschafter Claus Cismar, der mit dem Terroristen spricht, der Arabisch kann und dessen Kenntnisse über den Islam ausreichen würden, um ihn in Deutschland als Experten gelten zu lassen. Es besteht ja auch keine Zwangsläufigkeit: Nicht jeder mit schlimmer Kindheit wird zum Vergewaltiger, nicht jeder perspektivlose Junkie zum Islamisten. Oder andersherum: Genauso gut hätte Sawatzky in Deutschland Rechtsradikaler werden können, mit seiner Gier nach Klarheit, Strenge, radikaler Unterwerfung. Was macht man mit eloquenten Neonazis? Es ist dasselbe Problem. Vom IQ lässt sich nicht auf die Gesinnung schließen.

Der eigentliche Clash aber ist wohl der religiöse: „Womöglich gibt es zwischen einer gläubigen und einer säkularen Weltanschauung keine Schnittmenge.“ Ja, womöglich ist gerade der religiöse Fanatismus schlicht nicht nachvollziehbar für einen Europäer, der sich regressive Sentimentalitäten zu Weihnachten verbittet.

Der Roman will beides: begreifen und zeigen, dass man nicht begreifen kann. So ist er zwischen seine beiden Motti gespannt. Das erste, von Spinoza, ist aufs wertfreie Verstehen aus, das zweite, von Takeshi Kitano, lautet: „Selbst mit weit geöffneten Augen sehe ich nicht das Geringste.“ Und wirklich, Claus Cismar „fühlt sich wie ein Spion, der weiß, dass ganz in der Nähe eine wertvolle Information liegt und sicher ist, dass er sie nicht finden wird“.

Trotzdem geht die Anlage nicht auf. Das Nichtverstehen inszeniert Peters allein mit beflissen zusammengetragenen Feuilletongedanken zum Thema. Diese Gefängnisdialoge als Zusammenprall der Weltanschauungen nehmen viel Raum ein. Was hinzukommt, wirkt wie eine Fleischbeigabe: die kriselnde Ehe Cismars mit seiner verwöhnten, frustrierten Diplomatenehefrau; seine daher rührende halbe Affäre mit einer französischen Diplomatin, die allein ihn versteht; sein Somatisieren mit Magengeschwür. Das funktioniert nicht. Weil Peters sich damit keine Mühe gibt, bleibt es Staffage und erst recht im Klischee stecken. Cismars Krise ist die simple Midlife-Crisis eines Klischee-Ex-Achtundsechzigers, samt aalglattem Ex-Nazivater, abgelegtem Adelstitel und schüchternem einstigen Sympathisieren für die RAF.

Als solcher lässt er sich erschüttern von dem seinerseits unbeirrbaren Terroristen, den er um seine Gewissheit und Radikalität beneidet. Sawatzky sagt: „Ich begreife nicht, wie man die Dumpfheit eines normalen bundesdeutschen Lebens erträgt.“ Cismar begriff das auch nie und suchte es durch seine Berufswahl zu vermeiden. Nun holt ihn die Dumpfheit ein. Seine Arbeit sieht er zwar noch als Garant für äußere Exotik, inhaltlich aber als „Mischung aus Netzwerkpflege, Krisenmanagement und Kuhhandel“.

Claus Cismars Nöte tragen nichts zur Substanz des Romans bei. Umso interessanter ein Nebenthema: die Unterwanderung. Die Terrorgruppe von Sawatzky wurde unterwandert. Sawatzky unterwanderte einst Drogenkreise für die Polizei, und Claus Cismar, der sich wie ein Spion vorkommt, erwägt, dass längst an ihm vorbei, „vermutlich auf Geheimdienstebene, an einer Lösung gearbeitet wird“. Das ist unheimlich. Und unterwandert ein gewagtes, nicht in allem geglücktes Buch, ebenso wie das spürbare Können seines Autors.

Christoph Peters: „Ein Zimmer im Haus des Krieges“. btb Verlag, München 2006, 320 Seiten, 19,95 EUR