George W. Bush lässt telefonieren

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Nur noch 17 Tage bis zur US-Kongresswahl, und die Frage in Washington lautet längst nicht mehr „Ob“, sondern nur noch „Wie viele“. Die Demokraten müssen fünfzehn Sitze im Repräsentantenhaus erobern, um dort wieder die Mehrheit stellen zu können. Das scheint, je näher die Wahl rückt, desto wahrscheinlicher zu werden, möglich wären sogar bis zu dreißig zusätzliche Abgeordnetenmandate.

Neueste Umfragen zeigen, dass US-Präsident George W. Bush und seine Republikanische Partei viel schlechter dastehen als erwartet. Genauer gesagt steht die Partei schlechter da als die Demokraten im legendären Wahljahr 1994, als sie von Newt Gingrichs Konservativen aus beiden Häusern des Kongresses gefegt wurden.

Hinzu kommt, dass sowohl der Präsident als auch der Kongress die niedrigsten Zustimmungsraten seit ihrem Amtsantritt vor sechs Jahren erhalten. Dreiviertel aller Befragten sind mit der Arbeit des 109. Kongresses nicht zufrieden. Allgemein gilt dieser Kongress als einer der faulsten in der US-Geschichte, viele drängende Fragen, wie Immigrations- und Gesundheitspolitik, blieben unerledigt.

Die Konservativen zahlen zudem für das Debakel im Irak und den jüngsten Sexskandal um den republikanischen Abgeordneten Mark Foley einen hohen Preis (siehe Seite 4). Laut einer Wall Street/NBC-Umfrage vom Wochenanfang bevorzugen 52 Prozent der Wählenden mittlerweile die Demokraten im Kongress – genauso viele geben Bush eine schlechte Note. Das wäre für den Präsidenten, der bei der persönlichen Bewertung meist besser abschnitt als bei der für seine Arbeit, das schlechteste Ergebnis seiner gesamten Amtszeit.

Kein Wunder, dass Bush – und mit ihm die KandidatInnen –, was den Irakkrieg angeht, ziemlich kleinlaut geworden ist. Galt vor drei Monaten noch die Wahlkampfdevise „Demokraten lächerlich machen, den Irak als Hauptschlachtfeld des Antiterrorkampfes darstellen“, verspricht Bush in den letzten Tagen plötzlich, bei der Irakstrategie künftig flexibel zu sein.

Nun sind es die Demokraten, die den De-facto-Bürgerkrieg im Irak zum zentralen Thema ihres Wahlkampfes machen. Vorbei die Scheu vor dem mitverschuldeten Debakel, wie sie noch 2002 und 2004 zu beobachten war. „Wir sollten unsere Strategie im Irak ändern“ fordern die Liberalen, ohne konkreter zu werden. Die alte republikanische Masche, die Demokraten als Vaterlandsverräter und Weicheier aussehen zu lassen, nur weil sie gelegentlich Zweifel am Krieg äußern, funktioniert offensichtlich nicht mehr so gut wie erwartet.

Die Bush-Basis ist lethargisch

Mit Entsetzen schauen die Republikaner auf ihre Basis. Die ließ sich bei den letzten beiden US-Wahlen selbst noch in den hintersten Rocky Mountains mit Themen wie Abtreibung, Homoehe und den Werten im Großen und im Besonderen aufrütteln. „Viele konservative Wähler haben die Nase voll davon, sich aufzumachen und für die Republikaner zu stimmen, nur weil sie das geringere von zwei Übeln sind, vor allem nach dem Skandal um den Abgeordneten Foley, der Sex-SMS an Schülerpraktikanten im Kongress versandte,“ meint Tom McClusky vom einflussreichen christlich-konservativen Rat für Familienforschung. Noch 2004 hatten die Stimmen der christlichen Konservativen Bush ganz entscheidend zur Wiederwahl verholfen.

„Die Konservativen sind nicht besonders motiviert, die Leute im Kongress wiederzuwählen“, findet auch ein republikanischer Wahlkampfberater aus New Jersey, Rick Shaftan. Es bestehe allerdings keine Gefahr, dass sie zu den Demokraten überliefen. Sie werden am 7. November einfach zu Hause bleiben. So verbreitet ist diese Einschätzung, dass Meinungsforscher schon von den „LRs“ sprechen, den lethargischen Republikanern.

