Tod oder Arbeit

Die Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst zeigt unter dem Titel „bin beschäftigt“ zwölf Positionen, die unsere neurotische Beziehung zur Arbeit ausloten und analysieren – mitunter sogar therapieren

von BENNO SCHIRRMEISTER

Die Erkenntnis klingt so neu, so unverbraucht. Ist sie natürlich nicht. Sie ist nur fast vergessen. Und wahrscheinlich bezieht sie ihren Reiz auch daraus, dass sie nicht von einem Sozialphilosophen hochdeutsch vom Videoband per Kopfhörer ins Hirn gestanzt wird. Sondern in Oberösterreichisch von einem Landwirt aus dem Weiler Eberhardschlag. Der also fordert, dass man „oan Verständnis haben“ müsse „für deana, der sich opfert, nichts zu tuan“. Ausgerechnet der Bauer, von dem man seit frühesten Kindertagen weiß, dass er seine Hände von morgens bis spät rührt – was für eine Umwälzung.

Sie ist das Resultat einer künstlerischen Recherche, die Elisabeth Schimana und Markus Seidl unternommen haben: Ihr Titel lautet „Ein Dorf tut nichts“. Und tatsächlich haben sich die beiden vor fünf Jahren aufgemacht, ein Dorf zu überzeugen, eine Woche lang alles stehen und liegen und die Arbeit von Tagelöhnern erledigen zu lassen. Das Video dokumentiert die Suche, die Überzeugungsarbeit, die Umsetzung – und die angestoßenen Erkenntnisse. Und die hat der Film, so spontan wie nur möglich, abgefischt.

Zu besichtigen ist er derzeit in der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst im Rahmen der Ausstellung „bin beschäftig“: Gabriele Mackert, seit zwei Jahren Leiterin des Hauses auf der Weser-Insel, hat zwölf Werke ausgewählt, zu einem aktuellen Thema, das im West-Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote sicher am richtigen Platz ist. Auf agitatorische Kunstangebote hat Mackert trotzdem verzichtet. Gefunden hat sie stattdessen Analysen und, wie gesagt, sogar therapeutische Ansätze für unsere neurotische Beziehung zur Arbeit, die, sei es offen, sei es unbewusst, mit Paul Lafargue sympathisieren. Lafargue war es ja, der 1883 darauf hingewiesen hatte, dass das Gefasel von der Vollbeschäftigung allenfalls Symptom „einer seltsamen Sucht“ ist, die „Einzel- und Massenelend zur Folge“ haben werde. Das wollte ihm keiner glauben. Seine Forderung nach einem „Gesetz, das jedermann verbietet, mehr als drei Stunden zu arbeiten“, wäre auch heute ein Tabubruch. Außer vielleicht im künstlerisch aufgeklärten Eberhardschlag.

Optisch erweist sich „bin beschäftigt“ als reizarm: Das Thema verlangt nach Erzählstrukturen. Besonders die fotografischen Arbeiten verkümmern mangels Inszenierung, in anderen Medien ist ein hipper dokumentarischer Ansatz ein nettes Mittel, um gestalterische Mängel zu verdecken: Antje Schiffers etwa wartet mit einer autobiografischen Assemblage auf. Gerahmte Blütenzeichnungen, Fotos und Ölbilder zeigen Stationen ihrer Vita. Das passt zum Sujet, weil Schiffers einen Lebensentwurf als „Wandermalerin“ verfolgt. Das ist so Eichendorff-romantisch gemeint, wie es klingt: Schiffers stellt ihre – sehr bescheidene – Begabung zur Landschaftsmalerei in den Dienst derer, die ihr dafür Kost und Logis gewähren. Mal in Kasachstan, mal in Mexiko, mal in Cuxhaven, immer in Pastell und mit groben perspektivischen Patzern. Zwischendurch hat sie auch der Zagreb-Filiale der Unternehmensberatung von Roland Berger einen Parkplatz mit Kiosk auf die Leinwand gepinselt. Als Gegenleistung nennt der adrette Sachbearbeiter ihr – das wird auf Video gezeigt – „fünf Hebel zur Wertsteigerung des Unternehmens Antje Schiffers“.

Amüsant? Geht so. Die milde Komik speist sich aus Überresten einer idealistischen Ästhetik, der Künstler als Sonderformen menschlichen Daseins galten. Diesen Magier-Anspruch hat John Baldessari 1971 radikal beschädigt: „I’m making art“ heißt das klassische Video, das auch Mackert als Keimzelle der Ausstellung bezeichnet: Der Bildschirm springt von Schwarz auf Weiß, dann tastet sich eine bebartete Figur rückwärts an die gekalkte Backsteinwand – Baldessari höchstpersönlich. Der hebt nun einen Arm, sagt „I’m making art“, lässt den Arm sinken, hebt den anderen, wiederholt seinen Satz, wedelt ein wenig mit den Händen, wiederholt den Satz, das Mantra, die Beschwörungsformel: Die Selbstbehauptung des Künstlers als Künstler wäre also der Kern seiner Produktion – und ihr einziges Ziel. Dass das letztlich sinnlos ist, steht außer Frage.

Aber wäre die Sinn- und Ziellosigkeit des Tuns tatsächlich ein Privileg der Künste? Zweifel sind angebracht, und in aller Schärfe formuliert sie das erste Werk, das dem Ausstellungsbesucher begegnet. Der nämlich muss, um in die Gesellschaft für Aktuelle Kunst zu gelangen, einen kurzen Tunnel passieren. An dessen Seitenwand wird Corinna Schnitts „Zwischen vier und sechs“ gebeamt: Schnitt hat die Freizeitbeschäftigung einer in die Jahre gekommenen Kleinfamilie gefilmt – Vater, Mutter und erwachsene Tochter. In ihrer Wohnsiedlung ziehen diese drei, früh am Sonntag, los. Und putzen Verkehrsschilder. Der Vater steht dabei leicht abseits: Er studiert das kartografische Material, weil er, so die Stimme aus dem Off, „ein richtiges System entwickelt“ hat. Die Mutter hält die Leiter fest. Die Tochter hat die vierte Sprosse erklommen und schrubbt.

Schnitts Kamera folgt, mit Abstand, dieser Gruppe, die durch menschenleere Vorortstraßen schreitet: Drei Personen mit Leiter und mit Eimer, die regelkonform aufs grüne Licht warten, um die Seite zu wechseln, auch ganz ohne Verkehr. Drei Personen, die nichts Unrechtes tun, die nur einer Tätigkeit nachgehen, die niemandem schadet. Jeden Sonntag, und bei Krankheit, sagt die Stimme, springt der Nachbar ein: So ansteckend ist das Feuer des Engagements, so mitteilsam die Energie, die doch rätselhaft bleibt. Denn nicht zu erkennen ist, für welche Handlung diese Beschäftigung Ersatz ist, welche Angst sie betäubt und welchen Schrecken sie verbirgt.

Bis 7. Januar, Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen