Pest und Cholera

Post aus New York: Wann werden sich die USA zusammenreißen und die Welt regieren? Eine Podiumsdiskussion im Rathaus ließ da leider nur wenig Hoffnungen aufkommen

Die einen Redner zogen den Vietnamkrieg zum Vergleich heran, die anderen NachkriegseuropaWofür lohnte es sich noch, sich im Irak zu bekriegen, wenn erneuerbare Energien das Öl ersetzten?

Die Kongress-Wahlen sind derzeit das Stadtgespräch und werden es wahrscheinlich auch bleiben, jedenfalls bis die Ergebnisse der Wahl vom 7. November eingehend und erschöpfend ausgewertet worden sind. Wie viele Sitze werden die Demokraten gewinnen? Haben sie zu früh den Gipfel ihrer Popularität erreicht? Wie viel wird die jüngste Ölpreissenkung den Amtsinhabern nützen? Wird der republikanische Meisterstimmenfänger Karl Rove die Parteibasis aufrütteln, und hat all das überhaupt irgendeine Bedeutung, wenn doch die Republikaner mit ihren Wahlkreisschiebungen ohnehin dafür sorgen, dass am Ende alles zu ihren Gunsten ausgeht? Anscheinend sind ihnen noch immer nicht die Möglichkeiten ausgegangen, die Wahlen zu manipulieren, angefangen bei der elektronischen Abstimmung, wenn man einigen besorgniserregenden Berichten und Untersuchungen über die Wahl 2004 traut.

Das Hauptgesprächsthema ist und bleibt jedoch der Irak. Werden die Demokraten die Truppen abziehen? Der Kongress hat soeben die Finanzierung der Einsatzes dort für ein weiteres Jahr beschlossen. Und wenn Truppenabzug, wann? Oder bleiben die USA im Land, verstärken ihre Truppen und stabilisieren die Region? Kurz: Werden die USA sich endlich zusammenreißen und die Welt regieren?

Im Grunde ging es kürzlich bei einer Veranstaltung im Rathaus um genau dieses Thema: Die Hälfte der Diskussionsteilnehmer meinte, die USA könnten nicht die Welt regieren, und ich weiß, warum das so ist. Es hängt mit einem neuen Telefon zusammen, das ich kürzlich online gekauft habe. In 48 Stunden wurde es von der Fabrik in Indianapolis nach Keasby in New Jersey geschickt, einem Städtchen von der Größe einer Briefmarke, aber solange es mein Porto verschickt, bin ich zufrieden. Von Keasby nach New York ist es nur ein Katzensprung, und das Telefon sollte am nächsten Tag ankommen – bis es auf einem Lkw landete, der nach Portland in Oregon fuhr. Dort bleibt es jetzt. Arrgh, Jungs, reißt euch endlich zusammen und regiert die Welt!

Die Redner im Rathaus konnte man danach unterteilen, welches Beispiel sie jeweils zum Vergleich mit dem Irak heranzogen. Der Politanalytiker William Polk, George McGovern, der Präsidentschaftskandidat von 1972, der damals mit der Forderung „Raus aus Vietnam“ antrat (und kläglich verlor) sowie John Murtha, einer der wenigen Kongressabgeordneten, die heute die Forderung „Raus aus Irak“ vertreten, sie alle nahmen Südostasien als Beispiel: viele Tote, verschwendetes Geld, immer höhere Schulden und eine Niederlage der Amerikaner. Heute geben wir jeden Monat zwischen 4 und 8 Milliarden Dollar in Irak aus; über 100.000 Iraker und 2.600 Amerikaner sind gestorben. 1963 sagte Polk, dass wir in Vietnam nicht siegen könnten; und ehe wir dort abzogen, starben noch 55.000 weitere Soldaten und noch viel mehr Vietnamesen. Zu dem von vielen erwarteten Blutbad kam es nicht.

Die Vietnamesen lernten, ihr eigenes Land zu regieren. Die Iraker, so die Meinung dieser Gruppe, werden dies genauso lernen. Sie wissen, wer die „Aufständischen“ sind, aber sie sagen es den USA nicht, weil eben niemand eine Besatzungsmacht mag. McGovern und Polk haben ein neues Buch geschrieben, das einen Rückzugsplan entwirft.