Doch so einfach geben die Republikaner nicht auf. Diese Woche geisterte eine aufscheuchende E-Mail der konservativen Gruppe Gopusa.com herum, Titel: „Wage es nicht, nicht zu wählen!“ Ein Wählermobilisierungsprogramm, das sogenannte 72-Stunden-Projekt, könnte noch erhebliche Wählermassen an die Urnen locken, meinen die Strategen. Wie gut die republikanische Maschinerie noch funktioniert, zeigte sich am vergangenen Wochenende in Ohio, einem der meistumkämpften Bundesstaaten. Dort riefen in allen 88 Kreisen Freiwillige an die 100.000 sorgsam ausgewählten WählerInnen an und besuchten 50.000 direkt an den Haustüren. 2004 hatte Ohio Präsident Bush den Wahlsieg beschert. „Damals haben wir ihnen die Socken weggepustet“, erinnert sich Betty Montgomery, die republikanische Kandidatin für das Amt des Staatsanwalts in Ohio. Doch die Demokraten geben sich gerüstet. Ihre Wut über die Politik der Republikaner sei so groß, meint sie, außerdem hätten auch sie 100.000 demokratische Wähler angerufen.

Den Bush-Gegnern fehlt Geld

Das größte Problem, das die Demokraten daran hindert, ihren Umfragensiegeszug fortzusetzen, ist schlichtweg das Geld. Anders als die Republikaner, die es sich leisten wollen, in den letzten entscheidenden Tagen nochmals bis zu 70 Millionen Dollar in umkämpfte Wahlkreise zu investieren, gibt es vom Nationalen Demokratischen Komitee keinerlei Bereitschaft, noch einmal finanziell für Wahlspots nachzulegen. Im Gegenteil. Gerade erst hat das Gremium sich 10 Millionen Dollar leihen müssen, um bei den Wahlkämpfen um Senatsposten in Tennessee und Virginia nachhelfen zu können. Mehr scheint nicht mehr drin zu sein. Denn viele der Großsponsoren, wie zum Beispiel der Milliardär George Soros, sehen Präsidentschaftswahlkämpfe, wie den im Jahr 2008, als prestigeträchtiger an, um ihr Geld zu investieren. Den Republikanern dagegen hilft allein ein einziger Spender, Bob Perry, ein texanischer Immobilienmakler, mit 7 Millionen Dollar aus; das reicht, um rund ein Dutzend demokratische Kandidaten aufs Korn zu nehmen.

Die Wahljahr-Agenda der Demokraten, die „Eine neue Richtung für Amerika“ heißt und darüber Auskunft gibt, was sich die US-Demokraten vorgenommen haben, enthält viele Punkte. Die Liberalen wollen so ungefähr alles verändern und zurückdrehen, was Präsident Bush und die Republikaner seit 2001 bewerkstelligt haben. So sollen die Steuersenkungen rückgängig gemacht werden, die Stammzellforschung will man wieder freigeben und einige der Anti-Terror-Überwachungsmaßnahmen des Patriot Act verbieten.

Doch was genau in der Agenda drinsteht, interessiert viele der WählerInnen nicht im Detail. Sie haben sich einfach vorgenommen, den Demokraten einiges zuzutrauen. So ergeben neueste Umfragen, dass, egal ob bei Irakpolitik, Wirtschaft, Gesundheitspolitik, Immigration oder Ethik, die Demokraten von der Mehrheit der Befragten für kompetenter gehalten werden.

John Zogby, ein unabhängiger Washingtoner Meinungsforscher, meint, dass ein Sieg der Demokraten daher ein „Forrest-Gump-Sieg“ wäre, in Anlehnung an den langsam denkenden Filmhelden, der immer obsiegt, ohne so recht zu wissen, warum. Zogby ist sich nicht einmal sicher, dass die Wählenden überhaupt annehmen, dass die Demokraten alternative Entwürfe in der Tasche haben. Immerhin hätten die Demokraten das Thema Irak mehr oder weniger vermieden.

Selbst wenn die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus erzielen, könnten sie damit ihre Politik nicht einfach umsetzen. Der Senat ist schließlich immer noch fest in republikanischer Hand, und dann gibt es da auch noch das Vetorecht des Präsidenten.