Die Welt ist so einfach. Wer hätte das gedacht??

James Carafano, Senior Fellow der konservativen Heritage Foundation, und Salameh Nematt, Leiter des Washingtoner Büros der arabischen Tageszeitung Al Hayat, nahmen dagegen den Zweiten Weltkrieg als Beispiel. Aus der Nachkriegszeit, erklärte Carafano, könne man drei Dinge lernen: Besatzer müssen eine humanitäre Krise verhindern, eine funktionierende Regierung errichten und den Frieden sichern. Wenn die USA sich zurückziehen, ehe sie diese Voraussetzungen erfüllt haben, werden die Sunniten, Schiiten und Kurden sich jeder einen Teil der irakischen Armee greifen und sich gegenseitig wegen des Öls bekämpfen in einem Krieg, der die Preise in die Höhe schnellen lassen und ein massives Flüchtlingsproblem schaffen würde. Warum machten diejenigen, die wegen Darfur so besorgt seien, sich darum keine Sorgen?

Andere Staaten in der Region, meinte Nematt, zählten darauf, dass die USA in Irak die Vorherrschaft erlangen und den Iran daran hindern werden, bis zum Golf durchzumarschieren, wo das Land einen Großteil der Energiereserven der Welt kontrollieren würde. Übrigens stammten die Aufständischen zum großen Teil aus dem Ausland: Syrien, Iran oder nichtstaatliche Gruppen hofften, dass das Demokratieexperiment in Irak fehlschlage, um ihre eigenen antiliberalen Regime zu stärken. Aber immerhin hätten 70 Prozent der Iraker gewählt! Was ist aber nun die Lösung? Mehr Soldaten hinschicken und richtig siegen!

Die Welt ist so entgegenkommend. Wer hätte das gedacht??

Dass die Welt des Mittleren Ostens weder einem Nachkriegsdeutschland (ein Land der Ersten Welt, das von der Aufklärung stark geprägt ist) noch Japan (das zwar nicht von der Aufklärung geprägt wurde, aber traditionell stets Anleihen beim Westen gemacht hat, eine homogene Bevölkerung und eine eigene Version der protestantischen Ethik hat) und schon gar nicht Vietnam (eine homogene Bevölkerung, die in einem Antikolonialkrieg kämpft) entspricht – dieser Gedanke schien den Diskussionsteilnehmern nicht gekommen zu sein.

Was aber in dem Bemühen um Analogien meist übersehen wird, ist ein Schlüsselmotiv, das viele erfolgreiche Nachkriegsdemokratien auszeichnete: die Flucht vor einem von außen aufgezwungenen Kommunismus. Deutschland hatte die Sowjets als Nachbarn; Japan die Sowjets und China, genauso Taiwan und ebenso Südkorea, das darüber hinaus noch seinen Norden im Nacken hatte. Wenn keine andere ausländische Macht als die USA Druck von außen auf den Irak ausübt, bleibt dort nur ausreichend Sicherheit, um sich nach innen zu wenden und einen sektiererischen Krieg zu führen. Und es bleibt eine islamistische Opposition, die Nein zur Demokratie sagt, weil diese mit dem unerwünschten Westen assoziiert wird.

Vielleicht hätte eine politische Lösung, die von den Mächten in der Region sowie Russland, China, der EU, der Türkei und den USA ausgehandelt würde, eine gewisse Berechtigung in Irak. Vielleicht würde sie diese Mächte dann auch dazu bringen, diese Lösung durchzusetzen, anstatt in Irak nur ihre eigenen nationalen Interessen zu vertreten. Vielleicht würden ernsthafte globale Anstrengungen zur Förderung erneuerbarer Energien die einander bekämpfenden Gruppen in Irak auf die Idee bringen, dass es gar nichts mehr gibt, worum sie sich streiten müssten.

Diese Gedanken fanden im Rathaus seltsamerweise keine Erwähnung, ebenso wenig im Kongresswahlkampf. Schade eigentlich. Denn immerhin sitzen da doch die Typen, die die Welt regieren wollen. MARCIA PALLY

Übersetzung: Beate Staib